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Nigerias Präsident Bola Tinubu stehe vor großen Herausforderungen.

© Reuters/James Oatway

Nigerias neuer Präsident: Tinubus größtes Problem ist die wachsende Armut

Klimawandel, Gewalt und Staatsversagen haben zu Hunger geführt. Die Wirtschaftsmetropole Lagos hatte er als Gouverneur vorangebracht – kann ihm das auch für das gesamte Land gelingen?

Fast drei Viertel der Nigerianer wollen ihre Heimat in Richtung Europa oder USA verlassen wollen — so groß sind die Probleme des großen westafrikanischen Landes. Doch ob der neue Präsident, der 71-jährige Bola Tinubu, der am Montag in sein Amt eingeführt werden soll, diesen Menschen bessere Perspektiven bieten kann, ist fraglich.

Dabei ist nach Ansicht des Nigeria-Direktors der Entwicklungsorganisation ONE, Stanley Achonu, „ein entscheidender Zeitpunkt gekommen“: Der künftige Präsident stehe vor „Problemen, die seine sofortige Aufmerksamkeit verlangen“.

Zum Beispiel die Sicherheitssituation. Seit 2009 Jahren terrorisieren die selbsternannten Glaubensverteidiger der Boko Haram den Norden des Landes. Vor neun Jahren sorgten sie mit der Entführung von fast 300 Schülerinnen in der Stadt Chibok weltweit für Schlagzeilen. Seit kurzem macht ihnen der „Islamische Staat in der Westafrikaprovinz“ (ISWAP) Konkurrenz, eine laut Experten noch radikalere Religionsmiliz.

„Landesweit herrscht Unsicherheit in Form von Banditentum und Entführungen, die dringend angepackt werden müssen. Das gilt auch für die verschiedenen Unruhen durch Separatisten“, sagt Akinola Olojo, Politologe an der panafrikanischen Denkfabrik Institute for Security Studies (ISS).

Tinubus Spitzname ist „der Pate“. Er verfügt über ein weites Netzwerk und Einfluss, die noch aus seiner Zeit als Gouverneur der Wirtschaftsmetropole Lagos (1999-2007) stammen. Beides wird der neue Staatschef brauchen, um Inflation, Arbeitslosigkeit und die Flucht ausgebildeter Fachkräfte zu stoppen.

„Es ist ein Gebot für die neue Verwaltung, Millionen Nigerianer aus der extremen Armut zu ziehen. Sie hat sich zur Brutstätte aller gesellschaftlichen Übel entwickelt, die das Land so sehr plagen“, sagt ONE-Chef Achonu.

Giftcocktail aus Klimawandel, Gewalt und Staatsversagen

Vor allem im Nordosten hat der Giftcocktail aus Klimawandel, Gewalt und Staatsversagen zu Hunger geführt. Millionen Kinder sind nach UN-Angaben unterernährt. Manche Experten sehen Nigeria schon länger als entwicklungspolitisches „Pulverfass“: 70 Prozent der 202 Millionen Einwohner sind jünger als 30 – und fühlen sich zum Großteil von ihren viel älteren Anführern im Stich gelassen.

„Ein Drittel der nigerianischen Arbeitskräfte ist ohne Job und die überwältigende Zahl von 133 Millionen lebt in Armut. So können wir nicht weitermachen“, warnt Achonu.

Ein Drittel der nigerianischen Arbeitskräfte ist ohne Job und die überwältigende Zahl von 133 Millionen lebt in Armut.

Stanley Achonu, Direktors der Entwicklungsorganisation ONE in Nigeria

Vorsichtig optimistisch ist die nigerianische Finanzexpertin Subomi Plumptre. Ihr zufolge konnte Tinubu seinen bisher größten Erfolg als Lagos-Gouverneur verzeichnen. Damals baute der Reformer die Atlantik-Metropole zu Nigerias modernem Handelszentrum auf. „Basierend auf diesem Beispiel könnte er auf einen pragmatischen Regierungsstil setzen, vor allem, wenn es zu wirtschaftlicher Entwicklung und Investment kommt“, meint Plumptre.

133
Millionen Menschen in Nigeria leben in Armut

Das wünschen sich viele auch für Nigerias Gesundheitssystem. Im April kehrte Tinubu von einem monatlangen Trip aus Paris zurück, wo er sich angeblich Behandlungen unterzogen hatte. Der Jubel, mit dem der Politiker am Flughafen begrüßt wurde, dürfe laut Politologe Olojo nicht über die Tatsachen hinwegtäuschen: „Nigerias Gesundheitssektor ist geprägt von großen Lücken und Schwachstellen.

Wir erleben einen Braindrain, bei dem hervorragende Gesundheitsfachkräfte das Land auf der Suche nach besseren Möglichkeiten verlassen.“ Ähnliches gilt für den Bildungssektor.

Soziale Unruhen, politische Instabilität und ethnische Spaltung drohten

Seit dem Ende der Militärdiktatur 1999 wechselten Nigerias zwei große Parteien einander regelmäßig an der Macht ab: Die derzeitige Oppositionspartei Peoples Democratic Party (PDP) und der All Progressives Congress (APC) von Tinubu. Dennoch ist noch nicht viel bekannt über den Kurs des bald wichtigsten Mannes in Afrika.

Das gelte laut Politologe Olojo auch für dessen Einstellung zum Ukrainekrieg. Sowohl die Ukraine als auch Russland hätten Nigeria als Afrikas stärkste Wirtschaftsmacht zuletzt umworben. Tinubu schwanke.

Kalkulierbarer sei seine Einstellung zu den Benin-Bronzen – jene Artefakte, die Kolonialisten im 19. Jahrhundert dem historischen Königreich Benin geraubt hatten und die bis heute in europäischen Museen verstauben. „Ihre Rückgabe ist ein Thema, das weit über jedes Präsidentenamt hinausreicht. Es ist ein allgegenwärtiges moralisches und rechtliches Anliegen, dass die Geschichts- und Kulturgüter der Menschen an ihren Herkunftsort zurückkehren“, so Olojo. Dafür werde sich auch der nächste Staatschef einsetzen.

Und falls Tinubu bei all den Herausforderungen versagt? Dann blühten Afrikas Riesen laut ONE-Direktor Achonu vermehrte soziale Unruhen, politische Instabilität bis hin zu ethnischer Spaltung: „Als Land mit der größten schwarzen Bevölkerung der Welt sind Nigerias Beständigkeit und Fortschritt nicht nur wichtig für Afrika, sondern auch für die globale Stabilität.“ 

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