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Pfeilerförmiger Megalith mit menschlichem Kopf in Orahili auf der Insel Nias.

© Foto: Filemon Hulu

Ahnenkult in der Datenbank : Sprechende Steine

Der Archäologe Dominik Bonatz erforscht indonesische Megalithen. Gespräche mit den Menschen vor Ort sind unerlässlich.

Von Jennifer Gaschler

Liebe auf den ersten Blick war es quasi, als Dominik Bonatz bei seiner Hochzeitsreise nach Indonesien auf die vielen Steindenkmäler aufmerksam wurde. Von tonnenschweren, rau behauenen Blöcken bis hin zu figurativen überlebensgroßen Skulpturen reicht dort das Erscheinungsbild. 22 Jahre später beschäftigt sich der Professor am Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität wieder mit den Megalithen des Archipels. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) legt er zusammen mit seinem Kollegen Johannes Greger eine detaillierte Datenbank über die Steinformationen auf Sumatra an.

„Megalithen haben mich als Archäologe schon immer interessiert: als letzte Relikte vergangener Kulturen, als unvergängliche Objekte, die einst mit einem unglaublichen Arbeitsaufwand transportiert, graviert und errichtet wurden“, sagt Dominik Bonatz. Faszinierend sei auch, dass die Monumente im heutigen Indonesien immer noch eine Rolle spielen: „Manche Dörfer sehen mythologische Figuren in ihnen, andernorts werden weitere Stelen und Skulpturen errichtet und so das Erbe der Vorfahren weitergeführt.“

Das Projekt „Sprechende Steine – Megalithen auf Sumatra“ läuft drei Jahre lang

Er erforsche sonst nur Kulturdenkmäler, zu denen er niemanden mehr befragen könne, weshalb er den Aspekt der lebenden Archäologie sehr spannend finde, sagt der Professor. Bereits 2002 konnte er mithilfe eines ersten genehmigten Forschungsantrags mit ethnoarchäologischer Feldforschung zu den Megalithen beginnen. Mehrfach fanden in den Folgejahren Ausgrabungen und Dokumentationen statt. Das neue Projekt „Sprechende Steine – Megalithen auf Sumatra“ läuft nun drei Jahre lang.

Auf dem Inselarchipel findet sich eine der variantenreichsten Megalith-Kulturen. Die ältesten Objekte sind dabei bis zu 2500 Jahre alt, die jüngsten wenige Jahre. „Bei Ausgrabungen versuchen wir zuerst, die primäre Funktion der Monumente zu ermitteln, als zweiten Schritt beginnen wir einen Dialog mit der Bevölkerung zum aktuellen Umgang mit den Steinen“, sagt Dominik Bonatz. In Mahat etwa, einem abgeschiedenen Tal in Zentralsumatra, finden sich an mehreren Orten bis zu 300 Monolithen, ihre Spitze ist gebogen und sie sind einem Vulkan zugewandt. „Sie stehen auf einem Gräberfeld, der Vulkan könnte also als spirituelle Energie für eine animistische Religion verstanden worden sein“, erläutert der Altertumswissenschaftler.

Einige dieser Steine seien auch modelliert, etwa mit Blumenranken. „Wir haben dann in der Nähe ansässige Menschen gefragt, was florale Muster in der heutigen Textilkunst bedeuten: Es sind Fruchtbarkeitssymbole.“ Das wiederum würde gut passen zu der ertragreichen Vulkanerde. In einen liegenden, fast vier Meter langen Felsen in Dusun Tuo im Hochlandregenwald wurden dagegen Körper eingekerbt, die sich hintereinander an den Schultern fassen. Ähnliche Motive gebe es auch heute noch in der traditionellen indonesischen Schnitzkunst. Sie symbolisierten Ahnenreihen, berichtet der Archäologe.

Gespräche mit den Einheimischen sind unerlässlich für das Verständnis der Megalithen

Das Gespräch mit den Einheimischen und Kooperationspartnern vor Ort sei unerlässlich für die Erforschung der Megalithen. Dabei zeigten sich, so Dominik Bonatz, große Unterschiede zwischen muslimisch und christlich missionierten Gebieten. Auf der kleinen christlichen Insel Nias südlich von Sumatra wurden vor einem Haus über 14 Generationen hinweg skulptierte Megalithen mit Gesichtern errichtet. Die Ersten, die in dem Dorf siedelten, waren der Legende nach zwei Brüder, sie sollen die ersten beiden Statuen anfertigen lassen haben – eine Praxis, die bis heute besteht: „Jeder bedeutende Bürger gibt dort einmal im Leben ein großes Fest, bei dem er ein Steindenkmal errichten lässt. Dabei erwirbt er einen Ehrennamen“, erläutert der Wissenschaftler.

Der Stamm der Batak am Toba-See bewahrte vom 16. bis 19. Jahrhundert die Knochen herausragender Gesellschaftsmitglieder in Steinsarkophagen auf, verziert mit dem Kopf des mythologischen Wesens Singa, das die Welt auf dem Rücken trägt. Teilweise würden bis heute Angehörige der Königsfamilie in den historischen Sarkophagen bestattet. Der Ahnenkult habe aber auch seinen Weg in die heute christliche Batak-Kultur gefunden, sagt Dominik Bonatz: „Sie errichten jetzt Häuser aus Zement und Kacheln als Stätten für die Knochen angesehener Familienmitglieder. Vor diesen detailreich ausgestatteten Gebäuden sitzen Gipsfiguren, die Gründer eines Klans.“

In den muslimisch geprägten Gebieten Indonesiens gebe es dagegen einen Bruch in der Megalith-Kultur: Die Denkmäler werden zwar gepflegt, haben aber keine religiöse Bedeutung mehr. Stattdessen interpretiere die Bevölkerung sie um, wie der Wissenschaftler an einem Beispiel aus Pasemah in Südsumatra aufzeigt, einer steinernen Statue, bei der ein Wesen einen Elefanten niederringt: „Man sagt, dass dies ein Gott aus der Zeit sei, in der es noch indische Götter in Indonesien gegeben habe.“ Andere Mythen erzählten, dass die Felsen rund um einen Vulkan deshalb dort landeten, weil sich zwei Götter mit ihnen beworfen hätten, wieder andere stellten von Göttern versteinerte Menschen dar.

All diese Informationen, sagt Dominik Bonatz, werden nun in eine Datenbank überführt, bei der die GPS-Koordinaten der Denkmäler vermerkt werden, deren Aussehen und Interpretation, derzeitige Nutzungen sowie wissenschaftliche Publikationen. Dort könnten auch die Veröffentlichungen indonesischer Forschender eine breitere Aufmerksamkeit erfahren, betont der Archäologe. So soll auch im Archipel das Bewusstsein dafür wachsen, dass die Megalithen, die stark von illegalem Antiquitätenhandel bedroht sind, schützenswertes Kulturerbe seien.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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