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Überall nur Sand, und dann plötzlich Steine, fast in Reih’ und Glied: Am Grunde der Ostsee hat offenbar ein frühes menschliches Großbauwerk die Jahrtausende überdauert.

© Philipp Hoy

Wall unter den Wellen: Ein möglicher Sensationsfund in der Ostsee

Niemand hatte die Absicht, eine Mauer zu entdecken. Aber da war sie, in 21 Metern Tiefe. Der Steinwall könnte das älteste von Menschen errichtete Großbauwerk in Europa sein.

Manchmal, wenn auch selten, haben schon Studierende das Glück, bei einer großen Entdeckung dabei zu sein. Wer an der Uni Kiel 2021 sein Praktikum in mariner Geophysik absolvierte, fand sich im September an Bord des Forschungsschiffes „Alkor“ wieder.

Lehre also, nicht unbedingt Forschung, stand auf dem Programm. Doch der Fächersonar brachte in der Mecklenburger Bucht vor dem Ostseebad Rerik eine auffällige Struktur in rund 21 Metern Tiefe auf die Bildschirme.

Als ich die farbcodierte Tiefenkarte vor mir hatte, wusste ich sofort, dass wir hier etwas Besonderes haben.

Jacob Geersen, Meeresgeophysiker, Leibniz-Institut für Ostseeforschung

Um deren Bedeutung zu erkennen, musste man dann aber doch schon fertig studiert haben: „Als ich die farbcodierte Tiefenkarte vor mir hatte, wusste ich sofort, dass wir hier etwas Besonderes haben“ sagt der Meeresgeophysiker Jacob Geersen, der inzwischen am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde arbeitet.

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Ostsee: Steinzeitjagd mit Steinwall

Ein Jahr später wurden die ersten Aufnahmen mit einer Schleppkamera gemacht. Sie zeigten einen etwa einen Kilometer langen Steinwall. Geersen und der Archäologe Macel Bradtmöller von der Universität Rostock halten die mittlerweile „Blinkerwall“ getaufte Struktur für eines der ältesten Großbauwerke der Welt – und das früheste seiner Art in Europa. Sie vermuten, dass steinzeitliche Jäger den Wall vor mehr als 10.000 Jahren errichtet haben.

Da wurde es eng fürs Ren: grafische Rekonstruktion des Steinwalls als Treibjagdstruktur in einer späteiszeitlichen Landschaft.  

© PNAS

Er besteht aus fast 1700 Steinen, ist 971 Meter lang, bis zu zwei Meter breit und meist nicht einmal einen Meter hoch. Rentiere etwa hätte man so in eine bestimmte Richtung treiben können, sagt Bradtmöller: „Dafür reichen regelmäßig aufgebaute Steinhaufen, wie sie etwa aus Grönland bekannt sind, oder niedrige, lineare Strukturen wie am Blinkerwall, vollkommen aus.“

In der Fachzeitschrift „PNAS“ berichtet das interdisziplinäre Team aus mehr als einem Dutzend Forschenden – von Geophysikern über Archäologen und Fachleute für Fernerkundung bis hin zu Denkmalpfegern – nun erstmals über seine Entdeckung.

Das Forschungsschiff Alkor.

© GEOMAR/Nikolas Linke

Dass der Wall anders als durch Menschenhand entstanden sein könnte, halten die Forschenden für nahezu ausgeschlossen. Ein wichtiges Indiz dafür sei, so Geersen, „dass große Findlinge, die eigentlich nicht von Menschen bewegt worden sein können“, durch fast schnurgerade Wälle aus kleineren, tragbaren Brocken aus dem lokalen Geschiebe-Mergel verbunden sind. Das Team schätzt, dass dafür etwa 150 Arbeitsstunden notwendig waren.

Frühe Kooperation

Das klingt nicht unbedingt nach viel. Es würde aber zeigen, dass Jäger und Sammler schon vor über 10.000 Jahren komplexe, planungs- und kooperationsintensive Arbeiten routiniert verrichteten.

Bradtmöller interpretiert das Bauwerk gar als Hinweis auf die Zusammenarbeit von Gemeinschaften, die sonst getrennte Wege gingen: „Eine Nutzung als Jagdstruktur ist am besten denkbar im Kontext von jährlichen Treffen größerer Gruppen, die sowohl die Jagd durchführen konnten, als auch durch die gejagten Tiere ernährt wurden.“

Hochaufgelöste bathymetrische Daten (aufgenommen mit autonomem Unterwasserfahrzeug) entschlüsseln die detaillierte Struktur des Steinwalls. Das untere Bild zeigt, wie sich die Ausrichtung des Walls bei dem größten, nicht tragbaren Stein ändert.

© PNAS/Jacob Geersen

Überraschend wäre dann aber, dass es offenbar nur einen Wall gab und nicht zwei, zwischen denen die Tiere dann wie in einen Trichter getrieben worden wären, wie es bei Treibjagden üblich ist. Das könnte aber auch einfach daran liegen, dass ein zweiter gar nicht nötig war. Denn der Blinkerwall befand sich zum Zeitpunkt seiner Nutzung mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr nahe am Ufer eines Sees. Dieses hätte dann als zweite Begrenzung gedient, sagt Geersen.

Dass der Wall älter als 10.000 Jahre sein muss, schließen die Forschenden aus der Tatsache, dass das Gebiet später zunehmend bewaldet wurde. Für die Jagd auf Huftiere, die sich in offenem Gelände bewegen, wäre er in einer solchen Umgebung nicht sinnvoll gewesen. Bis er schließlich in der Ostsee versank, dauerte es noch etwa anderthalb Jahrtausende.

Pech bei Tauchgängen in der Ostsee

Steinzeitliche Funde ähnlicher Steinreihen als Jagdhilfen sind etwa aus dem Nahen Osten oder Nordamerika bekannt, etwa der „Drop 45“ im Lake Huron, der aber viel kürzer ist als der Blinkerwall.

Dessen Erforschung soll nun weitergehen. „Wir hatten bei ein paar Tauchgängen bisher viel Pech mit Wind und Wetter“ sagt Geersen. Dieses Jahr soll es weitere Versuche geben. Er hofft etwa auf Funde von Speer- oder Pfeilspitzen oder Tierknochen mit Bearbeitungsspuren. Auch „Aufbau und Untergrund der Struktur“ soll am Meersgrund untersucht werden, sagt Bradtmöller.

Es blinkert

Was für all das derzeit noch fehlt, ist die nötige Finanzierung.

Fragt sich noch, warum der Blinkerwall Blinkerwall heißt. Geersen sagt, ein naher manganreicher Unterwasserhügel heiße eben „in der Geologen-Szene“ Blinkerhügel“. Deshalb habe man den Wall so benannt. Aber warum heißt der Blinkerhügel Blinkerhügel?

Das weiß dann auch der Experte für baltischen Meeresgrund nicht so genau: „Vielleicht, weil die Form an den Blinker eines alten Autos erinnert?“ spekuliert er. Die Benennung stamme aus den 90er Jahren. Anders als beim Blinkerwall und seinen Erbauern könnte man hier also sogar noch jemanden fragen, der oder die dabei war.

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