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Flucht übers Meer: Schutzsuchende in einem Schlauchboot im Ärmelkanal.

© AFP/GLYN KIRK

Asylverfahren in Drittstaaten: Bedenklich, gefährlich – und unwirksam

Jetzt prüft auch Deutschland, ob sich Asylentscheidungen ins außereuropäische Ausland verlegen können. Doch bisher hat dieser Weg noch nie funktioniert.

Ein Gastbeitrag von

Großbritannien versucht es mit Ruanda, Italien mit Albanien: Asylverfahren sollen in Staaten außerhalb Europas ausgelagert werden. Das aber ist höchst umstritten und in Großbritannien bereits am höchsten Gericht gescheitert, weil der Plan nicht mit Menschen- und Flüchtlingsrechten vereinbar war.

Die deutsche Ministerpräsidentenkonferenz vergab im November letzten Jahres nun auch für Deutschland einen Prüfauftrag an das Bundesinnenministerium, eine erste Anhörung dazu gab es letzte Woche. Wäre es möglich, Asylverfahren in Drittstaaten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zu leisten?

Drittstaatsmodell – vom Ausnahmefall zur Regel

Bereits der Koalitionsvertrag der Ampel beinhaltete eine Passage zu Asylverfahren außerhalb der EU. Ging es jedoch damals lediglich um „Ausnahmefälle“, so hat sich die politische Debatte seither deutlich verschoben: So fordert die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm, Asylverfahren ausschließlich in Drittstaaten durchzuführen und erfolgreichen Antragstellern auch dort Schutz zu gewähren.

Befürworter solcher Verfahren argumentieren, weniger Menschen würden sich auf die gefährlichen Routen in EU-Staaten begeben und schlimmstenfalls sterben. Jene Menschen hingegen, die von den gefährlichen und für viele unerschwinglichen, irregulären Reisen ausgeschlossen seien, würden im Gegenzug auf humanitären Wegen, über Kontingente aufgenommen werden. Dies sind in der Tat wichtige Ziele.

Indes: Können sie wirklich durch die Einführung von Asylverfahren in Ländern außerhalb der EU erreicht werden? Für diese These liegt erstens kein empirischer Nachweis vor, die australische Zwangsansiedlung Schutzsuchender in Inselstaaten wie Nauru ist völkerrechtswidrig.

Zweitens ist es bereits heute möglich, einen Schutzstatus außerhalb Deutschlands oder der EU zu prüfen und Menschen über humanitäre Aufnahmeprogramme und Resettlementverfahren aufzunehmen. Allein: Das geschieht zusätzlich zu individuellen Asylverfahren – und nicht an deren Stelle.

Anders als das rechtlich bindende Asyl sind diese Aufnahmeprogramme für Staaten vollkommen unverbindlich. Sie erfolgen über jährlich neu vereinbarte Kontingente und erreichen nur einen sehr kleinen Teil der international Schutzbedürftigen. 

In der deutschen Debatte wächst die Zahl derer, die ausgelagerte Asylverfahren befürworten, vor allem in den Unionsparteien, FDP und AfD. Dabei wird der Schutzanspruch in Deutschland auf das sehr eng gefasste grundgesetzliche Asyl für politisch Verfolgte reduziert.

Der Asylartikel ist nur einer von vielen, die Aufnahmerechte geben

Das ist aber nur ein Bruchteil aller Menschen (ca. ein Prozent), denen deutsche Institutionen Schutz zuerkennen. Das Recht auf Schutz wird vielmehr auch auf der Grundlage des Völkerrechts – der Genfer Flüchtlingskonvention – und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt und umfasst auch solche Menschen, die aufgrund ihrer Ethnie, ihrer Nationalität oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe keinen Schutz in ihrem Herkunftsstaat erhalten.

Die politische Strategie der britischen Regierung, internationales Recht einfach zu ignorieren, sollte für die Bundesregierung und auch die EU ausscheiden.

Petra Bendel und Marcus Engler, Migrationswissenschaftler:innen

Ebenfalls Schutz erlangen können Personen, denen Todesstrafe, Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Deshalb lag die sogenannte Gesamtschutzquote derer, die in Deutschland um Asyl ersuchten, 2023 bei 51,8 Prozent.

Betrachtet man die bereinigte Schutzquote, bei der man Verfahren herausnimmt, die sich durch Rückkehr, Weiterwanderung und anderes erledigen, dann waren es knapp 70 Prozent. Weil Gerichte negative Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) korrigieren, erhöht sich die Quote weiter.

Alle fraglichen Länder sind höchstens bedingt rechtsstaatlich

Erklärtes Ziel von Drittstaatsverfahren ist es, dass ein großer Teil dieser Schutzbedürftigen dann keinen Rechtsanspruch auf Schutz mehr hat, sondern nur noch die Chance im Rahmen begrenzter Kontingente Aufnahme in EU-Staaten zu finden.

51,8
Prozent betrug 2023 die sogenannte Gesamtschutzquote derer, die in Deutschland um Asyl ersuchen. Zieht man hiervon noch die Fälle ab, die sich durch Rückkehr oder Weiterwanderung erledigt haben, steigt die Quote sogar auf 70 Prozent – und mehr.

Nicht von ungefähr hat der britische Supreme Court geltend gemacht, das ruandische Asylsystem sei stark defizitär. Das habe zur Folge, dass die dorthin geschickten Asylbewerber in den Staat zurückgeschickt werden könnten, aus dem sie ursprünglich geflohen waren.

Und hier liegt die rote Linie: Eine solche Regelung verstieße gegen das grundlegende völkerrechtliche Verbot, Menschen in Gefahr zurückzuweisen sowie gegen das Verbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (deren Vertragsstaat Großbritannien weiterhin ist), Menschen der Gefahr von Folter auszusetzen.

Bei allen Staaten, die in der Drittstaatendiskussion ein Rolle spielen, handelt es sich um Staaten, deren Rechtssystem bestenfalls als fragil beschrieben werden kann.

Zu viele offene Fragen an das Drittstaatsmodell

Viele rechtliche Fragen blieben auch ungeklärt: Welches Asylrecht gilt in den Drittstaaten, in denen Asylverfahren stattfinden sollen: EU-Recht oder das Recht der Drittstaaten? Wie würde mit besonders verletzlichen Personen – also etwa Minderjährigen, Folteropfern, Opfern von Menschenhandel oder psychisch Kranken umgegangen?

Wie kann der Zugang zu anwaltlicher Beratung und Unterstützung und der Zugang zu Gerichten garantiert werden, auf die Antragsteller in Deutschland Anspruch haben? Und ganz praktisch: Wie kann die Einhaltung von menschenrechtlichen Garantien im Drittstaat überwacht werden?

Was würde man bei Rechtsbrüchen tun? Nach EU-Recht können Schutzsuchende ohnehin nur dann in sichere Drittstaaten überstellt werden, wenn sie eine „Verbindung“ dorthin haben – einmal durchgereist zu sein, genügt nicht. 

Protest gegen das Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas) im Sommer 2023 in Berlin.
Protest gegen das Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas) im Sommer 2023 in Berlin.

© Imago/IPON

Weder durch die Genfer Flüchtlingskonvention noch durch das europäische Sekundärrecht sind also Verfahren in Ländern wie Ruanda gedeckt. Die politische Strategie der britischen Regierung, internationales Recht einfach zu ignorieren, sollte für die Bundesregierung und auch die EU ausscheiden.

NS-Regime und Weltkrieg mahnen

Und es gilt in Erinnerung zu behalten, dass die aus Sicht einiger Regierungen vielleicht unbequemen rechtlichen Vorgaben in der Flüchtlingspolitik in der Folge der Nazi-Verfolgungen und der Schutzlosigkeit von Verfolgten des Zweiten Weltkrieges vereinbart worden sind.

Die Regeln für den Umgang mit Schutzsuchenden, die es auch damals schon gab, haben die Staaten weitgehend ignoriert. Die Einhaltung rechtlicher Standards ist daher von zentraler Bedeutung. Schon jetzt wird internationales und europäisches Recht vielfach gebrochen, mit verheerenden Folgen für schutzsuchende Menschen.

Die EU verlöre mit der Auslagerung in ärmere Staaten zudem jegliche Glaubwürdigkeit, wenn es um Menschenrechte geht. Ohnedies war die EU bisher nur bereit, einen Teil derer aufzunehmen, die im Drittstaat ein Asylverfahren erfolgreich durchlaufen hätten.

Von den abgelehnten Asylsuchenden wird sehr wahrscheinlich ein großer Teil weiterhin versuchen, in EU-Staaten zu gelangen – aber mit hoher Sicherheit auch ein Teil der anerkannten.

Alternative: Staaten unterstützen, in denen schon viele Flüchtlinge leben

Ebenfalls sind Zweifel an dem oft unterstellten Steuerungseffekt solcher Verfahren angebracht: So finden sich zum Beispiel keine Staaten, die bereit wären, eine große Zahl von Asylsuchenden, die eigentlich in die EU wollen, längerfristig in ihrem Land zu halten. Wie die Flüchtlinge haben auch diese Staaten kaum Vertrauen, dass die EU ihre Aufnahmezusagen einhält.

Unsere menschenrechtlichen Bedenken und Zweifel an der Umsetzbarkeit ausgelagerter Asylverfahren sollten jedoch nicht als Unterstützung des Status quo verstanden werden. Wir sehen Handlungsmöglichkeiten: Erstens sollte die EU dabei helfen, die regionalen Schutzsysteme in Staaten massiv zu verbessern, in denen viele Flüchtlinge leben.

Erstaufnahmestaaten brauchen mehr Geld und Mittel, sich diese Aufnahme leisten zu können; daher müssen dringend auch die internationalen Hilfsorganisationen vor Ort zuverlässiger unterstützt werden. Zweitens sollten legale Wege für Schutzsuchende und andere Migrant:innen nach Deutschland und in weitere Staaten deutlich ausgebaut werden, etwa, wenn sie dort arbeiten können oder zum Familiennachzug.

Wenn es deutlich mehr davon gibt, kann dies die Zahl derer reduzieren, die irregulär ankommen. Und drittens sollten Investitionen in die Aufnahme- und Integrationsinfrastruktur in Deutschland getätigt werden, damit das System belastbarer, effizienter und nachhaltiger wird.

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