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Wildschweine graben gerne nach Pilzen, die teils radioaktiv belastet sind.

© dpa/Lino Mirgeler

Radioaktive Spuren: Wildschweine durch Atomwaffentests belastet

Jahrzehnte nach dem Reaktorunfall im Atomkraftwerk Tschernobyl sind Wildschweine in Deutschland teils noch hoch radioaktiv belastet. Aber das könnte auch andere Ursachen haben als die friedliche Nutzung der Atomenergie.

Von Sabine Dobel, dpa

Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen vor allem in Bayern geht einer Studie zufolge zu einem unerwartet hohen Teil auf Atomwaffentests zurück und nicht nur auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl. Der sogenannte Fallout von radioaktiven Partikeln habe sich bei oberirdischen Tests weltweit verteilt, erläutern die Wissenschaftler im Fachmagazin „Environmental Science & Technology“. Bei einem Teil der untersuchten Tiere stammten zwei Drittel des radioaktiven Cäsiums in aus Atomwaffenversuchen, die vor allem in den 1950er Jahren oberirdisch gezündet wurden.

Belastete Pilze und Wildbret

Die Forscher um den Radioökologen Georg Steinhauser von der Technischen Universität Wien hatten rund 50 in Bayern erlegte Wildschweine aus den Jahren 2019 bis 2021 auf die Belastung mit Cäsium untersucht. Das Alkalimetall liegt in unterschiedlich schweren Formen, Isotopen, vor. Die Forschenden stellten Belastungen mit dem radioaktiven Isotop Cäsium-137 von 370 bis zu 15.000 Becquerel pro Kilogramm fest. Der EU-Grenzwert für den Verzehr liegt bei 600 Becquerel.

Bisher sei angenommen worden, dass der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 die Hauptquelle für Cäsium-137 in der Natur sei, erläutern die Wissenschaftler um Steinhauser. Nun aber stellten sie bei einer detaillierten Analyse der Isotope fest, dass das bei Atomwaffentests freigesetzte Cäsium erheblich zur Belastung der Wildschweine beiträgt. Es sei die erste Studie, die das Cäsium aus Atomwaffentests quantifiziere, sagte Steinhauser.

Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop, das nicht in der Natur vorkommt. Es kann sich nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums im Knochengewebe einlagern und dort das Erbgut schädigen. Langfristig kann das zu Knochenkrebs und Leukämie führen. Jäger und auch Pilzsammler sollten sich über ihre zusätzliche Strahlendosis durch den Verzehr von Wildpilzen und Wildbret informieren, schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf seiner Internetseite.

Verschobenes Verhältnis

Nach früheren Schätzungen gehen etwa zehn Prozent des radioaktiven Cäsiums in Bayern laut Steinhauser auf die Atomwaffentests zurück, etwa 90 Prozent auf Tschernobyl. Tatsächlich stamme das Cäsium in den Wildschweinen zu bis zu 68 Prozent aus Atomwaffen. Um die Herkunft der radioaktiven Belastung festzustellen, bestimmten die Forscher das Verhältnis von Cäsium-135 zu Cäsium-137 im Schweinefleisch. Im Fallout von den Tests ist im Verhältnis deutlich weniger Cäsium-137 vorhanden als Cäsium-135. Im Fallout von Tschernobyl ist es umgekehrt. Die Isotopenverhältnisse im Schweinefleisch lassen sie auf die Herkunft des Cäsiums aus den Atomwaffentests schließen.

„Selbst wenn es Tschernobyl nicht gegeben hätte, würden einige Proben den Grenzwert überschreiten“, sagte Steinhauser. „Verantwortlich dafür dürfte der Hirschtrüffel sein, der unterirdisch lebt.“ Weil das Cäsium nur langsam durch den Boden wandere, komme es erst spät bei dem Pilz an. „So erklärt sich, dass das alte Cäsium überproportional im Wildschwein ist“, sagt Steinhauser zu den Rückständen des Waffen-Cäsiums. Das Tschernobyl-Cäsium sei beim Hirschtrüffel noch gar nicht in vollem Ausmaß angekommen. Vor allem, wenn das Futter an der Oberfläche gegen Ende des Winters knapp werde, müssten die Tiere graben und sich von dem Pilz ernähren. Das erkläre auch, warum im Winter geschossene Schweine tendenziell stärker kontaminiert waren. Wildschwein kann dennoch weiter verzehrt werden: Nur Tiere, die den Grenzwert unterschreiten, kommen auf den Markt.

Atomwaffen waren vor allem in den 1950er Jahren bis 1963 von den USA und der Sowjetunion oberirdisch getestet worden. Daraus stamme der Hauptanteil der radioaktiven Belastung, spätere Tests hätten eine untergeordnete Bedeutung, sagte Steinhauser. Das zeige allerdings auch, wie hoch die Belastung damals gewesen sein muss. Denn Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Damit ist heute nur noch etwa ein Viertel dieses radioaktiven Cäsiums vorhanden. Von Tschernobyl dürften demnach noch rund 42 Prozent vorhanden sein.

Erst am Montag hatte das BfS berichtet, dass vor allem in Bayern weiter viele Pilze mit radioaktivem Cäsium belastet sind. Betroffen seien vor allem Gebiete im Süden und Osten Bayerns, wo sich nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl innerhalb Deutschlands am meisten radioaktives Cäsium ablagerte. Bei bestimmten Pilzen wurden bei Untersuchungen in den Jahren 2019 bis 2021 bis zu über 4000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm Frischmasse gemessen. Hier wurde aber nicht untersucht, ob das Cäsium auch von Atomwaffentests stammte.

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