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Es gibt praktisch keine sicheren oder legalen Fluchtrouten nach Großbritannien.

© via REUTERS/AVRA FIALAS/MSF

Abschiebung, Ablehnung, Inhaftierung: Großbritanniens Asylreform ist ein Verstoß gegen die Flüchtlingskonvention

Menschenrechtsorganisationen haben Großbritanniens neues Migrationsgesetz immer wieder scharf kritisiert. Doch die konservative Regierung um Premier Sunak hält an der Reform fest – dabei wird sie ihr eigentliches Vorhaben verpassen.

Ein Gastbeitrag von Frances Webber

Das britische „Gesetz zur illegalen Migration“, das nach seiner Verabschiedung im Unterhaus aktuell im Oberhaus behandelt wird, könnte nach Ansicht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) durch einen „Dominoeffekt“ unter flüchtlingsfeindlichen Ländern „das internationale Flüchtlingsschutzsystem zu Fall bringen“.

Schon jetzt imitieren die Regierungen Dänemarks und Neuseelands die britische Asylpolitik, die wiederum Australiens berüchtigtes „Offshoring“, der Umsiedlung Geflüchteter, kopiert.

Das steht im Gesetzentwurf

Kein Recht auf Privatsphäre oder menschenwürdige Behandlung

Asylsuchende Kinder müssen sich zur Bestimmung des Knochenalters „wissenschaftlichen“ Röntgenuntersuchungen unterziehen oder werden als Erwachsene behandelt. Außerdem wird mit dem neuen Gesetz die vormals illegale Beschlagnahmung von Telefonen legalisiert. Kurzum: Asylsuchende haben kein Recht auf Privatsphäre.

Auf eine menschenwürdige Behandlung haben sie auch keinen Anspruch mehr. Nach Gerichtsurteilen, die die Haftbedingungen für Asylsuchende für rechtswidrig erklärten, wurden im vergangenen Jahr neue Gesetze beschlossen. Diese ermöglichen eine längere „kurzfristige“ Inhaftierung.

Standards für Gesundheitsversorgung, Rechtsberatung, Kommunikation und Schlafmöglichkeiten wurden zugleich drastisch gesenkt und die Verpflichtung, Asylsuchende auf Anzeichen von Folter und Krankheit zu untersuchen, aufgehoben.

Darüber hinaus ändert die konservative Regierung unter Premierminister Rishi Sunak weitere Planungs- und Wohnungsgesetze.

Die Unterbringung von Asylsuchenden unter gefährlichen und unhygienischen Bedingungen in Baracken oder Zeltstädten wird damit legalisiert.

Es könnte das internationale Flüchtlingsschutzsystem zu Fall bringen.

Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR)

Dabei haben Studien immer wieder gezeigt, dass Suizide, Selbstverletzungen und Verwahrlosung unter solchen Bedingungen zunehmen. Im April warnten deshalb über 830 Gesundheitsfachkräfte und medizinische Institutionen vor den „katastrophalen psychischen und physischen Schäden“ der neuen Regeln.

Korrekturen an dem geplanten Gesetz macht die Regierung trotz scharfer Kritik aber kaum. Lediglich die Inhaftierung und Abschiebung unbegleiteter Kinder sind nachträglich eingeschränkt worden, zugleich soll sechs Monate nach Inkrafttreten über legale und sichere Fluchtrouten informiert werden.

Das Gesetz selbst ist rechtswidrig und der Höhepunkt eines jahrzehntelangen Widerstands gegen den internationalen Menschenrechtsrahmen.

Frances Webber, ehemalige Menschenrechtsanwältin

Dass es praktisch aber keine sicheren oder legalen Wege für Geflüchtete, die nicht aus der Ukraine oder Hongkong kommen, gibt, haben Flüchtlingsorganisationen immer wieder bemängelt.

Dreiviertel aller im vergangenen Jahr entschiedenen Asylbescheide waren positiv. Afghanen, Syrer, Iraker, Iraner und viele albanische Opfer von Menschenhandel kamen ins Land, ihr Schutzbedarf ist mit Blick auf die positiven Asylbescheide offensichtlich. Dabei versucht die Regierung mit ihrer „Stoppt die Boote“-Kampagne gerade diese Menschen an der Einreise zu hindern.

Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention

Unerwähnt bleibt von Regierungsseite dagegen Großbritanniens Rolle bei Fluchtursachen: militärische Abenteuer, Waffenhandel mit menschenrechtsverletzenden Regimen, die Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen.

Britischer Premier Rishi Sunak ist für die Eindämmung der Überquerung des Ärmelkanals als Teil des Gesetzes gegen illegale Migration und unterstützt die Kampagne „STOP THE BOATS“.
Britischer Premier Rishi Sunak ist für die Eindämmung der Überquerung des Ärmelkanals als Teil des Gesetzes gegen illegale Migration und unterstützt die Kampagne „STOP THE BOATS“.

© dpa/PA Wire/Leon Neal

Das „Illegale“ im Titel bezieht sich auf Flüchtlinge und Migranten, die „unter Verstoß gegen die Einwanderungsbestimmungen“ einreisen, also ohne Visum. Das war aber lange nicht verboten. Erst im vergangenen Jahr wurde es mit dem „Gesetz über Staatsangehörigkeit und Grenzen“ zu einer Straftat. Das allein ist aber ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die eine Bestrafung von irregulär einreisenden Geflüchteten verbietet.

Mit dem neuen Asylgesetz zeigt sich auch, wie extrem die Haltung der Regierung in nur einem Jahr geworden ist. Erlaubte das Migrationsgesetz aus dem vergangenen Jahr noch die „Umsiedlung“ von Asylsuchenden, verlangt es das kommende „Gesetz zur illegalen Migration“ explizit.

Die jetzige Reform ist deshalb nicht nur rechtswidrig, sondern auch der Höhepunkt des jahrzehntelangen Widerstands gegen die Grundsätze des völkerrechtlichen Rahmens der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Rechtsstaatlichkeit wird damit untergraben, gegen internationale Verpflichtungen verstoßen.

Alle schwerwiegenden Bedenken ignoriert

Doch sämtliche Warnungen britischer Menschenrechtsbehörden, der Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission, des Außenministers, der ehemaligen Premierminister Gordon Brown und Theresa May sowie des Menschenrechtskommissars des Europarats werden in Westminister ignoriert.

Der Gesetzesentwurf ist aber ohnehin kaum durchführbar. Er wird einen enormen neuen Verwaltungsaufwand für demoralisiertes, unqualifiziertes und unterqualifiziertes Personal schaffen. Schon vor der Einführung des Gesetzes hat die Geschwindigkeit, mit der über Asylanträge entschieden wird, zu einem enormen Rückstau von Anträgen geführt. Antragsteller müssen deshalb bis zu fünf Jahre auf eine Entscheidung warten.

Das Gesetz – trotz aller Abschreckungsmanöver – wird vor allem aber kein „Boot stoppen“. Das wissen wir aus den vergangenen Jahren. Es wird die Reise lediglich teurer und gefährlicher machen.

Wozu all das aber? Es ist am Ende ein Regieren durch Spektakel. Downing Street will die kommende Wahl gewinnen – und hofft, das auf diese Weise erreichen zu können.

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