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Einsatzbesprechung des deutsch-irakischen Teams bei der Geländebegehung 2017. Martina Müller-Wiener (rosa Kopftuch) zeigt auf das abzusuchende Gebiet.

© Martin Gussone

Schlüsselfunde der Berliner Archäologie: Ein Kreuz aus frühislamischer Zeit

In der Region südlich von Bagdad im heutigen Irak lebten einst Christen wie Muslime. Einen Beleg dafür fand Martina Müller-Wiener vom Berliner Museum für Islamische Kunst bei ihrer Erkundung von Al-Hira.

Im Übergang von der Spätantike zur frühislamischen Zeit war sie eine multikulturelle Stadt – und dabei überwiegend christlich geprägt: Al-Hira im heutigen Irak, damals im Grenzraum zwischen Byzanz und dem Iran. Einen Beleg für das einstige Nebeneinander der Religionen fand die Archäologin Martina Müller-Wiener, stellvertretende Direktorin des Berliner Museums für Islamische Kunst, mit einem Mitarbeiter: eine Stuckplakette mit einem Kreuz.

Den Fund machten die beiden schon bei der ersten Geländebegehung 2015 in einer Grube in Al-Hira am Euphrat, südlich vom irakischen Nadschaf und Kufa. Auf die 91 mal 53 Zentimeter große Plakette aus feinem Stuck ist ein Kreuz geritzt. Rote und blaue Farbreste sind noch zu erkennen. An die Begehung schloss sich eine Grabung an, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und von der Berliner Archäologin geleitet wurde. Die Forschenden wollten herausfinden, wie sich die Stadt nach der islamischen Eroberung entwickelte und was sie für die Gründung der Stadt Kufa bedeutete.

Ein Zeuge christlicher Kultur im frühislamischen Irak.
Ein Zeuge christlicher Kultur im frühislamischen Irak.

© Martina Müller-Wiener

Eigentlich hätten sie 2015 ja nach Objekten der vorislamischen Blüte gesucht, sagt Müller-Wiener. „Stattdessen fanden wir sehr viel Keramik und Spuren von Bautätigkeit aus dem 8. und 9. Jahrhundert.“ Der christlich geprägte Ort habe in frühislamischer Zeit eine kulturelle Blüte und rege Bautätigkeit erlebt. Die Grabung schloss das Team kürzlich ab, Müller-Wieners Projekt Al-Hira setzt sich aber fort – in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäologischen Institut, der Technischen Universität Berlin und der irakischen Antikenverwaltung.

Die Plaketten sind der Archäologin zufolge im südlichen Mesopotamien und in der Golfregion bekannt, unter anderem im heutigen Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ihre Bedeutung ist noch unklar. Wahrscheinlich wurden sie als eine Art Schmuck an den Wänden der Lehmbauten angebracht. Die Rückseiten der Plaketten weisen das Muster von Palmmatten auf.

Aus den historischen Quellen und der Literatur ist Al-Hira als eine in vorislamischer Zeit überwiegend von Christen bewohnte bedeutende Stadt bekannt. Der Bischof von Al-Hira unterstand dem Catholicos von Ktesiphon südlich von Bagdad, also dem Vertreter der Kirche des Ostens. Al-Hira war die Hauptstadt der Lachmiden, eines Vasallenstaates der Sassaniden aus dem heutigen Iran. Das Sassanidenreich ist das letzte persische Großreich des Altertums vor der islamischen Eroberung und erstreckte sich zeitweise über eine Fläche vom heutigen Ägypten und einem Streifen der Türkei bis nach Afghanistan.

Kurz nach der arabischen Eroberung 632 wurde in der Nähe dann Kufa gegründet, wie Müller-Wiener erzählt –  zunächst nur als Garnison, die sich aber schnell zu einer bedeutenden muslimischen Stadt entwickelte. „Die Paläste der Lachmiden in Al-Hira werden in literarischen Texten der Zeit für ihren Glanz und Luxus gepriesen“. In einem der Bauten wohnte eine höher gestellte Persönlichkeit. Der Palast ist nur zum Teil ausgegraben, in ihm wurden weitere Fragmente von Kreuzplaketten gefunden, wie auch im Schutt eines benachbarten Torbaus.

Martina Müller-Wiener im März 2022 im Grabungshaus bei der Bearbeitung der in Al-Hira gesammelten Scherben, die für die Datierung wichtig sind.
Martina Müller-Wiener im März 2022 im Grabungshaus bei der Bearbeitung der in Al-Hira gesammelten Scherben, die für die Datierung wichtig sind.

© Agnes Schneider

Entscheidend für die Einordnung ist, dass in diesen Gebäuden Christen wohnten. „Wir belegen durch archäologische Quellen, dass Al-Hira auch nach der Eroberung durch die Araber florierte“, sagt Müller-Wiener. Kalif Harun al-Raschid, der von 766-808 lebte nund mit dem Kaiser von China und Karl dem Großen in Kontakt stand, habe sogar erwogen, Al-Hira zu seiner Hauptstadt zu machen. Entschieden hat er sich dann doch für Raqqa im heutigen Syrien. Wegen ihrer Mehrsprachigkeit waren Christen für den Verwaltungsapparat der neuen Herrscher sehr wichtig, betont die Forscherin.

Als es erobert wurde, war Al-Hira eher eine ummauerte Ansammlung von großen Residenzen. Später kamen zwischen den Anlagen Wohnhäuser und Straßen hinzu. Die christlichen Klöster in Al-Hira und Umgebung waren, wie Müller-Wiener noch anmerkt, bei Christen wie bei Muslimen als Ort der Geselligkeit beliebt – wohl auch, weil man dort trinken konnte. Dafür sprechen jedenfalls zahlreiche an der Stelle gefundene „Torpedo-Jars“: schlanke Amphoren, in denen vermutlich auch Wein transportiert wurde.

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