zum Hauptinhalt
Ricarda Lang und Omid Nouripour betonten, dass es in der Asylpolitik „keine Einigung um jeden Preis“ geben dürfe.

© picture alliance/dpa

Wutbriefe und Parteiaustritte: Das Asyl-Dilemma stellt die Grünen vor eine Zerreißprobe

Neben dem Klimaschutz gehört eine humane Flüchtlingspolitik zum Markenkern der Grünen. Die möglichen EU-Asylverschärfungen belasten die Partei schwer. Viele Mitglieder sind enttäuscht.

Für Marco Sievers ist Schluss bei den Grünen. „Ich kann dem Kurs der Partei einfach nicht mehr folgen“, sagt er am Telefon. Mehr als 20 Jahre war er Mitglied bei den Grünen, anfangs aktiv in der Grünen Jugend und als Delegierter, später als Karteileiche. „Es war ein schleichender Prozess“, sagt der Historiker.

Beim Thema Abschiebungen habe er oft gehadert mit dem Widerspruch zwischen Grünem-Wahlprogramm und dem tatsächlichen Regierungshandeln seiner Partei. Die neue Haltung in der Asylpolitik ist für Sievers nun aber endgültig zu viel. „Fundamentale Menschenrechte werden hier gebrochen.“

Noch gibt es keine Einigung der EU-Staaten für eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems, über die aktuell in Luxemburg verhandelt wird. Doch die möglichen Asylverschärfungen scheinen die Grünen schon jetzt zu zerreißen. Hunderte Basis-Mitglieder haben zuletzt einen Wut-Brief an die Parteispitze geschrieben, auch in Landesverbänden und der Bundestagsfraktion brodelt es. Von Parteiaustritten ist zu hören, Marco Sievers – der einen anderen Namen hat – soll kein Einzelfall sein.

Die Ampel ist dabei, die Seehofer-Pläne zu verwirklichen. Wären die Grünen in der Opposition, würden sie jetzt Sturm laufen.

Ein enttäuschtes Ex-Grünen-Mitglied.

Ambitionslos und glatt sei seine Partei geworden, kritisiert er. „Der Parteispitze fehlt die Haltung“, sagt Sievers. Er hat den Eindruck, dass sich die Grünen immer dann wegducken, wenn sie Widerstand erfährt. „Ich erwarte von der Grünen-Spitze ein klares Bekenntnis zu Solidarität, Humanität und eine daraus abgeleitete Politik“, sagt er.

Künftig sollen Geflüchtete bereits an den Außengrenzen der EU, wie hier in Ceuta, festgehalten werden. Bei vielen Grünen sorgt das für Unmut.

© Imago/T. Steinmaurer

Doch stattdessen erlebe er, dass Spitzengrüne in ihrer Kommunikation ausweichen, verunklaren und falsch darstellen würden. Für ihn unerklärlich: „Die Ampel ist dabei, die Seehofer-Pläne zu verwirklichen. Wären die Grünen in der Opposition, würden sie jetzt Sturm laufen.“

Tatsächlich steckt die Partei in einem Dilemma. In den vergangenen Jahren ist die Partei stark gewachsen, darunter sind wohl auch viele Menschen, die sich in der Flüchtlingspolitik eingebracht haben. Neben einem ambitionierten Klimaschutz ist eine humane Asylpolitik der Markenkern der Partei. Auf die Wut-Briefe könnte eine Austrittswelle folgen. In Niedersachsen etwa sind nach Jahren des Wachstums seit Januar fast 200 Mitglieder ausgetreten.

79
Prozent der Deutschen sind laut Deutschlandtrend für Asylverfahren an den Außengrenzen.

Doch außerhalb der Partei scheint eine andere Stimmung zu herrschen. Umfragen zufolge befürworten rund 80 Prozent der Deutschen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen. Trotz des Arbeitskräftemangels sieht eine Mehrheit in Zuwanderung eher Nachteile und spricht sich dafür aus, eher weniger Geflüchtete aufzunehmen.

Längst geht bei Grünen-Strategen die Sorge um, dass bei einer Blockade der GEAS-Reform die ohnehin sinkenden Zustimmungswerte weiter fallen könnten. Schon jetzt sind die Kompetenzwerte der Partei beim Thema Flucht und Asyl im Keller – hinter Union, SPD und AfD liegen die Grünen weit abgeschlagen.

Auf dem Parteitag droht Ärger

Der Kompromiss werde schlimm, weiß man in der Parteizentrale. Doch man sei eine Partei, die sich in Europa einbringen wolle, und so sei es besser, man sitze in Luxemburg am Verhandlungstisch, als alles kategorisch abzulehnen.

Doch in der Partei sehen das viele anders: „Der Status quo an den EU-Außengrenzen ist schlimm, aber diese Reform würde die Situation für die Menschen noch mal dramatisch verschlechtern“, sagt etwa Svenja Borgschulte, Sprecherin der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht. Auf dem kleinen Parteitag der Grünen am nächsten Wochenende bei Frankfurt will sie mit anderen Mitgliedern den Antrag der Parteispitze zu dem Thema deutlich verschärfen.

In dem scheinen die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour den Kritikern jedoch schon sehr weit entgegenzukommen. „Es darf keine Einigung um jeden Preis geben“, heißt es etwa im Entwurf, der am Mittwochabend veröffentlicht wurde. Man sehe Grenzverfahren kritisch, lehne eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten und Inhaftierungen von Kindern ab und dränge darauf, Pushbacks zu unterbinden.

Borgschulte reicht das nicht: „Der Antrag des Bundesvorstands ermöglicht eine Zustimmung zu geschlossenen Lagern für Asylsuchende.“ Bei ihrem Gegenantrag müsse die Partei nun „Farbe bekennen, ob sie Schutzsuchende einsperren will oder nicht.“ Das Dilemma der Grünen wird sich nicht so rasch auflösen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false