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Acht Tote und 63 Verletzte forderte der Anschlag vom 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller. Hitler hatte den Saal 13 Minuten vorher verlassen.

© imago images/Everett Collection

Die Bombe im Bürgerbräukeller: Eine neues Buch über den durch Zufall gescheiterten Hitler-Attentäter Georg Elser

Der Tischlergeselle war Einzeltäter, wurde verleumdet, ignoriert und erst spät als Mann des Widerstands anerkannt. Wolfgang Benz würdigt ihn in einer spannenden Biografie

Dem von Fahnen lustig umflatterten Café Backus im niederländischen Venlo sieht man seine kleine, doch folgenreiche Rolle in der europäischen Geschichte partout nicht an. Ein Einkehr- und Einkaufszentrum wie so viele andere an der nur wenige Meter entfernten deutschen Grenze, das mit angeschlossenem Super- und Fischmarkt um Kunden aus dem Nachbarland wirbt.

Am 9. November 1939 aber war das Café Schauplatz eines blutigen Zwischenfalls: Ein SS-Kommando kidnappte zwei Agenten des britischen Secret Service, denen man vorgegaukelt hatte, sie könnten hier Kontakt zum deutschen Widerstand aufnehmen. Hitler persönlich hatte den Befehl zu der Aktion erteilt, bei der ein niederländischer Geheimdienstoffizier zu Tode kam.

Für die NS-Propaganda war Elser ein Agent der Briten

Der Zeitpunkt des Zugriffs war kein Zufall: Tags zuvor war im Münchner Bürgerbräukeller ein Sprengstoffanschlag gegen Adolf Hitler gescheitert. Der Täter, der aus der Schwäbischen Alb stammende Tischler Johann Georg Elser, war bereits gefasst worden und diente nun der NS-Propaganda, ebenso vorschnell, wie der im brennenden Reichstag festgenommene Marinus van der Lubbe als Werkzeug der Kommunisten dargestellt worden war, als Handlanger der Briten. Die beiden Agenten kamen da als vermeintlicher Beweis gerade recht.

Auch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock, Stauffenbergstraße 13 in Tiergarten, wird Georg Elser gewürdigt.
Auch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock, Stauffenbergstraße 13 in Tiergarten, wird Georg Elser gewürdigt.

© imago/epd

Eine kleine, für die Legendenbildung der Nationalsozialisten aber typische Episode in dem Drama um die akribisch vorbereitete, nur durch einen Zufall gescheiterte Tat Elsers. Sie war in der deutschen Öffentlichkeit lange ignoriert oder verfälscht wiedergegeben worden. Erst Klaus Maria Brandauers Spielfilm „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ von 1989 wurde zum „Paukenschlag, mit dem der Hitlerattentäter die Bühne der Erinnerungskultur eroberte“, wie Wolfgang Benz, ehemaliger Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, in seinem Buch „Allein gegen Hitler“ schreibt.

Zwei Denkmäler erinnern in Berlin an Elser

Mittlerweile ist Elser als ein den Geschwistern Scholl und dem Kreis um Claus Schenk Graf von Stauffenberg ebenbürtiger Widerstandskämpfer anerkannt, die „Apotheose als Held“ vollzogen. Berlin weist heute sogar zwei Denkmäler auf, vor dem Bundesinnenministerium und in der Wilhelmstraße. Und die Literaturliste in dem neuen Buch, die nur „die wichtigsten Monografien zum Thema Georg Elser“ verzeichnet, umfasst allein über 40 Titel.

Der Fülle des Materials hat Benz nun einen originellen, ja spannenden Beitrag hinzugefügt. Sein Anliegen sei es, „vor allem, Georg Elser im historischen, sozialen, politischen und menschlichen Kontext zu sehen, als fröhlichen Handwerker in seiner süddeutschen Heimat, als Bürger und moralisch empfindendes politisches Wesen, im Widerstand gegen das Unrechtsregime, als Opfer und in jahrelanger Todesnot“. Nicht zu vergessen die Schilderung seiner Verleumdung, Verleugnung und späten Heroisierung. Entstanden ist so ein biografisches Werk, in dem Vorbereitung, Ausführung und Scheitern der Tat samt ihrer Instrumentalisierung durch die NS-Propaganda nur einen Teil, allerdings einen gewichtigen und detailreichen, ausmachen.

Hitler verließ des Saal 13 Minuten zu früh

Der banale Grund für Hitlers Überleben: Schlechtes Flugwetter. Am 8. November 1939 feierten er und die „Alten Kämpfer“ der NSDAP den Jahrestag des gescheiterten Putschs von 1923 - wie gewohnt im Münchner Bürgerbräukeller. Am nächsten Tag wollte Hitler unbedingt zurück in Berlin sein, das konnte ihm sein Pilot nicht garantieren. Hitler nahm daher den Abendzug, verließ die Feier früher als üblich, verpasste die Explosion, die acht Tote und 63 Verletzte forderte, um genau 13 Minuten.

Doch ebenso wie die Details des Anschlags und dessen schneller, durch Elsers Leichtsinn erleichterter Aufklärung interessiert Benz – für ihn eine Leerstelle in der bisherigen Forschung – der „Einfluss der Landschaft und ihrer Menschen auf den Entschluss des bildungsfernen Handwerkers zum Widerstand in seiner höchsten Ausprägung, dem Tyrannenmord“. Auch sein familiärer Hintergrund, die mehrfachen Liebeleien und Affären, der berufliche Werdegang und sein Wesen als teils lebenslustiger, teils verschlossener Mensch, als zudem unbeirrbarer, ja geradezu obsessiver „kategorischer Moralist“ werden ausführlich beleuchtet.

So gewinnt die Figur des Attentäters charakterliche Vielschichtigkeit und individuelle Tiefe – und dies, obwohl es außer dem im Behördendeutsch verfassten Protokoll des von Folter begleiteten Gestapo-Verhörs kein Schriftstück gibt, „ in dem Georg Elser seine Gedanken, Empfindungen, Ängste oder Glücksgefühle übermittelt hat“.

Gewürdigt werden schließlich auch die anderen Anschläge auf Hitler, die seine Herrschaft sogar stabilisierten: Offensichtlich, so die Propaganda, sei die Vorsehung auf seiner Seite. Erstaunlich, an welch simplen technischen Unzulänglichkeiten diese Attentate oft scheiterten, zumal die Täter aus dem militärischen Widerstand über professionelles Fachwissen verfügten. Die Höllenmaschine des Tischlergesellen Elser dagegen, der am 9. April 1945 im KZ Dachau auf Hitlers Anweisung erschossen wurde, war mit der Präzision eines Uhrwerks abgelaufen. Nur das Wetter spielte nicht mit.

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