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Bodo Ramelow am 05.07.2023 im Landtag von Thüringen

© dpa/Martin Schutt

„Sachpolitik scheint kaum noch stattzufinden“: Ramelow sieht AfD durch Dauerdebatte gestärkt

Die AfD ist seit Wochen im Umfragehoch – in Deutschland, noch mehr in Ostdeutschland. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow beklagt einen Alarmismus in der politischen Debatte.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hält die Dauerdebatte über die AfD in Deutschland für demokratiegefährdend.

Ich finde es einfach falsch, dass nur noch über die AfD geredet, gesendet und geschrieben wird. In der Zwischenzeit scheint Sachpolitik kaum noch stattzufinden“, sagte der Linken-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt.

Ramelow weiter: „Wenn es nur noch darum geht, „Wie hältst du es mit der AfD?“, erleben wir meiner Meinung nach eine gefährliche Entpolitisierung.“ Das sei auch mit Blick auf die drei Landtagswahlen 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein Problem.

Umfragen: AfD in Ostdeutschland bei bis zu 30 Prozent

In den ostdeutschen Bundesländern kommt die AfD, die bundesweit vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und beobachtet wird, in Umfragen auf Werte von bis zu 30 Prozent.

In Thüringen, wo die Partei mit ihrem Landesvorsitzenden Björn Höcke als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft ist, waren es im Juli bei Infratest dimap für den MDR 34 Prozent.

Auch bundesweit große Zustimmung für die AfD

Das Meinungsforschungsinstitut Yougov sieht die Zustimmung für die Partei bundesweit derzeit bei 23 Prozent. Im ARD-„Deutschlandtrend“ von Donnerstag erzielte sie mit 21 Prozent einen neuen Höchstwert. In einer Insa-Umfrage für „Bild“ fiel die Partei am Sonntag von 22 auf 21 Prozent. Im Thüringer Kreis Sonneberg stellt die AfD seit einigen Wochen ihren ersten Landrat bundesweit.

Ich mache den Alarmismus um die AfD einfach nicht mehr mit“, sagte Ramelow. Er führe dazu, dass die Partei keine Erklärungen mehr abgeben müsse zu dem, was sie wirklich wolle.

Es fehle die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD

„Niemand fragt mehr, was die Thüringer AfD meint, wenn sie ein Drittel der Parlamentssitze anstrebt, um dadurch alle anderen Parteien im Landtag vor sich herzutreiben. Oder was Herr Höcke für Folgen sieht, wenn er propagiert, dass die Europäische Union sterben müsse und letztlich damit der Europäische Wirtschaftsraum für unsere Thüringer Betriebe abgeriegelt wird und die Europäischen Solidaritätsgelder für Thüringen endgültig verloren gehen.“

Nach Einschätzung von Ramelow „zieht die AfD magisch die Unzufriedenen an“. Das gelte für West- wie Ostdeutschland. Die höheren Umfragewerte im Osten hätten auch etwas damit zu tun, „dass die materielle Einheit ganz gut gelungen ist, die psychologische Einheit aber eine Katastrophe ist.“

Ramelow attestiert einem Teil der Ostdeutschen eine „seelische Heimatlosigkeit“

Ramelow sprach von einer „seelischen Heimatlosigkeit“ eines Teils der Ostdeutschen, der sich nicht ausreichend anerkannt sehe. „Bei den zu niedrigen Löhnen müssen sich die ostdeutschen Arbeitnehmer organisieren und solidarisch um höhere Löhne kämpfen. Da helfen Herr Höcke oder der vermeintliche Denkzettel über die AfD nicht weiter.“

Viele Ostdeutsche seien inzwischen der Meinung, dass es Aufmerksamkeit dann gebe, wenn sie etwas täten, „was in Westdeutschland für Empörung sorgt“.

Hohe Umfragewerte für die AfD sind nach Einschätzung von Ramelow damit auch eine Art Trotzreaktion, „keine bockige, sondern eine permanente“. Sie seien Ausdruck einer Überforderung durch Nichtverstehen oder Nichtanerkennen, was in Ostdeutschland in den vergangenen Jahrzehnten geleistet worden sei.

Thüringens Regierungschef, der 2024 erneut antreten will, warnte erneut vor Pauschalurteilen über Ostdeutsche. Das gelte auch für AfD-Wähler. „Nicht alle sind Nazis oder Faschisten, wie einige meinen.“ (dpa)

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