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Der Animationsfilm „No Dogs or Italians Allowed“ von Alain Ughetto.

© Foto: DokLeipzig

Dokumentarfilmfestival Leipzig: Zärtlicher Enthusiasmus für prekäre Bilder

Das DokLeipzig präsentiert neue, weibliche Perspektiven auf die DDR. Und es zeigt sich, dass die Krise der Öffentlich-Rechtlichen auch den Dokumentarfilm trifft.

Die Entdeckung beim 65. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DokLeipzig) waren buchstäblich: die Entdeckungen. Und zwar die, die in der den „Defa-Dokumentaristinnen“ gewidmeten Retrospektive gemacht wurden. Ein Titel, der in seiner Geräumigkeit ein wenig nach Abstellkammer klingt, in der aber – um im Bild zu bleiben – auf unkonventionelle Weise Ordnung geschafft wurde durch die Zusammenstellung der 19 Beiträge.

Wider die öde Dichotomie von Repression und Widerstand

Verantwortlich zeichnen die Filmkritikerin Carolin Weidner, die Teil der Auswahlkommission von DokLeipzig ist, und Felix Mende, der zum legendären Hofbauer-Kommando gehört. Dabei handelt es sich um eine Gruppe materialbewusster Cinephiler, die seit gut zehn Jahren für das Hofbauer-Kongress genannte Festival in Nürnberg in den vermeintlichen trüben Nebenarmen der offiziellen (deutschen) Filmgeschichte nach Perlen suchen. Ein Dekanonisierungsprojekt also, das ohne Dünkel und getrieben von zärtlichem Enthusiasmus noch fürs prekärste Bewegtbild ein eigenes Reden über Film hervorgebracht hat, das als Echo aus den charmant-nonchalanten Einführungen in Leipzig tönte.

Festivalleiter Christoph Terhechte brachte das Credo der Retrospektive auf den Begriff der „Neugierde“. Und die durchkreuzte auf der Suche nach vielfältigen künstlerischen Positionen und besonderen Momenten eben gängige Muster wie die öde Dichotomie von Repression und Widerstand, die in jedem trostlosen Fernsehfilm zum 3. Oktober seit mehr als 20 Jahren DDR spielen soll. Dissidentere Regisseurinnen wie Tamara Trampe, Helke Misselwitz und Petra Tschörtner standen hier neben den vergessenen Staatskünstlerinnen wie Annelie Thorndike (die von 1973 bis 1989 dem Komitee der Leipziger Dokwoche vorstand) und Gitta Nickel, weil die Arbeiten der letzteren eben auch gegen die Intentionen der einstigen Parteilinie geschaut werden konnten.

Gitta Nickel drehte weniger linientreue Filme wie „Jung sein … und was noch?“ (1977) im Auftrag der Partei.

© Foto: Defa/DokLeipzig

So beginnt Nickels unterhaltsam-sprunghafter Film „Jung sein … und was noch?“ von 1977 als Portrait einer Stralsunder Jugendbrigade, in dem der Puhdys-Hit „Alt wie ein Baum“ als popkultureller Ausweis von vitaler Frische ein paar Mal zu oft vorgezeigt wird; endet dann aber in einer Klage über den Wohnungsmangel. Die Parteileute im Betrieb kriegen keinen Nachwuchs rekrutiert, weil die jungen Männer sich die Mitgliedschaft in der SED als Pfand für mögliche Zugeständnisse vorbehalten – ein hübsches Sinnbild für den ökonomischen Niedergang der DDR in der Honecker-Ära, in der die Bevölkerung mit teuer bezahlten Geschenken von oben bestochen werden sollte.

Róza Berger-Fiedlers Kurzfilm „Dialog“ (1978) über einen aufrichtigen, rhetorisch aber auch schon märchenonkelnden NVA-Kader wollte ursprünglich die Frau stärker in den Blick nehmen, die von der Karriere ihres Mannes verschattet wird. Die wenigen Szenen, die es in den fertigen Film geschafft haben, sind dennoch von beredter Abgründigkeit. Und auch hier ist das Scheitern der DDR schon absehbar. Die Kritik eines subalternen Soldaten, der für seine eigenen Fehler zur Verantwortung gezogen wird, aber mit dem Verweis auf Übel in der Hierarchie über ihm nicht durchdringt, wird vom Protagonisten vermeintlich zugewandt weggeredet durch eine Anhäufung semantischer Leerformeln: „Jawoll, hier muss in vielen Fragen prinzipieller, planmäßiger, kontinuierlicher gearbeitet werden.“

Was hätte Oliver Schenk in „Dialog“ gesehen? Der sächsische Staatminister für Medien saß in der Mitte einer Gesprächsrunde, die von der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) organisiert wurde und die, wenig überraschend, von der durch die Ex-RBB-Intendantin ausgelösten Krise der Öffentlich-Rechtlichen handelte. Schenk bestritt seinen Auftritt mit zeitgenössisch-vagen Floskeln („Reformprozesse anstoßen“), was sich auch der Anlage dieser Runde durch die AG Dok verdankte. Denn die setzte auf braven Panelismus mit fünf Leuten, bei dem erst am Ende durch Meldungen aus dem Branchen-Publikum Brisanz ins Gespräch kam, als keine Zeit zur Diskussion mehr blieb.

Pepe Danquart porträtiert in „Daniel Richter – Punser die Zukunft“ den Maler und ehemaligen Punk. 

© Foto: DokLeipzig

So konnte CDU-Mann Schenk interessierten Blickens und zugewandten Schauens hinter dem unhinterfragten Paradox verschwinden, dass einerseits Rundfunkräte als Kontrollgremien immerfort gestärkt werden sollen, die Politik von ihren unausgesprochen kontinuierlichen Einflussmöglichkeiten auf diese Organe aber nicht lassen mag. Wenn es einen Kulturwandel im hierarchisch aufgebauten öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben soll, müsste fraglos prinzipieller und planmäßiger daran gearbeitet werden.

Auffällig war sonst, dass der analoge Festivalbetrieb in Leipzig nach zwei Corona-Ausgaben Zeit brauchte, um Säle vollzukriegen, die im Vergleich zu den früheren Jahren auch noch kleiner waren. Probleme, vor denen die Bildende Kunst nicht steht, wenn sie auf prominente Namen hört.

Pepe Danquarts zweistündiges Portrait über Daniel Richter im Deutschen Wettbewerb („Daniel Richter – Punser die Zukunft“) zeigt einen eloquenten Maler, dessen künstlerische Krisen in langen Atelieraufnahmen allerdings nicht zum Vorschein kamen. Sondern eigentlich nur in der Szene, in der Richter über die Realität des Kunstmarktes reflektiert und sich in der Beschreibung eines Amok laufenden Kapitals auf der globalen Suche nach Anlagenmöglichkeit als Produzent für die Belange eines Geldes entdeckt, das der politische Mensch in ihm wohl „dreckig“ nennen würde.

Die weniger schillernde Kehrseite kapitalistischer Wachstumsimperative macht Nikolaus Geyrhalter in „Matter out of Place“ (Internationaler Wettbewerb) sichtbar. Der Film beschäftigt sich, die titelgebende Fachbezeichnung deutet es an, mit Müll. Den bringt Geyrhalters Beobachtungstoizismus in Albanien und der Schweiz, auf den Malediven, in Griechenland oder Österreich in einen schlagenden Zusammenhang, der von gesundheitsgefährdender Handarbeit bis zum thrillerhaft alles zermalmenden Hochleistungshäcksler reicht.

Um am Ende beim Fegen der Wüste in Nevada anzukommen – den Aufräumarbeiten nach dem „Burning Man“-Festival, dessen irrer energetischer Aufwand mit Festivalbeleuchtung, Feuerwerk und Fahrzeugschlangen beim Abreisen wie ein Menetekel für die Drangsalierung des Planeten wirkt. „Don’t get attached by your Matter out of Place“ (etwa: Gebt euch nicht eurem Müll hin) lautet der Hinweis des Vorarbeiters an die Aufräumtrupps. Eine bittere Pointe.

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