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Was, wenn nicht die Bewahrung des Grundrechts auf Asyl sollte für den Kanzler „Chefsache“ sein?

© Reuters/Michele Tantussi

Grundrecht auf Asyl ist Chefsache: Wer das Asylrecht bewahren will, muss seine Akzeptanz sichern

Kanzler Olaf Scholz neigt dazu, die angespannte Lage zu relativieren, kleinzureden. Das ist kein verantwortlicher Umgang mit der Situation.

Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

„Herr Scholz, gehen Sie einfach mal raus in die Kommunen“, appellierte Julian Christ, Bürgermeister im badischen Gernsbach, kürzlich im Tagesspiegel, an den Kanzler. Er würde Scholz gern mitnehmen in den Ortsteil Lautenbach: 540 Einwohner, keine Schule, kein Kindergarten, kein Laden – aber ein leerstehendes Hotel, in das bald rund 40 Geflüchtete einziehen werden. Die Menschen in Lautenbach, sagt der Sozialdemokrat Christ, fragten: „Wie soll das gehen?“

Gute Frage. Eine Frage, die sich viele Menschen in Deutschland stellen. Denn, zugespitzt: Lautenbach ist überall.

Am Mittwoch nun, viel zu spät, wollen Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten über die Kosten für Geflüchtete beraten. Alle 16 Länder ­­fordern für ihre Kommunen mehr Geld. Der Bund zeigt sich stur. Eine Einigung? Offen.

Noch nicht einmal in der Problemanalyse ist sich die Koalition, sind sich Bund, Länder und Kommunen einig. Noch immer suggerieren weite Teile des Berliner Politikbetriebs, alles laufe prima. Auch Olaf Scholz neigt dazu, die angespannte Lage zu relativieren, kleinzureden.

Das ist kein verantwortlicher Umgang mit der Situation. Die Asylbewerber-Zahlen steigen seit 2021 stark, und damit auch die hohe Zahl Nicht-Bleibeberechtigter. Es gibt bei der Unterbringung wenig Platz und viel Not. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

„Rückführungsoffensive?“ Das ist ein großes Wort.

Jetzt rächt sich, dass die Regierung Scholz lange wenig getan hat, um der Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Im Koalitionsvertrag, inzwischen 17 Monate alt, heißt es: „Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben. Wir starten eine Rückführungs­offensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.“

„Rückführung“: Polizeibeamte begleiten einen Afghanen 2019 auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug, mit dem er in seine Heimat abgeschoben werden soll.

© dpa/Michael Kappeler

Rückführungsoffensive? Das ist ein großes Wort. Gemessen daran, verfehlt Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bisher ihre Pflicht. Im vorigen Jahr wurden 12.495 Menschen abgeschoben, nur acht Prozent mehr als 2021. Die Zahl der Asylbewerber stieg um ein gutes Viertel.

Zwei Drittel der geplanten Abschiebungen scheiterten, Hauptgründe laut Bundesregierung: geplatzte Flüge und die Abwesenheit der betroffenen Menschen am Ausreisetag. Ernsthaft?

Theaterdonner um „sichere Herkunftsstaaten“

Der Zoff um „sichere Herkunftsstaaten“ ist Theaterdonner. Selbst in „sichere Herkunftsstaaten“ wird kaum abgeschoben. Ende 2022 lebten gut 300.000 vollziehbar ausreisepflichtige Menschen in Deutschland, davon knapp 250.000 Personen geduldet.

Laxer Umgang mit Abschiebungen ist menschlich vielleicht sympathisch, politisch aber hochgefährlich. Und moralisch fragwürdig obendrein. Sollten wir die Hilfe nicht systematisch auf die Schwachen konzentrieren, die sie wirklich brauchen, auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung - statt nach dem Zufallsprinzip auf die Jungen, Mobilen, Findigen, die sich am besten durchschlagen konnten?   

Booster für die Rechtsradikalen

Aufs Jahr gerechnet dürften 2023 mehr als 330.000 Menschen in Deutschland um Asyl bitten. Das sind weit weniger als 2015 und 2016. Doch heute ist die Lage anders. Denn gut eine Million geflüchtete Ukrainer leben derzeit auch in Deutschland, zu Recht sind sie dem Asylverfahren enthoben.

Es stimmt: Deutschland hat in der Flüchtlingskrise viel „geschafft“. Doch wenn der Kurs jetzt nicht geändert wird, drohen große gesellschaftliche Verwerfungen. Es sind ja gerade die Wohlmeinenden, die gutwilligen Helfer, die zu Recht besorgten Landräte, die eine Belastungsgrenze erreicht sehen und davor warnen, dass die Stimmung kippen kann.

Schon jetzt erlebt die AfD, obwohl politisch auf der faulen Haut liegend, einen Höhenflug. Er muss noch lange nicht zu Ende sein.

Das deutsche Grundrecht auf Asyl ist ein kostbares Gut. Es ist die Antwort auf den nationalsozialistischen Rassenwahn, auf die fehlende Möglichkeit vor allem vieler Juden, aus Nazi-Deutschland in ein sicheres Land zu fliehen. Wer dieses Grundrecht bewahren will, muss seine Akzeptanz sichern. Und zwar rasch.

Die Grünen müssen dafür ihren Widerstand gegen eine restriktivere Flüchtlingspolitik aufgeben. Der Bundesfinanzminister sollte den Ländern rasch das Geld zahlen, das die Kommunen dringend brauchen. Und Olaf Scholz das tun, wofür er gewählt ist und was er gern vermeidet: Als Kanzler Führung zeigen.

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