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Bei der Demo der Identitären Bewegung im vergangenen Jahr in Berlin standen Frauen in der ersten Reihe.

© imago/Christian Mang

Frauen bei der Identitären Bewegung: Rechte Schwestern ganz vorn

Sie sind nicht nur passive Anhängsel: Die Frauen der völkischen Identitären Bewegung wollen feminin und wehrhaft zugleich sein. Ihre Kampagne schürt Angst.

Die Technik macht Probleme. „Lauter, lauter“, ruft das Publikum, als Paula Winterfeldt, eine zierliche junge Frau mit schwarzen Haaren, auf dem Demowagen ihre Rede beginnt. Doch das Soundsystem gibt nicht mehr her. „Ich rede so laut ich kann, versprochen“, ruft Winterfeldt. Auf ihrem weißen T-Shirt steht „Our City – Our Rules“ – unsere Stadt, unsere Regeln.

Ich erinnere mich sehr gut an eine Zeit“, setzt Winterfeldt erneut an, „als Europa noch nicht von Terror und Massenvergewaltigungen heimgesucht wurde. An eine Zeit, in der wir Deo statt Pfefferspray in unseren Taschen hatten.“ Doch die Zeiten, ruft sie, hätten sich geändert. Mittlerweile fielen „Horden von Männer über schutzlose Frauen her“. Sie überlege sich manchmal heimlich, „mir ein Kopftuch anzuschaffen, um nachts sicherer nach Hause zu kommen“.

Es ist der 17. Juni vergangenen Jahres, ein warmer Tag, und die vom Verfassungsschutz beobachtete Identitäre Bewegung hat zu ihrer bislang größten Demo in Deutschland mobilisiert. Hunderte junge Menschen ziehen mit gelb- schwarzen Fahnen durch Berlin-Gesundbrunnen, skandieren nationalistische Parolen und fordern „Grenzen dicht“ . Direkt hinter dem Demotransparent, gut sichtbar für alle Kameras: auffällig viele junge Frauen.

Das ist kein Zufall. Die Identitäre Bewegung, die sich als hippe Jugendbewegung inszeniert, will anschlussfähiger werden. „Frauen gelten stereotyp als ,friedlich’ und ,unpolitisch’. Die Identitären nutzen das, um ihrer Bewegung ein unverfängliches Image zu geben“, sagt die Cottbusser Rechtsextremismusexpertin Heike Radvan. Meist stehen bei den Identitären sonst nämlich Männer im Vordergrund: etwa bei der Banneraktion am Brandenburger Tor oder auf dem Anti-Flüchtlings-Boot im Mittelmeer im vergangenen Jahr. Seit einigen Monaten formiert sich nun aber ein rechter Protest, der Frauen komplett in den Mittelpunkt stellt und zeigt, dass diese in der rechten Szene längst nicht nur passive Anhängsel sind.

Wissenschaftlerin: #metoo-Debatte soll gekapert werden

Das Video tauchte vor ein paar Wochen auf. „Ich wurde in Kandel erstochen, ich wurde in Malmö vergewaltigt, ich wurde in Rotherham missbraucht und ich wurde in Stockholm überfahren“, sagen junge Frauen darin. Sie haben sich gefilmt in ihren Wohnungen, das Video ist unterlegt mit melancholischer Klaviermusik. „Ich bin Mia, Maria und Ebba“, sagen sie. Die Aktivistinnen beziehen sich auf Opfer und Verbrechen, die eines gemeinsam haben: Dass die Täter einen Migrationshintergrund hatten. Sie klagen den Staat an, der nicht in der Lage sei, Frauen zu schützen. Der Name der Kampagne: „120 Dezibel“ – angelehnt an die Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms. Hashtag: #120db.

Wissenschaftler ordnen die 120-Dezibel-Kampagne als völkisch und rassistisch ein. „Es ist nicht grundsätzlich falsch, was die Aktion benennt. Sexuelle Gewalt kommt aber quer durch die Religionen und Milieus vor“, sagt die Münchner Soziologin und Genderforscherin Paula-Irene Villa. „Das unterschlägt 120db völlig – und tut so, als gäbe es das in Deutschland nicht, sondern als würde das erst importiert.“ Es gehe darum, gezielt Ängste zu schüren beziehungsweise diese ideologisch zu vereinnahmen. Durch Muslime begangene Straftaten – wie etwa der Mord an der 15-jährigen Mia in Kandel – würden genutzt, um Stimmung gegen Minderheiten zu machen. Gleichzeitig werde mit der #120db- Kampagne versucht, die #metoo-Debatte der vergangenen Monate zu kapern.

„Wir sind die wahren Feministen!“

Anmelder der 120-Dezibel-Website ist Martin Sellner, Anführer und Popstar der Identitären im deutschsprachigen Raum. „Die Kampagne ist von Männern bei den Identitären erdacht. Aber die Frauen machen dabei sehr gerne mit“, sagt die Berliner Professorin Esther Lehnert, die dem Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus angehört. Im Video tauchen etwa identitäre Aktivistinnen wie Winterfeldt auf.

Wer sich einmal die Grundideen des Feminismus angesehen hat, wird feststellen, dass die Strömung der weiblichen Identitären nur wenig mit Feminismus im Sinne von Gleichberechtigung und Menschenwürde aller in einer Gesellschaft Lebender zu tun hat.

schreibt NutzerIn The_Robin_Hood_Principle

#120db passt zur Erzählung der Identitären vom „Großen Austausch“, der angeblichen gezielten Überfremdung Europas durch Masseneinwanderung von Muslimen. Frauen wären, so das Narrativ, die ersten Opfer dieses Prozesses. Ähnlich argumentieren auch die AfD und ihre Protagonisten. Als kürzlich in Berlin die AfD-Politikerin Leyla Bilge einen „Frauenmarsch“ organisierte, ließ sie wissen: Die Freiheit der Frauen sei durch eine Islamisierung in Gefahr. Auf der Demo wurde der Eindruck vermittelt, als müssten sich deutsche Frauen bald vollverschleiern – wenn die Zuwanderung nicht gestoppt werde. Der rechte Publizist David Berger, der auf dem Demowagen eine Rede hielt, rief deshalb sogar: „Wir sind die wahren Feministen!“

„Das sind keine schüchternen Heimchen“

Der nächste Schritt der #120db-Kampagne folgte bei der Berlinale – dort unterbrachen identitäre Frauen eine Podiumsdiskussion zu sexueller Belästigung in der Filmbranche. Unter Taschenalarmgeheul verteilten sie Flyer. Eine typische Aktion für die Identitären, die gern ähnliche Protestmethoden verwenden wie Linke und Umweltschützer. Stören gehört dazu.

„Es ist auffällig, wie poppig und jung die Identitäre Bewegung den Widerstand gegen die angeblich importierte Gewalt in Szene setzt“, sagt Villa. Das seien nicht die 60-jährigen Wutbürgerinnen, „die bei Pegida in Dresden krakeelen“. Der Protest der Identitären habe „eine andere ästhetische Qualität“. Und auch wenn die Kampagne auf die Verletzlichkeit von Frauen abhebe, seien die weiblichen Anhänger der Identitären vielfach selbstbewusst und bestimmt. „Das sind keine schüchternen Heimchen.“

Da ist zum Beispiel Alina Wychera, die unter dem Namen Alina von Rauheneck auftritt – eine Studentin mit hellblauen Augen und langen dunklen Haaren. Sie zählt zu den prominentesten Frauen der Bewegung und wirbt auch für die Mode der Identitären. Oder Melanie Schmitz – Nickname „rebellanie“ –, über die der sachsen-anhaltinische Verfassungsschutz eine Akte führt. Von ihr gibt es ein Bild, auf dem sie mit kurzem Kleid und Baseballschläger posiert. Auf einem anderen steht sie in Trainingsanzug und mit verschränkten Armen als einzige Frau in einer Gruppe ernst dreinblickender Männer.

Rose mit Handgranate

Gut aussehende Frauen bei den Identitären sollen aber nicht nur weitere Anhänger anziehen. Sie transportieren auch das Frauenbild der Identitären. „Das ist auf eine sehr bestimmte Art traditionell und konventionell“, sagt Villa. „Es propagiert eine eindeutige Rollenverteilung: Der Mann muss stark sein, und die Frau ist für die Liebe, das Schöne, Gute zuständig.“ In den Blogbeiträgen, Instagram-Posts und Videos der identitären Frauen spiegele sich eine romantisch aufgeladene Vorstellung von Heimat, Innerlichkeit, Gemütlichkeit und Familie – als in sich überschaubare, homogene Einheiten. Da würden Fotos von Cupcakes gepostet oder Naturbilder, Werte wie Mutterstolz spielten eine Rolle.

Die Aktivistin Franziska betreibt einen Blog, der sich „Radikal Feminin“ nennt – das Logo: eine Rose in Kombination mit einer Handgranate. Dort treffen Beiträge wie „Arbeit und Familie – als traditionelle Frau“ auf Stickanleitungen. Aktivistin Schmitz hat auf Instagram neben Fotos wie dem mit dem Baseballschläger auch Bilder, da ist sie mit selbstgebackenen Keksen zu sehen.

Solidarität für weiße Frauen

Frauen, sagt Wissenschaftlerin Radvan, werde bei den Identitären die Verantwortung für den Erhalt der „Volksgemeinschaft“ gegeben. Sie seien für Reproduktion und Erziehung der Kinder zuständig. „Gesellschaftlich werden Frauen, die zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, oft belächelt oder verachtet. Das wird als reaktionär und minderwertig abgetan“, erklärt Soziologin Villa. „Die Identitären geben diesen Frauen das Gefühl, dass sie sie ernst nehmen. Das verfängt sehr stark.“ Auf Facebook etwa hat die Seite „Identitäre Frauen und Mädels“ mehr als 6000 Abonnentinnen. Oben prangt das Lambda- Zeichen, ein umgekehrtes V – es ist das Symbol der Identitären. Daran hängt ein blonder Zopf mit einem Edelweiß.

Forscherin Lehnert kritisiert, dass sich die Solidarität, die identitäre Aktivistinnen propagieren, nur auf weiße, europäische Frauen bezieht. „Und es wird auch nur dann über Frauenrechte geredet, wenn sie von Zuwanderern bedroht werden. Wenn man sagen kann: Das Problem ist der Islam.“ Es sind auch diese Denkweisen, die die Identitären aus Sicht des Verfassungsschutzes verdächtig machen.

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