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Schottlands Ex-Regierungschefin Nicola Sturgeon wurde vorübergehend festgenommen und vernommen.

© afp/Andy Buchanan

Finanzskandal von Schottlands Nationalpartei: Rückschlag für Bestrebungen nach Unabhängigkeit

Nach der Vernehmung von Ex-Premierministerin Sturgeon streitet die Partei über den Umgang mit der ehemaligen Parteivorsitzenden. Die Labour-Partei ist im Aufwind.

Es ist ein schwerer Schlag für die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit: Ihre Galionsfigur, die frühere Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon, zählt seit Sonntag offiziell zu den Beschuldigten in der Finanzaffäre der Nationalpartei SNP.

Prominente Abgeordnete streiten nun öffentlich darüber, ob die Mitgliedschaft der langjährigen Partei- und Regierungschefin suspendiert werden müsse. Dafür gebe es keine Veranlassung, glaubt Sturgeons Nachfolger Humza Yousaf: „Die Unschuldsvermutung gilt für alle.“

Der Schatten eines Ermittlungsverfahrens lastet seit etwa zwei Jahren über der Nationalpartei. Dabei geht es um die Summe von umgerechnet 778.000 Euro.

778.000
Euro stehen im Zentrum des Ermittlungsverfahrens der Nationalpartei SNP

Das Geld hatte die SNP zwischen 2017 und 2020 von Unterstützern für die Organisation und Vorbereitung des angestrebten neuerlichen Referendums über Schottlands Unabhängigkeit eingesammelt – nachdem die Schotten sich 2014 mit 55 zu 45 Prozent für den Fortbestand der Union entschieden hatten.

Als die Parteibilanzen fürs Kalenderjahr 2019 nur noch wenig mehr als die Hälfte dieser Summe als Guthaben auswiesen, schlugen mehrere Bürger Alarm. Die Kriminalpolizei nahm Untersuchungen auf. Auch die unabhängige Parteiaufsicht musste sich mit der SNP befassen.

Im Mittelpunkt aller Ermittlungen steht der langjährige Generalsekretär Peter Murrell, Sturgeons Ehemann. Unter anderem hatte dieser seiner Partei ein sechsstelliges Darlehen gewährt, das erst mit erheblicher Verspätung gemeldet worden war. Die mittlerweile zurückgezahlte Summe von umgerechnet 121.960 Euro habe zur Überwindung temporärer „Cashflow-Probleme“ gedient.

Für eine Generation erledigt.

Der Glasgower „Daily Record“ über das Streben nach der Unabhängigkeit Schottlands

Vieles spricht dafür, die zunächst monatelang vor sich hindümpelnden Ermittlungen hätten zu Jahresbeginn an Fahrt aufgenommen. Sturgeon kündigte im Februar ihren Rücktritt an.

Wenige Wochen später nahm die Polizei Murrell sowie den SNP-Schatzmeister Colin Beattie als Beschuldigte zeitweilig in Haft und durchsuchte sowohl die SNP-Parteizentrale in Edinburgh wie das Privathaus des Ehepaares Sturgeon/Murrell in der Nähe von Glasgow. Stets beteuerte die frühere Ministerpräsidentin, sie habe von der ganzen Sache nichts gewusst, und bezeichnete sich als „zutiefst erschüttert“.

Sie werde lang Aufgehobenes nachholen und „ein wenig mehr Privatsphäre“ genießen, lautete der Wunsch der lange Zeit hochpopulären Politikerin für die Wochen nach ihrem Rücktritt. Stolz präsentierte die 52-Jährige am Samstag das positive Ergebnis ihrer theoretischen Fahrprüfung. Schon tags darauf war es allerdings mit der Privatsphäre wieder vorbei.

121.960
Euro hat Sturgeons Ehemann Peter Murrell der Partei geliehen und ist nun Angelpunkt der Ermittlungen

„Nach vorheriger Vereinbarung“ meldete sich die Spitzenpolitikerin, begleitet von ihrem Anwalt, zum Verhör bei ihrer örtlichen Polizeistation. Wie nach schottischem Recht bei Beschuldigten üblich wurde sie dafür vorläufig festgenommen, befand sich also offiziell in Polizeigewahrsam. Gut sieben Stunden später durfte die Beschuldigte wieder gehen, ohne dass Anklage gegen sie erhoben worden wäre.

Der politische Schaden für die Nationalistin, ihre Partei sowie für deren wichtigstes Anliegen, das Streben nach Unabhängigkeit, ist immens. Von einem „schweren Schlag“ schrieb sogar die ausgesprochen nüchterne „Financial Times“. Das Streben nach Unabhängigkeit sei „für eine Generation erledigt“, freute sich der Glasgower „Daily Record“.

Arbeiterpartei im Aufwind

Nachfolger Yousaf hatte das Nachfolgerennen im März mit hauchdünnem Vorsprung ausdrücklich als „Kontinuitätskandidat“ gewonnen. Eine glaubwürdige Distanzierung von Sturgeon und den merkwürdigen SNP-Geschäften wird für den 38-Jährigen also schwierig.

Hingegen gehört seine damalige Konkurrentin Ash Regan zu jenen SNP-Mandatsträgern, die ihre frühere Chefin mindestens zeitweilig aus der Partei ausschließen wollen. Mit anderen Übeltätern sei Sturgeon schließlich in ihrer Amtszeit ähnlich rigoros verfahren.

Die Opposition im Edinburgher Parlament verhöhnte den Regierungschef am Montag daher als „schwach“. Dem regionalen Labour-Chef Anas Sarwar zufolge steckt die SNP „tief im Dreck“.

Die Arbeiterpartei, deren frühere Dominanz die Nationalpartei brechen konnte, beflügeln diese Ereignisse. Statt wie bisher ein einziges von 59 Unterhausmandaten sagen die Demoskopen Labour derzeit etwa 20 Wahlkreissiege voraus. Das würde den Weg des Londoner Labour-Chefs Keir Starmer in die Downing Street ebnen.

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