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Wohin die Reise beim Klimaschutz geht, beschließen die Staats- und Regierungschefs der EU am 10. und 11. Dezember.

© Christian Ohde/imago images

Neues Klimaziel: Europa macht sich grün

Die EU will Klimaneutralität bis 2050 und verschärft ihre Ziele für 2030 – was bedeutet das für Deutschland?

Kommende Woche wollen die Staats- und Regierungschefs der EU eine historische Entscheidung treffen. Sie werden mit ziemlicher Sicherheit beschließen, das Klimaziel der EU zu verschärfen und die Geschwindigkeit beim Klimaschutz zu verdoppeln. Die Emissionen von Klimagasen sollen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. In den 30 Jahren seither hat die EU erst die Hälfte davon erreicht.

Mehr Tempo muss sein, denn ohne das neue Ziel für 2030 ist Klimaneutralität bis 2050 nicht zu schaffen. Bis zu diesem Jahr sollen sich die Emissionen und ihre Bindung etwa in Wäldern die Waage halten. Dazu hat sich die EU bereits verpflichtet. Es ist ihr gelungen zu vermitteln, dass sie es ernst meint: China bekannte sich daraufhin im September dazu, bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden. Klimagase wie Lachgas aus der Landwirtschaft sind da noch ausgespart. Aber mit ihrem riesigen Binnenmarkt im Rücken hat die EU ein Klimadomino in Asien ausgelöst. Nach China erklärten auch Japan und Südkorea, bis 2050 netto keine Klimagase mehr auszustoßen.

In der EU gibt es allerdings noch Redebedarf. Polen möchte genauer wissen, wie der Übergang zur kohlenstofffreien Wirtschaft aussehen soll. Das Land stellt seinen Strom überwiegend aus Kohle her. Auch Einkommensunterschiede in der Union muss die EU beachten. Das Durchschnittseinkommen in Rumänien beträgt nur ein Fünftel dessen, was in Österreich verdient wird. Für viele Rumänen wird es ohne Hilfe nicht möglich sein, ihre Häuser klimafest zu sanieren.

Osteuropäische Staaten und Regionen mit Kohle- und Schwerindustrie – auch in Deutschland – können aber auf die EU zählen. Im Entwurf der Abschlusserklärung für den Gipfel im Dezember steht: „Das Ziel wird von der EU gemeinsam auf möglichst kostengünstige Weise erreicht.“ Das heißt: Nicht jedes Land muss 55 Prozent liefern. Doch wer mehr kann, muss mehr tun. Und weiter: „Alle Mitgliedstaaten werden sich unter Berücksichtigung von Fairness und Solidarität an diesen Bemühungen beteiligen.“

Möglich wäre ein Fonds für die Länder mit den größten Problemen beim Strukturwandel. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte in der Lage sein, hier einen Kompromiss zu schmieden und die Zustimmung zum neuen Ziel zu sichern.

Autofahren und Heizen werden teurer

Wie genau der Umbau der Wirtschaft in Europa verlaufen soll, ist damit aber noch nicht beantwortet. Die EU-Kommission hat es in einer ersten Folgenabschätzung zum neuen Ziel nur umrissen. Wie auch anders? Die Mitgliedsstaaten müssen ja mitreden. Eine zweite Folgenabschätzung im kommenden Jahr soll mehr zeigen. Dafür hat die Kommission Gespräche mit allen Mitgliedsstaaten geführt.

Sicher ist: Schlüsselinstrument für den Wandel wird der CO2-Preis sein. Bereits jetzt sind Industrie und Kraftwerke verpflichtet, am europäischen Emissionshandel mit Verschmutzungsrechten für Kohlendioxid teilzunehmen. Gebäude und Verkehr sollen mittelfristig folgen.

Um das neue Ziel für 2030 erreichen zu können, muss die EU die Zahl der Verschmutzungs-Zertifikate verknappen. Dann werden Autofahrten und Heizen teurer. In Deutschland kommt das sogar eher als auf europäischer Ebene; im Januar startet ein eigener nationaler Emissionshandel für Gebäude und Verkehr. In der Theorie werden die höheren Kosten von Benzin, Gas und Öl zu Einsparungen führen. Es würden kleinere Autos gekauft und mehr Häuser gedämmt.

Ein CO2-Preis allein wird nicht reichen

Im wahren Leben gibt es dafür zwei Hindernisse: Autofahrer reagieren unflexibel auf Preise. Entweder sie müssen auf jeden Fall fahren oder sie können es sich leisten, mehr zu zahlen. Hausbesitzer stehen vor vielen Problemen. Sie haben zu wenig Fachwissen für so etwas Komplexes wie eine Gebäudesanierung, finden keine Handwerker oder haben keinen Anreiz, energetisch zu sanieren, weil nur ihre Mieter Geld dabei sparen würden.

Bei der energetischen Sanierung von Gebäuden geht es nach einhelliger Meinung von Experten zu langsam voran.
Bei der energetischen Sanierung von Gebäuden geht es nach einhelliger Meinung von Experten zu langsam voran.

© Michael Gottschalk/imago/photothek

Der Preis allein kann es also nicht richten. Die EU-Kommission wird darum 2021 einen ganzen Stapel von Gesetzen vorschlagen, allesamt schon in Strategieplänen anmoderiert. Geplant sind strengere Grenzwerte für Autos und verbindliche Effizienzstandards für den Hausbau, mehr erneuerbare Energien und eine andere Energiebesteuerung, Wasserstoff als neuer Brennstoff für die Industrie, ein Recht auf die Reparierfähigkeit von Produkten, mehr Ökolandbau und ein Schutzmechanismus gegen Importe aus Ländern mit lascheren Klimaregeln. 30 Prozent des EU-Haushalts soll klimarelevant ausgegeben werden, bei den Corona-Hilfsmitteln sogar 37 bis 40 Prozent. Ein guter Schnitt von insgesamt 1,8 Billionen Euro für die nächsten sieben Jahre.

Knapp zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für den Umbau

Mit den neuen Gesetzen wird der Green Deal der EU umgesetzt, ihre „Mondmission“, wie es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte. Der Fahrplan für eine nachhaltige Wirtschaft soll der EU als Trendsetter Vorteile auf dem Weltmarkt verschaffen. Und das sozial gerecht, ohne jemanden zurückzulassen, so jedenfalls das Versprechen.

Die Rechnung für den Green Deal beträgt jährlich 260 Milliarden Euro – alle zusätzlich nötigen öffentlichen und privaten Investitionen der EU und der Mitgliedsstaaten zusammengerechnet, so die Kommission. Das sind knapp zwei Prozent des Bruttosozialprodukts der EU. Es ist viel Geld, aber weniger, als die Schäden durch den Klimawandel kosten würden und nicht zu viel, um es zu mobilisieren.

Helfen dabei wird die neue EU-Klima-Taxonomie. Sie klassifiziert Anlageprodukte und Vermögenswerte in klimafreundliche oder mit Klimarisiken behaftete. Die Details gehen bis hinunter auf die Ebene, wie viel Gramm CO2 ein Kraftwerk ausstoßen darf – es sind 100 Gramm pro Kilowattstunde. Zu wenig, um es mit fossilen Energien ohne das Ausfiltern von Kohlendioxid zu schaffen.

Die Klima-Taxonomie könnte die Geldströme hin zu fossiler Energie austrocknen und in nachhaltige Projekte umleiten. Die Taxonomie ist fast fertig, eine letzte Verordnung wird gerade beraten. Sie wird dem stark wachsenden Markt für grüne Finanzprodukte einen Schub verleihen. Greenwashing wäre damit ausgeschlossen, während man den grünen Wandel glaubwürdig finanzieren könnte.

Oberleitungen für Lkw statt synthetischer Kraftstoffe

Es sind also eine Menge Regeln auf dem Weg, aber in den wohl durchdachten Plänen gibt es noch eine Leerstelle: Die Bürgerinnen und Bürger sind bisher kaum an dem Prozess beteiligt. Ja, es gibt das Aktionsbündnis Klimaschutz unter der Führung des Bundesumweltministeriums. Mehr Beteiligung fordert ein Bündnis um die Aktivisten von Extinction Rebellion, nämlich einen ausgelosten Bürgerrat für Klimafragen, wie ihn Frankreich und Großbritannien hatten. Es läuft dazu auch eine Petition im Bundestag.

Gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen steht die Klimapolitik immer vor einem Vermittlungsproblem. Hohe Investitionen sollen Folgen des Klimawandels in der Zukunft abwenden, müssen aber in der Gegenwart durchgesetzt werden. Für die Verbraucher wird sich der neue deutsche CO2-Handel insofern auszahlen, als die Einnahmen über eine Senkung des Strompreises weitergegeben werden.

Eine Vision für ein besseres Leben in einer klimafreundlichen Welt leuchtet da aber noch nicht auf.

Auf Teststrecken können E-Lastwagen in Deutschland seit 2018 mit Oberleitung fahren.
Auf Teststrecken können E-Lastwagen in Deutschland seit 2018 mit Oberleitung fahren.

© picture alliance/dpa/Silas Stein

Auf den ersten Blick unattraktiv wirkt eine der vielen Lösung für die Klimakrise: die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs mit Oberleitungen entlang der Autobahnen ähnlich wie an Zugstrecken. Eine Untersuchung des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung zeigte jüngst die Vorbehalte dagegen. Oberleitungen wurden als teuer und visuell störend eingeschätzt. Die Vorteile – weniger Lärm und Abgase – sahen die Befragten zunächst nicht. Die teurere Technologie für Lkw sind in Wirklichkeit die synthetischen Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien. Diese werden aber von Interessengruppen propagiert, weil sie dem Verbrennungsmotor das Überleben ermöglichen.

Umverteilung von oben nach unten

Klimaneutralität wird auch bei den Unternehmen Verlierer produzieren. Doch immer mehr wollen mitmachen. Zuletzt hat sogar der Verein der Zementindustrie einen Fahrplan für Klimaneutralität bis 2050 vorgelegt. In dieser Branche sind die Emissionen besonders schwer zu senken. Konsumgüterkonzerne haben es da einfacher. Ikea zum Beispiel will bis 2030 klimapositiv sein, also das Klima sogar entlasten; Henkel plant das gleiche für 2040.

Zukunftssichere, saubere Jobs sind ein Versprechen, das der Green Deal ziemlich sicher einlösen wird. Doch nicht alle sozialen Folgen kann das abfedern. Die soziale und die ökologische Frage gemeinsam anpacken will Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch. „Der ärmeren Hälfte der Menschen in Deutschland, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hat, muss ermöglicht werden, die notwendige Transformation mitzutragen. Und besondere Notlagen müssen gezielt ausgeglichen werden“, sagt er.

Wichtig wäre, die Einnahmen aus dem CO2-Preis gleichmäßig pro Kopf zu verteilen, betont Bals. Das sei eine verursachergerechte Umverteilung von oben nach unten, denn die höheren Einkommen setzten mehr CO2 frei. Solche Konzepte, hofft er, werden in Deutschland spätestens mit einer neuen Bundesregierung möglich sein.

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