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Am 31.12.2023 endet die Förderung von Braunkohle im Tagebau Jänschwalde.

© dpa/Patrick Pleul

„Ich bin traurig, wenn ich das alles ablege“: Wie die Kumpel das Ende der Braunkohle erleben – und was danach in Jänschwalde kommt

Kohleförderung in harten Wintern, ein zeitweiliger Stopp und sogar Besetzungen: Der Tagebau Jänschwalde hat turbulente Zeiten erlebt. Nun ist nach fast 50 Jahren Schluss.

Von Silke Nauschütz, dpa

Das Lied „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“ werden die Kumpel bei ihrer letzten Schicht im Tagebau Jänschwalde traditionell wohl noch einmal anstimmen. Ende Dezember ist nach 47 Jahren dort Schluss mit der Kohleförderung. Für Steiger Michael Kadler bleibt das Lied etwas Besonderes. Es werde bei jedem Anlass gesungen, auch zu Hause, erzählt er.

Der 63-Jährige mit dem wettergegerbten Gesicht hat sein ganzes Leben im Tagebau gearbeitet, als Meister Menschen und Arbeit angeleitet. Nun ist die Rente in Sicht. „Ich bin traurig, wenn ich das alles ablege.“ Großvater und Vater waren Bergmänner, auch der Sohn arbeitet in der Kohle.

Ein kalter Wind weht an diesem Morgen um die Abraumförderbrücke F60. Arbeiter reparieren Teile am 30.000 Tonnen schweren Koloss, der für die Lausitz so charakteristisch ist. In beeindruckender Größe ragt er auf einer Länge von 630 Metern wie ein Denkmal aus der Erde.

Bald wird die Brücke verschrottet. Fast 50 Jahre hat sie nach Leag-Angaben bis zu 95 Meter tief verborgene Braunkohle freigelegt, die vor 15 Millionen Jahren dort entstanden ist. 124 Millionen Kubikmeter Erdmasse wurden seit Tagebaustart bewegt. Etwa zehn Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr wurden ins nahe Kraftwerk Jänschwalde geliefert.

Kumpel arbeiten in anderen Tagebauen

Künftig wird das Elektrizitätswerk, das 2028 im Rahmen des Kohleausstiegs stillgelegt werden soll, von den Leag-Tagebauen Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde versorgt. Die F60 wird, wie auch der riesige Schaufelradbagger, noch gebraucht – für die Sicherungsmaßnahmen zur Wiedernutzbarmachung der Grubenfläche. 250 der 500 Kohlekumpel werden diesen Prozess begleiten, die andere Hälfte wird auf andere Tagbaue verteilt, auch Nico Böker.

An der tiefsten Stelle befindet sich das Kohleflöz zwischen der Förderbrücke F60 im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG).
An der tiefsten Stelle befindet sich das Kohleflöz zwischen der Förderbrücke F60 im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG).

© dpa/Patrick Pleul

Der zweifache Familienvater wird dann in Nochten arbeiten, für ihn bedeutet das doppelte Fahrzeit zur Arbeit im weiter entfernten Tagebau in Sachsen. Er sei froh, im Betrieb bleiben zu können, bekennt der 41-Jährige. „So einen großen Sandkasten hat eigentlich gar keiner. Andere müssen dafür Geld bezahlen, um sowas machen zu können, man ist immer auch etwas Kind.“

Für den Tagebau verschwanden Dörfer

Die Anfänge des Tagebaus Jänschwalde begannen, da war Böker noch nicht geboren. 1970 begann die Entwässerung des Abbaufelds, im Januar 1976 wurde im Tagebau südlich der Ortschaft Grötsch (Spree-Neiße) die erste Braunkohle gefördert. Dafür verschwanden Dörfer für immer. In den 80-er Jahren mussten große Teile der Ortschaft Klinge, die Dörfer Weißagk, Klein Bohrau, Klein Briesnig weichen.

Das vor der Abbaggerung stehende Horno wurde 2004 zum Symbol für den Widerstand gegen das Verschwinden. Ein Ehepaar weigerte sich damals, den Ort zu verlassen und zog vor Gericht. Ende 2005, als die Tagebaukante nur noch 50 Meter vom Haus entfernt war, verließen die Beiden das Dorf.

Erst Sicherung, dann Wiedernutzbarmachung

Jahrzehnte später sind die genehmigten Rohstoffvorräte in Jänschwalde erschöpft. Nach Leag-Angaben wurden seit dem Jahr 1976 dort insgesamt 660 Millionen Tonnen Rohbraunkohle abgebaut. Dafür mussten 4,3 Milliarden Kubikmeter Abraum bewegt werden.

Michael Kadler, Steiger im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG), steht am Kohleflöz neben einem riesigen Schaufelradbagger. Am 31.12.2023 endet die Förderung von Braunkohle im Tagebau Jänschwalde.
Michael Kadler, Steiger im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG), steht am Kohleflöz neben einem riesigen Schaufelradbagger. Am 31.12.2023 endet die Förderung von Braunkohle im Tagebau Jänschwalde.

© dpa/Patrick Pleul

Der Hauptbetriebsplan der Leag läuft zum Jahresende aus, eine Genehmigung des Landesbergamtes (LGBR) für den Abschlussbetriebsplan steht noch aus. Dieser ist Voraussetzung, dass die Leag mit der Wiedernutzbarmachung der Fläche beginnen kann. Die Arbeiten dazu sollen 2031 abgeschlossen sein. Zunächst laufen Sicherungsmaßnahmen. Dafür darf die Leag nach einer Anordnung des LBGR noch 50 Meter eines Kohleflözes ausbaggern.

Tagebau von Diskussion um Wasser begleitet

Dort wo man derzeit einen Science Fiction- Film mit Mondlandschaft drehen könnte, sollen in den kommenden Jahren drei Seen entstehen, die Flutung für das erste Gewässer ist im Jahr 2029 geplant. Das Wassermanagement der Leag sehen Umweltverbände mit Blick auf den Klimawandel und die Wasserknappheit im Süden allerdings kritisch. Vor allem die Hebung des Grundwassers für den Tagebaubetrieb sorgt seit Jahren für Dauerstreit zwischen Umweltschützern, der Leag und den Brandenburger Bergbehörden. Der Konflikt mündete im September 2019 durch einen Gerichtsbeschluss in einem zeitweisen Stopp des Betriebs.

Unverständnis über Besetzung durch Kohle-Gegner

Auch die mehrmalige Besetzung des Tagebaus durch Kohle-Gegner sorgte in den vergangenen Jahren für große Unruhe. Aktivisten kletterten auf die Großanlagen, bohrten Leitungen an und schnitten Kabel durch, wie sich der stellvertretende Tagebauleiter Uwe Glaschker erinnert. Er wünscht sich von den Kohle-Gegnern mehr Kompromissbereitschaft, weniger Polemik, stattdessen eine seriöse Diskussion. „Die Kumpel hatten teilweise kein Verständnis dafür, warum man so mit uns umgeht“, beschreibt Glaschker. „Man muss immer versuchen zu erklären, wenn man die Chance hat, mit den Menschen zu reden.“

Auch für Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist das Tagebauende eine Zäsur. Er ist unweit der Grube aufgewachsen. „Den Frauen und Männern gilt unser Respekt und unsere Achtung, die im Tagebau bei Wind und Wetter hart gearbeitet haben, damit wir zuverlässig unsern Strom aus der Steckdose ziehen können“, sagt er.

Tagebaubetreiber Leag im Wandel

Hinter dem Tagebau bewegen sich Windräder als Symbol des Wandels des Energieunternehmens hin zur Produktion von Erneuerbaren Energien. Auf wiedernutzbar gemachten Bergbaufolgelandschaften soll nicht nur Land- und Forstwirtschaft betrieben werden. Geplant sind auf 400 Hektar auch Solaranlagen mit einer Leistung von 400 Megawatt. Baubeginn ist im Januar 2024, wie Hendrik Zank berichtet, der bei der Leag für neue Geschäftsfelder verantwortlich ist. 17 Windräder mit einer Leistung von schätzungsweise drei Gigawatt sollen aufgestellt werden. Bei der Nutzung der Flächen arbeite man mit den Kommunen zusammen.

Steiger Kadler bleibt beim Umstieg der Leag auf Erneuerbare Energie skeptisch. Die Schnelligkeit der Entwicklung mache ihn nachdenklich, sagt er. „In meinen Augen ist noch nicht ausgereift, dass das nur mit den Erneuerbaren funktioniert. Wir sehen das hier. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, fahren wir hier im Tagebau, was geht.“ Der ausgehandelte Kohleausstieg 2038 müsse eingehalten werden. Er hoffe, dass die Politik sich an Absprachen halte.

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