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Am Morgen danach. Die Bolle-Filiale gegenüber dem Görlitzer Bahnhof konnte die Feuerwehr nicht mehr retten. Ein Pyromane hatte sie während der Krawalle angezündet, Störer hatten die Beamten am Löschen gehindert. Auch die U-Bahn war betroffen: Die Station Görlitzer Bahnhof wurde verwüstet, der Verkehr auf der berühmten Linie 1 musste in dem Bereich unterbrochen werden. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wurden zahlreiche Randalierer festgenommen.

© dapd

1. Mai 1987: Nacht der Flammen in Kreuzberg

Vor 25 Jahren gab es in Kreuzberg erstmals Mai-Randale. Ein Bolle-Markt brannte aus – wer dafür verantwortlich war, stellte sich erst lange Zeit danach heraus.

Die wohl seltsamste Kuriosität des Berliner Jubiläumsjahres 1987 war etwa einen Quadratmeter groß und fand sich im Spreebogen zwischen Moltkebrücke und Kongresshalle, montiert auf einen Betonquader: die bronzene Stiftungstafel für das Deutsche Historische Museum, am 28. Oktober dieses Jahres enthüllt von Bundeskanzler Helmut Kohl. Das allein wäre noch nichts Besonderes gewesen, komisch wurde es erst, da die Tafel wochenlang rund um die Uhr von der Polizei bewacht wurde. „Die alternative Szene sieht darin einen hohen Symbolwert, es besteht die hohe Gefahr der Zerstörung“, hieß es in der Senatsinnenverwaltung, als der Tagesspiegel nachfragte.

Eine in der Tat symbolhafte Tafel, nur eben anders, als damals geglaubt wurde. In diesem Quadratmeter Bronze spiegelte sich gleichsam die ganze Ambivalenz und Widersprüchlichkeit des Jahres, als Berlin, damals noch getrennt, sein 750-jähriges Bestehen feierte. Da war zum einen die monatelange unentwegte Hochglanzfeierei, die Selbstbespiegelung einer Stadt, die auch in normalen Jahren dazu tendierte, sich für den Nabel der Welt zu halten, und in ihrem 750. erst recht. Und da war die Atmosphäre der Gewalt, die Bereitschaft zum Krawall, anfangs latent und unterschätzt, am 1. Mai dann jäh auflodernd – wenngleich die Jubelfeiern danach erst richtig losgingen: Das Gefühl des Unbehagens, der Sorge, es könnte wieder beginnen mit brennenden Autos, Steinhageln und Schlagstöcken, wollte seitdem nie mehr so ganz weichen.

Die Dauerfeiern von damals haben sich im kollektiven Gedächtnis kaum verhakt, die Ereignisse des 1. Mai 1987 umso mehr, und gerade in diesen Tagen, unmittelbar vor dem 25. Jahrestag der ihre eigene Tradition begründenden Randale in Kreuzberg, sind die Erinnerungen präsent: Der Tag der Arbeit, damals ein Freitag, begann in Berlin um 4.45 Uhr in der Gneisenaustraße 2 im Mehringhof, einem autonomen, von den Sicherheitsbehörden misstrauisch beäugten Projekt im Hinterhof. Dort befand sich das Volkszählungsboykott-Büro, Zentrum des linken Widerstands gegen das damals hoch umstrittene Statistikprojekt. In den Morgenstunden rückten Polizisten an, brachen Türschlösser auf, beschlagnahmten mehrere 1000 Flugblätter, Broschüren, Plakate. Der Fraktionsvorsitzende der Alternativen Liste (AL) im Abgeordnetenhaus, Wolfgang Wieland, sprach später von einer „provokativen Durchsuchung“, und so sah man das insgesamt in der linken Szene und besonders bei den Anarchos. Tagsüber war noch Ruhe, erst am Nachmittag braute sich der Sturm der Gewalt zusammen. Seinen Ausgangspunkt nahm er auf einem Straßenfest auf dem Lausitzer Platz, das von der AL und der SEW, dem West-Ableger der SED, veranstaltet wurde. Das übliche Bier- und Bratwurstidyll, bis ein leerer Streifenwagen umgekippt wurde – erstes Anzeichen, dass es noch Krawall geben dürfte.

Die Geschichte der Maikrawalle in Bildern:

Und es gab ihn: Ab 19.30 Uhr wurde das Straßenfest zum Straßenkampf. Polizeibeamte hatten versucht, den Platz abzusperren, plötzlich flogen erste Steine, dann eskalierte die Situation von Minute zu Minute. Rund um den Heinrichplatz wurden Barrikaden errichtet, bald brannten Autos, 36 Geschäfte wurden geplündert, die U-Bahn-Station Görlitzer Bahnhof verwüstet. Die Polizei war weitgehend unvorbereitet, hatte nur 250 Beamte im Einsatz, die erst im Laufe der Nacht auf 900 Mann verstärkt wurden.

Doch der Hass der etwa 300 Militanten und ihrer rund 600 Mitläufer richtete sich nicht allein gegen die Polizei, sondern ebenso gegen die Feuerwehr, die zu vielen Bränden nicht mehr durchkam und sich im Steinhagel teilweise zurückziehen musste. Auch den Bolle-Markt gegenüber der Station Görlitzer Bahnhof konnten die Feuerwehrmänner nicht mehr retten, seine Zerstörung machte viele damals fassungslos. Erst drei Jahre später stellte sich heraus, dass dieser Brand von einem Pyromanen gelegt worden war, der die Gunst der Stunde genutzt hatte. Heute befindet sich auf dem Grundstück eine Moschee.

Die Bilanz der Nacht war erschreckend: Schäden in Millionenhöhe, 77 Polizei- und 16 Feuerwehrfahrzeuge beschädigt, ein Löschwagen ausgebrannt. Mehr als 400 Verletzte, 53 Festgenommene, von denen aber keiner zum militanten Kern gehörte. Schockiert hat die Behörden wie auch viele Bürger, dass bei den Ausschreitungen eben nicht nur die militanten Autonomen mitmachten, sondern sich an den Plünderungen auch Leute beteiligten, denen man „das nie zutrauen“ würde, wie der Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Walter Momper, sagte. Er wohnte schon damals in Kreuzberg, hatte die Ausschreitungen miterlebt, die von einer relativ kleinen Gruppe „in Bambule erfahrener Leute“ ausgegangen seien, doch verwies Momper auch auf die „Häufung schwieriger sozialer Gruppen“ in Kreuzberg. Offenbar habe sich hinter den zur 750-Jahr-Feier „blankgeputzten Fassaden ein hohes Maß an sozialen Spannungen angesiedelt“, versuchte der AL-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland zu erklären.

Und auch die Sicherheitsbehörden zogen ihre Schlüsse. Eine indirekte Folge war Monate später die einsame Wacht an der Bronzetafel, die es gegen Angriffe aus Kreuzberg zu schützen galt. Als der Tagesspiegel darüber berichtete, wurde sie beendet. Doch auch danach hat sich kein Anarcho für die Tafel interessiert.

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