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Flüchtlinge auf dem Gelände einer Flüchtlingsunterkunft im Kreis Bergstraße.

© dpa/Arne Dedert

Brandbrief einer Kommune an den Kanzler: „Politik wird schlichtweg nicht mehr akzeptiert“

Der SPD-Kommunalpolitiker Heiko Jerkowski mahnt wegen der Flüchtlinge mehr Hilfe des Bundes an. Und er beklagt die Aggressivität von Bürgern, die einfache Antworten auf schwierige Fragen verlangten.

Der Bürgermeister von Burg in Sachsen-Anhalt hat einen Brandbrief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) geschrieben. Wir sprachen darüber mit Heiko Jerkowski (SPD), Vorsitzender der größten Stadtratsfraktion in Burg, der Stadträte von SPD, Linken, Grünen und Freien Wählern angehören.

„In den vergangenen Monaten sind wir immer mehr an die Grenzen unserer Aufnahmefähigkeit gelangt“, heißt es in einem Brief Ihres Bürgermeisters Philipp Stark und dem Vorsitzenden des Stadtrates, Markus Kurze (CDU), an Kanzler Olaf Scholz. Was ist los in Burg?
Von 2017 bis 2023 ist der Ausländeranteil in Burg von 5,8 auf 9,9 Prozent gestiegen. Das ist zwar keine Verdopplung, aber ein ordentlicher Anstieg. Das liegt an den ukrainischen Flüchtlingen und jenen, die über das Mittelmeer oder aus Afghanistan und Syrien gekommen sind.

Wir sind eine Kreisstadt mit gut 23.600 Einwohnern. Dadurch hat sich auch die Bevölkerungsstruktur in der Stadt verändert. Im Rahmen der Zuständigkeit der Stadt hat sich das vor allem auf die Betreuung von Kindern in den Kitas sowie Schulen ausgewirkt. Dazu kommen auch Änderungen in der Inhaberstruktur der Geschäfte in der Innenstadt, die oft auf Unverständnis stoßen.

Heiko Jerkowski

© privat

Was ist Ihr Ziel?
Jeder, der sich in unserer schönen Heimatstadt ansiedeln will, ist willkommen. Natürlich stoßen unterschiedliche Kulturen im ersten Moment auch mit Unverständnis aufeinander. Um das Ankommen, die Integration möglich zu machen und nachhaltig erfolgreich zu gestalten, benötigen wir mehr Unterstützung. Wir brauchen mehr Geld und Personal, damit die Integration gelingen kann.

Weder vom Land noch vom Bund kommt ausreichend Hilfe. Wir arbeiten mit dem Personalstamm von 2015/16, der Zeit der ersten Flüchtlingskrise. Wir benötigen Schulsozialarbeiter:innen, Pädagogen, Kinderbetreuer:innen, Sprachlehrer:innen. Wir wollen, dass die Integration funktioniert.

Wie reagieren Bund und Land auf Ihre Forderungen?
Unser Bürgermeister Philipp Stark hat mit der für Migration zuständigen Staatssekretärin im Sozialministerium, Frau Möbbeck, Kontakt aufgenommen und sie dringlich auf unseren Bedarf bei der Betreuungssituation in den Kitas und Schulen aufmerksam gemacht.

Wie kam es zu dem faktisch offenen Brief an Kanzler Scholz?
Ich führe die größte Fraktion im Stadtrat von Burg, zu der sich SPD, Linke, Freie Wähler, Grüne zusammengeschlossen haben. Olaf Scholz ist mein Bundeskanzler. Die AfD-Fraktion im Stadtrat stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen, während wir mit der CDU-Fraktion gut zusammenarbeiten.

Die AfD stellte vor kurzem einen Antrag, der auf die Probleme mit Migranten hinwies, aber im Ton viel zu scharf formuliert war und Falschaussagen enthielt. Daraufhin haben wir uns mit der CDU verständigt, womit der Antrag der AfD vom Tisch war.

Der Brief stammt daher aus der Feder der CDU-Fraktion, wir haben uns dem Brief angeschlossen. Ich teile nicht alles darin, es ist ein Kompromiss. Analog wurde der gleiche Entwurf einige Wochen zuvor vom Kreistag beschlossen, beim Landkreis liegt ja auch die primäre Zuständigkeit für das Thema.

Ich würde Olaf Scholz gern anschaulich die Lage in der Stadt erläutern.

Heiko Jerkowski (SPD), Vorsitzender der größten Stadtratsfraktion in Burg (Sachsen-Anhalt)

Die von der Bundesregierung vertretene Asylpolitik stoße bei den Einwohnern in Burg auf immer weniger Akzeptanz, heißt es in dem Brief. Was sagen Ihre Mitbürger, wie ist die Stimmung?
Nur ein Beispiel: Unser Feuerwehr-Gerätehaus stammt aus den 1930er Jahren, ist bald hundert Jahre alt. Es ist marode, war jüngst einsturzgefährdet. Burg liegt dicht an der A2, wo es ständig Baustellen gibt. In jüngster Zeit gab es fünf Unfalltote. Unsere Feuerwehr rückt ständig dorthin aus. Mit der vorhandenen Infrastruktur klappt das kaum noch. Wir brauchen dringend ein neues Feuerwehr-Gerätehaus, was etwa zehn Millionen Euro kostet. Dieses Geld hat unser Haushalt nicht, von Land und Bund kommt nichts. Unsere Bürger sagen: Dafür ist kein Geld da, während genug Geld für andere Themen zur Verfügung steht.

Wie sieht es in der Stadt aus?
Die Innenstadt verändert sich. In unserer Fußgängerzone verändert sich die Eigentümerstruktur. Ein Barber-Shop nach dem anderen zieht dort ein. In der Wahrnehmung vieler Bürger wird es immer komplizierter, eine akzeptable Wohnung zu finden. Aus den Kitas und Schulen wird uns gespiegelt, dass der Betreuungsaufwand durch die Fremdsprachlichkeit vieler Kinder steigt, während Eltern befürchten, dass die Entwicklung ihrer Kinder dadurch gefährdet ist.

Den Menschen erschließe sich zum Beispiel nicht, wieso die Leistungen für Geflüchtete nicht in Sachleistungen erbracht werden, heißt es in dem Brief.
Ja, diese Meinung existiert in der Stadt. Sachleistungen wären manchmal hilfreicher.

Was würden Sie dem Kanzler sagen, wenn Sie mit ihm sprechen könnten?
Ich würde Olaf Scholz gern anschaulich die Lage in der Stadt erläutern. Politik wird schlichtweg nicht mehr akzeptiert. Wir sind Kommunalpolitiker und bekommen die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger direkt vor Ort mit, auch für die Bundespolitik und Landespolitik.

Wir hier vor Ort sind für die Menschen die ersten Ansprechpartner und werden einfach nicht mehr akzeptiert. „Ihr macht doch sowieso, was Ihr wollt“, hören wir fast täglich. Die Menschen fühlen sich in ihren Sorgen nicht mehr mitgenommen.

Man merkt, wie aggressiv Teile der Bevölkerung geworden sind. Es werden oft einfache Antworten auf schwierige Fragestellungen erwartet.

Heiko Jerkowski (SPD), Vorsitzender der größten Stadtratsfraktion in Burg (Sachsen-Anhalt)

Es gibt ein Kooperationsverbot, der Bund darf den Kommunen kein Geld geben, nur das Land …
Der Bund kann sehr wohl etwas machen, etwa Förderprogramme auflegen, von denen die Kommunen profitieren. Das Land hat ein Programm für die Feuerwehren gestrichen. Sollen Kommunalpolitiker wie wir sagen, wir brauchen keine Freiwilligen Feuerwehren mehr?

Unsere ehrenamtlichen Feuerwehrleute leisten so viel. Aber wenn selbst für diese Engagierten nichts passiert, haben wir ein Problem. Nebenbei: Wir als Stadt leisten viel Arbeit für den Bund, an der A2, am Mittellandkanal, an der Bahnstrecke, am größten Bundeswehr-Standort in Sachsen-Anhalt. Die Menschen spüren dabei, dass der Bund nichts für uns tut!

Sie sind seit 1999 Stadtrat. Ist die Lage heute ganz anders als vor zwei, fünf, zehn Jahren?
Die Komplexität der Themen hat zugenommen und es wird immer schwieriger den Menschen bestimmte Themen oder Entscheidungen zu vermitteln, die oft auf ganz anderer Ebene getroffen werden, die hier vor Ort aber umgesetzt werden müssen.

Viele Gespräche mit Bürgern sind heute – anders als noch vor wenigen Jahren – oft unqualifiziert und oberflächlich. Man merkt, wie aggressiv Teile der Bevölkerung geworden sind. Es werden oft einfache Antworten auf schwierige Fragestellungen erwartet.

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