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Da geht’s lang! Verteidigungsminister Boris Pistorius weiß, wohin er mit der Bundeswehr möchte, aber nicht, wie lange das dauert.

© dpa/Kay Nietfeld

Mehr Tempo nötig: Für den Ernstfall braucht es eine runderneuerte Bundeswehr – je schneller, desto besser

Mit Strukturreformen geht Boris Pistorius den nächsten Schritt auf dem Weg, die Truppe wieder abwehrbereit zu machen. Die Frage ist: Wie viel Zeit bleibt ihm?

Ein Kommentar von Christopher Ziedler

So viel ist sicher: Die Lage ist unsicher. Beunruhigend lesen sich Berichte aus der Ukraine, wo Munition fehlt und russische Truppen durchbrechen könnten. Stehen sie dann „acht Stunden vor Berlin“, wie Außenministerin Annalena Baerbock gerade meinte? Vielleicht, vielleicht auch nicht.

Die Geheimdienste warnen aber, Wladimir Putin könnte sich mit der enormen Rüstungsproduktion, die Russlands Bedarf in der Ukraine weit übersteigt, perspektivisch dafür rüsten.

Noch ist es zum Glück ein theoretisches Szenario. Doch das Schutzversprechen eines Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern gebietet es, sich gegen mögliche Bedrohungen zu wappnen. Zur „Zeitenwende“, die Kanzler Olaf Scholz nun vor gut zwei Jahren nach Russlands Vollinvasion der Ukraine ausgerufen hat, gehört auch die Wiederherstellung von Deutschlands Verteidigungsbereitschaft.

Die Bundeswehrreform, die Verteidigungsminister Boris Pistorius am Donnerstag vorgestellt hat, ist der nächste Schritt auf diesem Weg. Es ist richtig, die bisherige Struktur der Truppe, im vergangenen Vierteljahrhundert stark auf Einsätze außerhalb des Nato-Gebiets zugeschnitten, wieder vorrangig auf die Bündnis- und Landesverteidigung auszurichten.

Mammutaufgabe für Europa

Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich eine Mammutaufgabe. Denn es geht nicht „nur“ um die Bundesrepublik. Der von Pistorius formulierte Anspruch für die größte Volkswirtschaft des Kontinents verlangt von der Truppe ja nicht weniger, als „Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa“ zu sein.

Davon ist sie – Zeitenwende hin, Zeitenwende her – noch meilenweit entfernt. Im jüngsten Wehrbericht steht, dass zwar einiges in Arbeit ist, es im Bundeswehralltag aber weiter an allem fehlt – an Gerät, Munition, Personal, Infrastruktur. Jedenfalls ist die verbreitete Illusion dahin, mit dem 100-Milliarden-Sondervermögen würde irgendwie alles wieder gut.

Boris Pistorius während der Vorstellung der Reform am Donnerstagmittag im Verteidigungsministerium
Boris Pistorius während der Vorstellung der Reform am Donnerstagmittag im Verteidigungsministerium

© imago/photothek/IMAGO/Juliane Sonntag

Schlankere Strukturen und eine klarer geregelte Kompetenzverteilung, wie sie der Minister angestoßen hat, sind wichtig. In der Vergangenheit ist zu viel Geld aus dem Verteidigungsetat in ineffizienter Bürokratie versandet oder in überladenen Beschaffungsprozessen versickert. Aber auch so wird es mehr Mittel brauchen.

Das beste Beispiel ist die Litauen-Brigade zum Schutz der Nato-Ostflanke. Am Montag bricht ein Vorauskommando auf, 5000 deutsche Soldatinnen und Soldaten sollen dauerhaft dort stationiert werden. Das wird Milliarden Euro kosten, im Haushalt ist aber noch kein Cent eingeplant.

Neues Gerät kann nicht über Nacht produziert, neues Personal nicht im Handumdrehen gefunden werden. Es war stets klar, dass die Bundeswehr wegen des Nachholbedarfs aus friedlicheren Zeiten zur Dauerbaustelle wird. Es braucht aber mehr Tempo. Der Verteidigungsminister muss liefern. Er darf auch nicht nur einsamer Rufer in der Wüste sein.

Was aktuell über die Etatverhandlungen der Ampelkoalition bekannt ist, spiegelt nicht den Ernst der Lage. „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts“, hat Kanzler Olaf Scholz kürzlich gesagt. Eine Antwort darauf, wie das finanziert und damit in Einklang gebracht werden soll, dass Deutschland auch soziale und wirtschaftliche Sicherheit braucht, um überhaupt als verteidigungspolitischer Motor in Europa auftreten zu können, gibt es bisher nicht.

Die lange Bank wäre fahrlässig

Offen ist auch, woher das fehlende Personal kommen soll. In der Debatte über eine neue Art von Dienst- oder Wehrpflicht scheinen die Fronten in der Koalition verhärtet, ehe Pistorius überhaupt konkrete Vorschlagen vorgelegt hat. Das schwedische Modell einer reinen Musterungspflicht ohne Dienstverpflichtung, mit der die Bundeswehr zumindest in Kontakt mit potenziellen Interessenten käme, böte der Ampel einen gangbaren Ausweg.

Unbequeme Entscheidungen in die Zeit nach der nächsten Wahl zu verlegen, würde an Fahrlässigkeit grenzen. Je länger die Bundeswehr für ihren Weg zurück zur vollen Einsatzbereitschaft braucht, umso größer das Risiko: Weil eben nicht klar ist, wie viel Zeit dafür bleibt.

Es wäre schön, Putin käme zur Einsicht oder wäre diplomatisch dazu zu bewegen. Man kann auch hoffen, dass er nicht noch auf weitere europäische Staaten schielt und die USA trotz Donald Trumps möglicher Rückkehr die Europäer dann nicht im Regen stehen ließen. Mit Sicherheit sagen lässt sich das aber leider nicht. Für diesen Ernstfall braucht es eine runderneuerte Bundeswehr – je schneller, desto besser. .

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