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Ernst gemeint? Total. Alex Turner wirft sich in Pose.

© imago

Arctic Monkeys live in Berlin : Balladen des möglich Gewesenen

Die britische Band hat ein Repertoire mit auseinander strebenden Stilen. Sie versucht sie zusammenzubinden, koste es, was es wolle. Leider ist der Preis hoch.

Es hat seinen Preis, wenn sich eine Band ihrem Sänger vollkommen ausliefert. Der Gewinn besteht darin, dass es kaum etwas Spannenderes gibt als einen Sänger mit einer guten Band, wie man am Dienstag wieder in der Mercedes-Benz-Arena erlebt hat, wo sich die Arctic Monkeys auf einer dezenten Art-Deco-Bühne als Kinder unvergessener Träume präsentieren. Alex Turner wirft sich am Bühnenrand in die exaltierten Posen des Großraumerzählers, durch verschlungene Textgirlanden mäandernd, während seine Jugendfreunde bloß noch Gehilfen sind, ihm die passende Soundkulisse zu liefern.

Der Preis geht über diesen Bedeutungsverlust, über den man streiten mag, noch hinaus. Er wird bezahlt damit, dass ein Konzert der einst aufregendsten britischen Rockband in Teile zerfällt, die nicht mehr zueinander passen. Für die Balladen ist der Sound zu fett, für die Rock-Hits zu breit. So radikal hat sich das Quartett aus Sheffield von seinen Anfängen abgewandt, dass es nun Mühe hat, seine Identitäten in eine Linie zu bringen. Die alten Songs und die neuen stehen sich im Weg.

Ohnehin handelt es sich bei den Arctic Monkeys mittlerweile um drei Bands – in einer.

Als die vier Jungs aus der mittelenglischen Industrie-Region 2005 mit ihrem Debütalbum sämtliche britischen Verkaufsrekorde brachen, da handelte es sich um eine Rockband. Schnell, hart. Ruppiger Working-Class-Jargon. Sie brachten in schneller Folge vier Alben heraus, die der Britpop-Welle immer wieder neuen Schwung verliehen. Jedes baute auf dem Vorgänger auf, war mal lauter und härter bis an die Grenze zum Heavy Metal, mal bediente es sich beim Riff-lastigen, breitbeinigen Desert-Rock.

Anticipation has the habit to set you up / For disappointment in evening entertainment, but / Tonight there’ll be some love...

Aus „The View From The Afternoon“ von Arctic Monkeys (2006)

Nach 2011 hätte Schluss sein können, das Rezept des aufgekratzten Indie-Rock hatte sich verbraucht. Viele Bands, die zeitgleich berühmt geworden waren, hatten längst aufgegeben oder schoben nur lahmes Zeugs nach.

Doch die Arctic Monkeys mutierten zu einer zweiten Band. Diesmal: Hip-Hop Beats, Soul-Melodien, Surfer-Chöre und erdige Blues-Akkorde. „AM“, wie das fünfte Album 2013 hieß, mochte sich schon angekündigt haben in früheren Songs, doch sein wuchtiger Rhythm-Rock hatte mehr mit den USA als mit UK zu tun.

Drei Bands in einer und ein Sänger. Alex Turner (vorne) mit Bassist Nick O’Malley, Drummer Matt Helders und Jamie Cook an der Gitarre (v. li.)
Drei Bands in einer und ein Sänger. Alex Turner (vorne) mit Bassist Nick O’Malley, Drummer Matt Helders und Jamie Cook an der Gitarre (v. li.)

© picture alliance/dpa/Domino Records/Zackery Michael

Die dritte Band gibt es seit 2019 im Lounge-Format, wie man es sich bei gedämpftem Licht zwischen Samtvorhängen auf einer Casino-Bühne in Las Vegas vorstellen würde: fließende Akkorde, wehende Synthie-Sounds und vor allem der unaufdringliche, manierierte Crooner-Gesang von Turner, der den Alleinunterhalter mimt.

Mit dem Album „The Car“, das im Sommer letzten Jahres erschien, hat die Band das Konzept des modernisierten Soft-Pop weiter verfeinert.

Das Erstaunlichste daran ist, dass die Band als solche erhalten blieb und mit derselben Besetzung weitermacht. Neben Sänger, Gitarrist und Lehrersohn Alex Turner sind das sein Schulfreund Jamie Cook, der zeitgleich mit ihm selbst zu Weihnachten 2001 eine E-Gitarre geschenkt bekam, Schlagzeuger Matt Helders, den das Duo auf der Stocksbridge Highschool kennenlernte, und Nick O’Malley, der als Bassist erst nur für eine Amerika-Tournee einsprang und dann blieb. Alle müssen sich dem neuen Sound verschrieben haben, obwohl er ihnen weniger Raum zugesteht – allen außer dem Sänger.

Alex Turner kann sich noch weiter in etwas hineinsteigern, was man als intime Konversation mit einem fiktiven Gegenüber bezeichnen kann. Es geht um Nähe, statt wie früher um Überwältigung. Turner legt seine „ballad of what could’ve been“ als endloses Zwiegespräch an. Was die Frage aufwirft: Wie all die diversen Versatzstücke dieser atemberaubenden Karriere in einem Konzert zusammenfinden?

Ich könnte als 17-Jähriger durchgehen, wenn ich mich nur rasieren und etwas Schlaf kriegen würde.

Alex Turner in „Hello You“

Einmal heißt es, „the Business they call show / Hasn’t ever been this pumped-up before.“ Das Gegenmodell ist eine Musik, die keine Sperenzchen macht und es ernst meint in ihrem elegischen Ton. Der setzt sich durch, je länger der Abend dauert. Nachdem die Rock-Nummern abgeräumt sind, die den Radau der Jugend in sich tragen. Frühe Kracher wie „Brainstorm“ und „Teddy Picker“ donnern im Eiltempo durch das weite Oval der Arena, ohne dass der Funke überspringen könnte. Die Band war mal so tight. Doch davon ist, verstärkt durch eine zweite Band mit Keyboardern und Gitarristen, wenig zu hören.

Man spürt das Bemühen, Schneisen durch das eigene Werk zu schlagen, statt es in Blöcke aufzuteilen. Am besten funktionieren jene Songs ihres 2013er-Meisterwerks „AM“, die große Pop-Melodien mühelos mit Blues-grundierten Riffs verbinden und den Exzentriker in Turner noch zügeln.

Das sehr junge und auffallend weibliche Publikum scheint allerdings keine Schwierigkeiten mit den Brüchen zu haben. Es ist rundweg begeistert von Turner, den es als Role Model einer eleganten, abgerüsteten Männlichkeit verehren mag. Optisch eine Mischung aus jungem Bob Dylan und Brian Ferry nimmt er Rockstarposen wie ein Dirigent ein.

Dazu passen seine femininen Gesten, die Gender-Grenzen zerfließen lassen. Wie überhaupt Liebe und Begehren von ihm stets mit großen Fragezeichen versehen werden. Turner ist seinem Wesen einer, der sich seiner nie ganz sicher ist. „Ich könnte als 17-Jähriger durchgehen“, singt er, 37, einmal, „wenn ich mich nur rasieren und etwas Schlaf kriegen würde.“ Das verbindet.

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