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Pressekonferenz in der Downing Street: Premier Rishi Sunak versprach, dass die Abschiebeflüge nach Ruanda in „10 bis 12 Wochen“ beginnen sollen.

© AFP/Toby Melville

„Wir stehen bereit“: Britische Regierung will ab Sommer Abschiebungen nach Ruanda

Die britische Regierung legt sich fest: Spätestens im Juli sollen eigens gecharterte Flugzeuge Hunderte von Migranten nach Zentralafrika ausfliegen. Wird damit internationales Recht gebrochen?

Vor den letzten parlamentarischen Beratungen über das umstrittene Ruanda-Gesetz hat der britische Premier Rishi Sunak seine Entschlossenheit bekräftigt, in diesem Sommer mit den Abschiebungen nach Zentralafrika zu beginnen.

„Wir stehen bereit, und kein ausländisches Gericht wird uns hindern“, sagte der konservative Regierungschef am Montag in London. Spätestens im Juli sollen eigens gecharterte Flugzeuge Hunderte von Migranten ausfliegen.

Das sogenannte Notstandsgesetz durchläuft seit Dezember das Gesetzgebungsverfahren in Westminster. Es war nötig geworden, weil der Londoner Supreme Court die ursprüngliche Regierungsvorlage für gesetzwidrig erklärt hatte.

Ruanda als „sicheres Drittland“ für Flüchtlinge

Auch am neuen Gesetz hat das Oberhaus mehrfach Änderungswünsche geäußert, diese wurden vom konservativ dominierten Unterhaus stets abgelehnt.

Ein ähnliches Ping-Pong-Spiel, womöglich bis tief in die Nacht hinein, stand am Montagabend auf der Agenda beider Kammern. Am Ausgang aber bestand kein Zweifel, weil das berufene Oberhaus traditionsgemäß dem gewählten Unterhaus nachgibt.

2,32
Millionen Euro kosten die Abschiebepläne laut Opposition pro Asylbewerber. Das britische Innenministerium beziffert die Kosten dagegen auf 174.000 Euro pro Person.

Zur Debatte standen zuletzt noch zwei Wünsche der Lords. Zum einen sollten all jene, vor allem Afghanen, von der Deportation ausgeschlossen werden, die zuvor britische Hilfsorganisationen oder die britischen Streitkräfte unterstützt hatten und deshalb in ihren Heimatländern verfolgt werden.

Zum Anderen wünscht sich der frühere Höchstrichter James Hope eine Klausel, wonach Ruandas Status als „sicheres Drittland“ regelmäßig überprüft werden soll. 

Sunak hat den in vielen Ländern Westeuropas mit hohem Interesse verfolgten Ruanda-Plan von seinem gescheiterten Vor-Vorgänger Boris Johnson geerbt. Zehntausende von Flüchtlingen, die in Schlauchbooten über den Ärmelkanal setzten und dabei Leib und Leben riskieren, wurden zu „illegalen“ Ankömmlingen erklärt.

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Sie sollen umgehend in ein Flugzeug gesetzt und ohne Rückkehrmöglichkeit nach Ruanda abgeschoben werden. Dort erwartet sie ein rechtsförmiges Asylverfahren mit anschließender Ansiedlung vor Ort – oder die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland.

Soweit die Theorie. Weil das ursprüngliche Gesetz jede Möglichkeit einer Anhörung durch britische Beamte oder Richterinnen ausschloss, erhob der Supreme Court Einspruch. Nach der neuen Vorlage erklärt das Parlament das bei Menschenrechtlern umstrittene Regime von Präsident Paul Kagame einseitig zu einem „sicheren Drittstaat“ und bindet dadurch heimischen Gerichten die Hände. Den Betroffenen bleibt nur noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Dutzende Konservative wollen aus dem Europarat austreten

Einem weiteren Einwand der Höchstrichter entsprechend enthält das Gesetz zudem eine Klausel, wonach in nicht näher definierten „außergewöhnlichen Fällen“ Ruanda die Asylbewerber doch nach Großbritannien zurückschicken könnte. Dadurch, glauben Kritiker des Vorhabens, gerate der doch eigentlich gewünschte Abschreckungseffekt ins Wanken.

Auch der EGMR – Sunak denunziert ihn wegen seines Sitzes in Straßburg gern als „fremdes“ Gericht – werde ihn nicht an der Umsetzung des Vorhabens hindern, beteuerte der Premier. Um der EGMR-Rechtsprechung zu entgehen, müsste Großbritannien aus dem einst von London mitgegründeten Europarat austreten. Dies befürworten rund fünf Dutzend Mitglieder vom harten rechten Flügel der konservativen Unterhausfraktion.

Wer Ruanda zum sicheren Drittland erklären will, sollte überprüfen, ob das stimmt.

Sunder Katwala, Chef der britischen Denkfabrik British Future

Sunaks Fokus auf das Asylthema ist vor allem deren Druck geschuldet, basiert aber offenbar nicht unbedingt auf den Prioritäten der Bevölkerung. Der mit Einwanderungs- und Integrationsfragen befasste Thinktank British Future (BF) hat die Briten vor Monatsfrist eingehend befragen lassen.

30.000
Flüchtlinge will das Innenministerium einem internen Bericht zufolge bis 2029 abschieben.

Dabei erklärten sich drei Viertel mit Lord Hopes Wunsch einverstanden, das Funktionieren des Vertragswerks und Ruandas Status regelmäßig überprüfen zu lassen. Fast zwei Drittel legten Wert darauf, dass ihr Land allen rechtlichen, nationalen und internationalen Verpflichtungen nachkommt.

„Wir haben ausdrücklich versucht, die Änderungsvorschläge der Lords in klarer Sprache auszudrücken“, erläutert BF-Chef Sunder Katwala und fasst die Stimmung der Mehrheit zusammen: „Wer Ruanda zum sicheren Drittland erklären will, sollte überprüfen, ob das stimmt.“

Der Opposition zufolge würden sich die Kosten je Asylbewerber auf bis zu 2,32 Millionen Euro belaufen. Allerdings geht Labours innenpolitische Sprecherin Yvette Cooper dabei von lediglich 300 Flugpassagieren aus.

Hingegen beziffert das Innenministerium die Kosten mit je 150.000 Pfund (174.000 Euro). Die enorme Diskrepanz erklärt sich aus einem kürzlich dem „Telegraph“ zugespielten, höchst optimistischen Planungspapier des notorisch schlecht organisierten Ressorts. Demzufolge würden binnen fünf Jahren 30.000 Flüchtlinge nach Ruanda überstellt, mit Kosten von etwa 4,5 Milliarden Pfund.

All dies bleibt Zukunftsmusik. Die in allen Umfragen meilenweit in Führung liegende Labour-Party hat angekündigt, im Fall ihres Sieges bei der 2024 anstehenden Unterhauswahl den Vertrag mit Ruanda zu kündigen.

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