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Im Schatten. Wie viele Billig-Tagelöhner es in Berlin gibt, wissen die Behörden nicht.

© picture alliance / dpa

Schwarzarbeit in Berlin: 0 bis 4 Euro Stundenlohn

Dutzende Bulgaren bieten täglich in Berlin ihre Arbeitskraft an, illegal und mit hohem persönlichem Risiko. Angst vor Kontrollen hat niemand. Nur vor Abzockern.

Wie kalt sich sieben Grad in Berlin anfühlen können, merkt Orhan Bayrak, als ihm beim Kaffeetrinken der Wind ins Gesicht peitscht. Er, der eigentlich anders heißt, zuckt zusammen, reibt sich mit beiden Händen hektisch die Brust. Dann zieht er seine ohnehin schon enge Kapuze noch ein Stück tiefer über den Kopf. Es ist ein Montagmorgen, 7.45 Uhr an der Badstraße in Gesundbrunnen.

Der 41-jährige Bulgare sitzt an einem Tisch vor einem Backshop, um ihn herum neun Landsleute. Die meisten tragen Latzhosen, Arbeitsschuhe und halten einen starken Kaffee in der Hand. Den verkauft in der Bäckerei eine junge Frau mit Kopftuch für einen Euro pro Becher. Auch Donuts, Börek und Baklava gibt es.

Die Musik spielt sich aber nicht in dem beheizten Geschäft ab, sondern vor der Eingangstür, wo der kalte Wind weht, wo Bayrak grübelt. Er ist eigentlich kein Pessimist, aber an diesem Morgen glaubt er nicht mehr an sein Glück. „Es hat sich immer noch nichts ergeben, aber bis 10 Uhr halte ich durch“, sagt er und fixiert die viel befahrene Straße vor ihm. Alles im Blick haben – für den dreifachen Familienvater ist das wichtig. Denn er muss bereit sein, wenn der nächste Transporter rechts ranfährt. Schnell sein, wenn das Fenster runtergekurbelt wird und der Fahrer nach neuen Arbeitskräften ruft. Kraft haben, wenn es losgeht – auf irgendeiner Baustelle, irgendwo in Berlin.

Der Jüngste in der Runde ist 26, der Älteste 64

Orhan Bayrak hat ein rundes, sympathisches Gesicht. Frisch rasiert, dunkle Haare, eingepackt in eine Art Regenjacke. Er stammt aus Warna, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer. Seit Juli dieses Jahres lebt der ehemalige Busfahrer in Wedding. Mit seiner Frau und den drei Kindern lebt er in einer Pension, sie teilen sich ein Zimmer. Anfangs hatte er auch einen Hund, aber der wurde totgefahren. „Die Polizei kam, dann brach Chaos aus. Ich spreche kein Deutsch, die Beamten konnten mich nicht verstehen. Am Ende hieß es, nicht die deutsche Autofahrerin sei schuld, sondern ich“, poltert er auf Türkisch.

Die Männer im Hintergrund hören ihm zu, grinsen. Die meisten sind bulgarische Türken – eine Minderheit in dem Land. Der Jüngste in der Runde ist 26 Jahre alt, der Älteste 64 Jahre. Letzterer wirkt schwach. Manchmal spielt sein Blutdruck nicht mit, die Männer müssen ihn dann nach Hause bringen.

Dieser Backshop an der Weddinger Badstraße ist einer der Orte in Berlin, vor denen illegale Tagelöhner auf Auftraggeber warten.

© Hasan Gökkaya

Der Backshop nahe dem U-Bahnhof Pankstraße ist für Orhan Bayrak und bis zu 20 weitere Bulgaren fast jeden Tag die erste Anlaufstelle. Woche für Woche, von Montag bis Sonnabend, stehen die Männer ab fünf Uhr dort. Der zehn Meter lange Gehweg vor dem Eingang gehört zu Berlins „Arbeiterstrichen“. Manche nennen diese Orte so und spielen damit auf die Arbeitsbedingungen an. Die Männer werden hier von Türken, Kurden, Arabern, Serben, aber auch Deutschen mit dem Auto eingesammelt und auf Baustellen, in Gartenbetriebe oder zu Umzügen mitgenommen. Dort angekommen, werden sie zu Tagelöhnern in einer Welt, die mit deutschen Gesetzen nichts mehr zu tun hat. Orhan Bayrak und seine „Kollegen“ arbeiten schwarz. Sie werden bar ausgezahlt. Es ist schnell gemachtes Geld, ohne Papiere, ohne Steuern.

Leichte Arbeit ist es nicht. „Wir schuften zwölf bis 14 Stunden am Tag. Wenn wir Pause machen, wollen die Chefs, dass wir mit der rechten Hand buddeln und mit der linken unser Brot essen“, sagt Bayrak. „Am Ende des Tages gehen wir meistens mit 40 bis 60 Euro nach Hause.“ Auf den Stundensatz gebrochen sind das drei bis vier Euro – weit unter dem Mindestlohn. Weit unter der Menschenwürde. Warum tut sich Bayrak das an?

Die wenigsten haben eine qualifizierte Ausbildung

„Ja, ja, ja ... Ich weiß! Es ist sehr wenig Geld für die Arbeit. Aber es ist am Ende immer noch mehr als das, was ich in Bulgarien bekomme.“ In seiner Heimat gebe es keine Arbeit und somit keine Möglichkeit, Frau und Kinder zu versorgen. Zudem habe er ohnehin schlechte Karten: „Wenn man einen muslimischen oder türkischen Namen hat, ist es in Bulgarien doppelt so hart, Arbeit zu finden“, sagt er. Ein rauchender Mann, dem die vorderen Zähne fehlen, nickt zu Bayraks Worten. Auf die Frage, warum Bayrak als EU-Bürger keine legale Arbeit sucht, gibt er Sprachschwierigkeiten an.

Andere Männer sagen, sie seien zu alt für den Arbeitsmarkt. Viele von ihnen sind vom Land. Eine qualifizierte Ausbildung haben nur die wenigsten.

Treffpunkte wie an der Badstraße gibt es auch am Leopoldplatz in Wedding und an der Hermannstraße in Neukölln. Wie viele es insgesamt sind und wie viele Billig-Tagelöhner es in Berlin gibt, wissen die Behörden nicht. Tagelöhner gibt es aber auch in anderen Großstädten. In München stehen täglich Dutzende Arbeiter wie Bayrak am Straßenrand. Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg prägen täglich bis zu 70 Roma aus Bulgarien und Rumänien das Straßenbild. Sie warten mit Helmen in der Hand vor Kneipen und kleinen Cafés. Wer sie engagiert und wo sie arbeiten werden, sind Fragen, die die Männer nie stellen.

Manchmal wird Bayrak am Ende des Tages nicht bezahlt

Schwarzarbeit ist in Deutschland ein sensibles Thema – im vergangenen Jahr sind dem Fiskus dadurch 800 Millionen Euro an Einnahmen verloren gegangen. Für die Bekämpfung illegaler Beschäftigung ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zuständig, eine Arbeitseinheit des Zolls. Die Beamten suchen unter anderem ohne Ankündigung morgens Baustellen und Betriebe nach Schwarzarbeitern ab. Das ist mühselig, in der Regel werden stundenlang Papiere geprüft.

Orhan Bayrak wurde noch nie kontrolliert und von der FKS hört er zum ersten Mal. „Ich habe keine Angst vor der Polizei. Ich habe doch nichts verbrochen, nur weil ich hier sitze“, sagt er. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit für Bayrak, erwischt zu werden, nicht hoch, da es an den Sammelpunkten keine Razzien gibt. Zollbeamte können erst tätig werden, wenn die Tagelöhner bei der Ausführung illegaler Arbeit erwischt werden. Ein Zugriff durch die FKS an der Badstraße, Hermannstraße und am Leopoldplatz ist nicht möglich, da das bloße Warten keine Straftat ist. Und eine Verfolgung der Fahrzeuge, die die Tagelöhner abholen, wäre extrem aufwendig.

Bayrak hat sich an das, was er tut, gewöhnt. „Aber nicht an die Abzocker“, sagt er wütend. Mit Abzockern meint er manche türkischen und kurdischen Männer, die Tagelöhner wie Bayrak für Arbeit anheuern. „Die machen etwa 80 Prozent der Fahrer aus, die uns abholen. Und ausgerechnet die bezahlen uns manchmal einfach nicht, obwohl wir doch auch Muslime sind.“ Manchmal hört Bayrak nach einer 14-Stunden-Schicht, dass der Automat kein Geld ausgespuckt habe oder sie ihren Lohn erst nächste Woche bekommen würden. „Alles Lügen. Aber wir müssen das akzeptieren. Wir können ja schlecht die Polizei rufen.“

Als es kurz vor zehn Uhr ist, entschuldigt sich Orhan Bayrak – er müsse jetzt gehen. Arbeit hat er heute nicht gefunden, aber vielleicht findet er sie morgen, „so Allah will“. Beim Gehen dreht er sich um und lächelt: „Vergessen Sie meinen Hund nicht.“

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