Seit zehn Tagen inszeniert sich Sahra Wagenknecht als „Opfer“ von Markus Lanz. Doch dieser Titel passt nicht zu ihr. Unser Kolumnist Christoph Seils findet, dass ihr Europabild widersprüchlich und fragwürdig ist. Für ihre Argumentation verwendet sie eine simple Methode.
Christoph Seils
Wie kann es sein, dass Spitzenpolitiker ihre Ressorts wechseln wie andere Menschen ihre Urlaubsziele? Fachwissen stört nicht, aber wichtiger sind andere Qualitäten.
Mit einem Interviewmarathon hat die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen. Der Kampf um die Deutungshoheit über die Politik der großen Koalition hat begonnen. Schon haben sich die ersten Pärchen gebildet, die uns die kommenden vier Jahre unterhalten werden.
Früher galt in der Politik nach der Wahl das Motto: Grausamkeiten sofort, Wohltaten später. Doch die klassische Regel der Machtpolitik gilt nicht mehr, weil der Wähler nicht mehr mitspielt.
In abgewogenen Worten kritisieren junge Christdemokraten den Koalitionsvertrag, doch was als Kritik an Merkels Politikstil daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Geste der Unterwerfung.
Die große Koalition steht. Ob sie die kommenden vier Jahre Bestand haben wird, vermag jetzt noch niemand abzuschätzen. Absehbar ist aber schon heute, dass die SPD die Grenzen des Bündnisses testen wird. Ob die Koalition bestehen wird, hängt deshalb vor allem von drei Personen ab - und der Art ihrer Zusammenarbeit.
Hessen wird offenbar schwarz-grün. Doch die Grünen sind auf den Tabubruch kaum vorbereitet. Wenn ihnen der Spagat zwischen Schwarz und Rot gelingt, könnten sie schon bald eine Schlüsselrolle im Parteiensystem einnehmen - als begehrte Königsmacher.
Die Sozialdemokraten wollen doch keine rot-rot-grüne Koalition ausschließen. Doch über die erste Annäherung hinaus sind die alten Wunden zwischen SPD und der Linken nicht verheilt. Nun muss die Linkspartei zeigen, dass sie für eine Regierungsbildung bereit wäre.
Ohne Plan gehe die CDU in die Koalitionsverhandlungen mit CSU und SPD, klagen Kritiker. Doch vielleicht hat Angela Merkel nur besser verstanden, dass die Parteien sich wandeln müssen, wenn sie überleben wollen.
Schon jetzt gehören die Koalitionsverhandlungen zu den längsten in der Geschichte der Bundesrepublik. Zählt man den Wahlkampf dazu, regiert sich das Land seit sechs Monaten quasi von selbst. Weder Union noch SPD zeigen sich kompromissbereit. Denn alles andere wäre für sie jetzt riskant.
Im Mai kommenden Jahres will die AfD ins Europaparlament einziehen. Aber ein Selbstläufer ist dies nicht. Über die Zukunftschancen der Eurogegner entscheiden auch die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD.
Die Sozialdemokraten quälen sich in die große Koalition unter Führung der Union, aber eigentlich träumen sie noch immer von einer rot-rot-grünen Regierung und einem SPD-Kanzler. Bis dahin es ist allerdings noch ein ziemlich weiter Weg - vier Jahre werden da kaum reichen.
Weil Zukunftsangst die Parteien lähmt, scheint die Große Koalition für alle die bequemste Lösung zu sein. Mit Schwarz-Rot lässt sich der Status quo konservieren. Die machtpolitischen Weichen im Parteiensystem könnten derweil woanders gestellt werden.
Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün? Deutschland sucht eine neue Regierung. Es geht um Macht, um Posten und um Deutungshoheit. Weil viel auf dem Spiel steht, wird getrickst, getäuscht, geblufft. Denn die Parteien wissen: Jetzt werden auch die entscheidenden strategischen Fehler gemacht.
Für eine Koalition mit den Sozialdemokraten wird Angela Merkel einen hohen Preis zahlen müssen. Das liegt daran, dass sie die einzige machtpolitische Alternative nicht wahrnehmen will: eine Minderheitsregierung von CDU und CSU.
Angela Merkel hat am Wahlabend triumphiert. Ihr Name wird künftig in einem Atemzug mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl genannt werden. Doch was sie will, ist unklar. Auch ein Mehrheitsbeschaffer ist nicht in Sicht.
Die Ausweitung der Wahl per Post erlaubt viele Manipulationen.
Die massive Ausweitung der Briefwahl öffnet Manipulation Tür und Tor. Doch auch darüber hinaus stellt sich damit die Frage, ob die Wahl per Post noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Vor einem Jahr waren SPD und Grüne angetreten, gemeinsam die schwarz-gelbe Bundesregierung abzulösen. Doch schon 14 Tage vor der Wahl muss das Vorhaben als gescheitert gelten. Die beiden Parteien sind selber schuld.
Das TV-Duell war steif, vorhersehbar und stellenweise peinlich. Trotzdem war es ein wichtiger Meilenstein im Werben um die Wähler und es sage keiner mehr, dieser Wahlkampf sei langweilig.
SPD und Linke kommen auch deshalb nicht zueinander, weil sie sich seit mehr als zwei Jahrzehnten gegeneinander profilieren. Doch wenn nach der Bundestagswahl wieder mehr Annäherung stattfindet, dann stellen sich schon bald ganz andere Fragen.
Aus Ressentiments gegen Ausländer wird keine Politik mehr
Aus Ressentiments gegen Ausländer wird keine Politik mehr.
Bei der Integrationspolitik haben sich die großen Parteien bewegt: Statt einen Wahlkampf auf dem Rücken der Ausländer zu machen, plädiert sogar die Union für eine Willkommenskultur. Nur in Berlin-Hellersdorf stößt die Politik noch an ihre Grenzen.