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Das Quartier rund um den Mercedes-Benz-Platz ist in den vergangenen Jahren neu entstanden.

© imago/Marius Schwarz

Berlin wächst in die Höhe: Warum das Hochhausleitbild für die Stadt wichtig ist

Seit vielen Jahren debattiert Berlin über Hochhäuser. Nun gilt es, bei neuen Projekten das vom Senat beschlossene Hochhausleitbild anzuwenden.

Ein Gastbeitrag von
  • Petra Kahlfeldt
  • Ephraim Gothe


Alle Jahre wieder wird in Berlin die Hochhausfrage gestellt. Zuletzt wurde für die City West gar ein 300 Meter hohes Hochhaus, eine „vertikale Stadt“, vorgeschlagen, die Fraktion der CDU empfahl nach einer Klausur in Warschau, die Innenentwicklung Berlins mit „Wolkenkratzern“ zu stärken, die Fraktion der Grünen bringt eine pauschale Anhebung der „Berliner Traufhöhe“ um drei Geschosse auf 30 Meter ins Spiel.

Es gibt aber auch konkrete Projektentwicklungen, so an der Jannowitzbrücke unweit des Fernsehturms. Das hier vom Immobilienentwickler HB REAVIS geplante Hochhaus wird nach dem im Februar 2020 vom Berliner Senat beschlossenen Haushausleitbild geplant.

Nach diesem Hochhausleitbild wird in einem Phasenmodell geprüft, ob erstens ein (beliebiger) Standort für eine Hochhausidee geeignet ist, formuliert zweitens Anforderungen, um auf die direkte Umgebung angemessen zu reagieren und stellt drittens Anforderungen an Erdgeschoss und oberstes Geschoss, bei Häusern über 60 Metern an eine gemischte Nutzung. Das Durchlaufen der Planungsphasen sichert gleichzeitig die auf Partizipation der Öffentlichkeit und architektonische Gestaltung gewünschte Prozessqualität.

Hier stehen die höchsten Häuser der Stadt
Hier stehen die höchsten Häuser der Stadt

© Tagesspiegel

In der Phase 1 steht das Einfügen eines neuen Projektes in die Makroebene, gemeint ist damit die Einpassung in die seit der Wende geschaffene Höhenphysiognomie der Inneren Stadt. Dies ist so richtig wie anspruchsvoll, denn die gebaute Höhenlandschaft ist in Berlin nicht mit einem Blick erfassbar.

Wo in Berlin stehen die höchsten Häuser der Stadt?

Welche Grundstücke sind für den Bau von Hochhäusern geeignet, welche besonderen Eigenschaften des Ortes rechtfertigen eine Höhendominanz und das damit verbundene werthaltige Baurecht?

Tatsächlich haben sich seit dem Fall der Mauer innerhalb des Berliner S-Bahnrings fünf Orte herausgebildet, die durch komponierte Hochhausgruppen vertikal herausragen und die jeweils sehr gut begründet eine städtebauliche Sonderrolle spielen, drei davon können auf eine mittlerweile hundertjährige Veranlagung verweisen, zwei sind tatsächlich Neuschaffungen, die nach der Wende entstanden. Dies sind der Potsdamer Platz, der Alexanderplatz, der Breitscheidplatz, der Europaplatz am Hauptbahnhof und der Arenaplatz am Ostbahnhof. Ironischerweise ist der mit den meisten und höchsten Häusern beplante Alexanderplatz als Hochhausplatz noch nicht sichtbar, von den sieben geplanten Hochhäusern sind derzeit drei im Bau.

Um die Entstehung dieses städtebaulichen Gefüges deuten zu können, braucht es einen kleinen Rückblick in die Stadtgeschichte. Mit der Bildung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin 1920 entstand erstmals in der seit der industriellen Revolution stark angewachsenen Berliner Großstadt-Agglomeration die Möglichkeit, die Gesamtstadt – politisch durch den Magistrat der Stadt legitimiert – aus einer Hand zu planen. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 konnte Berlin als Hauptstadt der Weimarer Republik trotz des verlorenen Weltkriegs städtebaulich Beachtliches leisten. Getrieben von durchsetzungsstarken Politikern wie Martin Wagner und Ernst Reuter (beide SPD) wird das U-Bahnsystem entscheidend ausgebaut, der gemeinnützige Wohnungsbau vorangetrieben, große Volksparks angelegt, das Strandbad Wannsee gebaut.

Wie aber sollte sich die neugebildete Riesengemeinde in ihrem Zentrum darstellen? Und wann begann hierbei das Hochhaus eine Rolle zu spielen? Tatsächlich erfolgte bereits in der Kaiserzeit eine langsame aber stetige Westwanderung des Berliner Zentrums von der Berliner Altstadt über Friedrich- und Dorotheenstadt in Richtung Potsdamer Platz, bedeutende Bankhäuser entstanden Unter den Linden und in der Behrenstraße, die Friedrichstraße wurde Inbegriff von abendlicher Unterhaltung und Nachtleben. Westlich vom Großen Tiergarten in der damals eigenständigen Großstadt Charlottenburg bildete sich um die Gedächtniskirche mit dem Romanischen Forum ein weiteres Zentrum heraus.

Auf dieser Basis entstanden in der Weimarer Zeit die drei Geschäftszentren am Alexanderplatz, am Potsdamer Platz und um die Gedächtniskirche, alle drei gleichzeitig wichtige Verkehrsknotenpunkte und von großen Warenhäusern geprägte Einkaufszentren. Bei der ehrgeizigen Neuorganisation des Alexanderplatzes entstanden 1928 die heute noch bestehenden achtgeschossigen Gebäude nach Plänen von Peter Behrens, per Ausnahmegenehmigung ein Geschoss höher als von der damaligen Berliner Bauordnung erlaubt. Die damit höchsten Gebäude der Stadt wurden deshalb „Hochhäuser“ genannt. Am Potsdamer Platz wurde in der Flucht der Leipziger Straße ein 15-geschossiges Hochhaus konzipiert, aber nicht ausgeführt.

Berlin sollte zu einer „Weltstadt“ werden, die in einer Reihe von „Weltstadtplätzen“ kulminieren sollte. Der Alexanderplatz war der erste, der in die bauliche Umsetzung ging. Gleichzeitig gab es Wettbewerbe und Initiativen für einzelne Hochhäuser bis hin zu Batterien von Scheibenhochhäusern in der Friedrichstadt, die allerdings allesamt Papier blieben.

Am Alexanderplatz entstehen mehrere neue Hochhäuser.
Am Alexanderplatz entstehen mehrere neue Hochhäuser.

© imago/PEMAX

In der Zeit des Nazi-Regimes wurde eine gigantomanische Umplanung des Zentrums mit einer großen Nord-Süd-Achse zwischen zwei riesigen neuen Bahnhöfen geplant, auch diese Pläne blieben trotz energischer Vorbereitung baulich folgenlos, waren aber Anlass für die Vertreibung von jüdischen Mitbürger:innen aus dem Tiergartenviertel und dem nördlichen Schöneberg.

Durch die Teilung der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich 1961 in einer unüberwindbaren, tödlichen Mauer manifestierte, blieben zwei Zentren, der Breitscheidplatz und der Alexanderplatz, die Aushängeschilder zweier Supermächte wurden. Das dritte Zentrum in der Mitte, der Potsdamer Platz, versank unter dem Mauerstreifen.

In der Zeit des Kalten Krieges wurden in beiden Stadthälften im Zuge der Wiederaufbauplanungen auch Hochhaustypologien entwickelt und Hochhäuser gebaut. Angefangen mit dem Hochhaus auf der Weberwiese und der Stalin-Allee in Ost-Berlin über die Hochhäuser des Hansaviertels und am Ernst-Reuter-Platz in West-Berlin, den Plattenbau-Typologien im Großsiedlungsbau Ost-Berlins bis hin zu den Hausgebirgen im Märkischen Viertel und in der Gropiusstadt in West-Berlin.

Die beiden Geschäftszentren Breitscheidplatz und Alexanderplatz wurden mit je einem Scheibenhochhaus, dem 86 Meter hohen Europa-Center von HPP und dem 125 Meter hohen Hotel Stadt Berlin vom Kollektiv Roland Korn, herausgestellt.

Dann fiel die Mauer

Für die Wiedervereinigung der Stadt gab es keinen Plan. Umso bedeutender ist die planerische Leistung des ersten Senats einzuschätzen, der in atemberaubender Geschwindigkeit die Voraussetzungen für ein neues Eisenbahnsystem mit einem Regionalbahnhof unter dem Potsdamer Platz und einem Kreuzungsbahnhof am Humboldthafen, ein Regierungsviertel im Spreebogen und die Reurbanisierung der weitläufigen Mauerbrachen schuf.

Potsdamer Platz: Durch den städtebaulichen Wettbewerb für den Potsdamer- und Leipziger Platz 1991 (1. Preis Hilmer & Sattler) gelang die Wiedergeburt des Potsdamer Platzes als wichtiges Geschäftszentrum zwischen Kulturforum, Großem Tiergarten, Friedrichstadt und Regierungsviertel. Die zunächst bescheidenen Hochpunkte des neuen Quartiers wuchsen im Planungsverlauf dann bis über die 100-Meter-Marke.

Der Potsdamer Platz ist ebenfalls ein Hochhausstandort.
Der Potsdamer Platz ist ebenfalls ein Hochhausstandort.

© IMAGO/Zoonar

Alexanderplatz: Der städtebauliche Wettbewerb für den Alexanderplatz 1993 (1. Preis Kollhoff und Timmermann) ergab die Umrahmung eines neu definierten Platzes mit 10-geschossigen Blöcken, aus denen an der platzabgewandten Seite 150 Meter hohe Hochhäuser erwachsen. Drei von diesen Hochhäusern sind aktuell – 30 Jahre später – im Bau.

Breitscheidplatz: Das Schicksal dieses Ortes ist dadurch bestimmt, dass es keinen städtebaulichen Wettbewerb gab, sondern „Senatorenentscheidungen“ zugunsten der Hochhausprojekte Zoofenster und Upper West (beide 118,8 Meter). Tatsächlich ergibt sich zusammen mit der Gedächtniskirche und dem Europa-Center ein überzeugendes Ensemble. Allerdings sind durch die Abwesenheit einer verbindlichen Gesamtplanung der Fantasie verschiedener Grundstückseigentümer keine Grenzen gesetzt, immer neue Hochhausideen vorzuschlagen.

Europaplatz am Hauptbahnhof: Resultierend aus den städtebaulichen Wettbewerben Stadtquartier Lehrter Bahnhof (1994) und zur Heidestraße (2007) ergab sich der Masterplan für die Europacity auf den breiten Gleisfeldern der Lehrter- und der Hamburger Bahn. Am Europaplatz sind bereits drei Hochhäuser entstanden, das vierte und höchste direkt am Humboldthafen wartet noch auf die Verwirklichung.

Arena-Platz am Ostbahnhof: Der amerikanische Eigentümer Anschutz erwarb hier schon in den 1990er Jahren erhebliche Flächen und realisierte energisch das ganze Quartier. Gekennzeichnet durch die hervorragende Lage zwischen Ostbahnhof, Spree und Oberbaumbrücke gelang hier die Schaffung eines vitalen auch durch Entertainment geprägten Quartiers mit mehreren Hochhäusern.

Das Hochhausleitbild muss für die jeweiligen Standorte mit ihren Besonderheiten und für die wirtschaftlichen Umstände individuell angewandt werden. 

Petra Kahlfeldt und Ephraim Gothe

Alle fünf beschriebenen Hochhaus-Quartiere zeichnen sich durch besondere Eigenschaften aus. Neben einer erstklassigen öffentlichen Erschließung aus U-Bahn, S-Bahn und Regionalbahn prägen anspruchsvolle Geschäftshäuser, Einzelhandel und Entertainment das Erscheinungsbild, der öffentliche Raum bietet interessante Doppelplatzstrukturen, die Namen dieser Plätze sind in der mentalen Karte eingebrannt. Die genannten Hochhaus-Quartiere liegen außerdem fußläufig an bedeutenden öffentlich Parkanlagen und in der Nähe wichtiger politischer und kultureller Institutionen der Stadt.

Fünf Hochhausquartiere der 100-Meter-Klasse

Die Stadt verfügt damit über eine überzeugend zu deutende Hochhausphysiognomie aus fünf Hochhausquartieren mit Häusern der 100-Meter-Klasse. Sie ist gut beraten, im Hochhausleitbild strenge Maßstäbe anzulegen, ob die vorhandenen Qualitäten eines neuen Standortes eine Höhendominanz rechtfertigen.

Davon unabhängig muss der Politik wie der Stadtplanung klar sein, dass mit jedem Zugeständnis an mehr Höhe und mehr Geschossfläche erhebliche Wertzuwächse genau denen gewährt werden, die sowieso schon in erheblichem Maße privilegiert sind, nämlich dadurch, dass sie über Flächen in zentralster Lage verfügen.

Das Hochhausleitbild im Spannungsfeld von Innenentwicklung, Stadtgesellschaft und Immobilienmarkt

Sofern ein Grundstück nach städtebaulichen Kriterien für ein Hochhaus geeignet ist, ist der zentrale Ansatz des Hochhausleitbildes so richtig wie wichtig, Qualitätskriterien für das Erdgeschoss, für das oberste Geschoss und für eine gemischte Nutzung anzulegen.

Über den im Phasenmodell des Hochhausleitbildes umrissenen Prozess zur Sicherung von Partizipation und architektonischer Qualität kann es dann gelingen, zwischen den Bedürfnissen der Stadtgesellschaft, der Notwendigkeit der Innenverdichtung und den Investitionsabsichten des Immobilienmarktes zu einem fairen Interessenausgleich zu kommen.

Nun gilt es, bei neuen Hochhausprojekten das Hochhausleitbild anzuwenden und Erfahrungen damit zu sammeln. Es muss für die jeweiligen Standorte mit ihren Besonderheiten und für die wirtschaftlichen Umstände individuell angewandt werden. Wichtig ist es, in einem transparenten Prozess die Öffentlichkeit und die demokratischen Gremien einzubinden. Der Central Tower an der Jannowitzbrücke ist ein solches Projekt.

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