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Terry Reintke, deutsche und europäische Spitzenkandidatin für die Europawahl.

© imago/Metodi Popow

Belästigungsvorwürfe bei Europa-Grünen: Spitzenkandidatin Terry Reinkte gerät unter Druck

Was wusste die Spitzenkandidatin der Grünen bei der Europawahl über die Belästigungsvorwürfe gegen einen Grünen-Abgeordneten? Intern wird Kritik an Reintke laut.

Terry Reintke klingt erschüttert: „Die schockierenden Berichte über die Vorfälle hier im Parlament, verpflichtet uns, etwas zu tun“, sagt die Grünen-Politikerin, die ein Pappschild mit der Aufschrift „MeToo“ in den Plenarsaal des Europäischen Paralaments mitgebracht hat. Man müsse die Schutzvorkehrungen überprüfen, um sexuelle Belästigung im Europaparlament zu verhindern.

Die Rede ist nicht neu, sondern wurde von Reintke im Oktober 2017 gehalten. Wenig später wurde die junge Abgeordnete, die im Parlament auch eigene Erfahrungen mit sexueller Belästigung öffentlich gemacht hatte, mit der MeToo-Bewegung vom Time-Magazin of the Year gekürt. Sechseinhalb Jahre später soll Reintke die Grünen in den Europawahlkampf führen – doch drei Monate vor dem Wahltag setzt ausgerechnet ein Sexismus-Vorfall in der Grünen-Fraktion die 36-Jährige stark unter Druck.

Wir lehnen es ab, uns an einer defensiven Reaktion unserer Führung zu beteiligen.

In einem Brandbrief kritisieren die Mitarbeiter der Grünen-Fraktion die Führung.

Eine Woche ist es nun her, dass mit Malte Gallée der jüngste Abgeordnete der deutschen Grünen-Gruppe zurückgetreten ist. Es habe seit 2022 „unkonkrete Gerüchte“ über ihn gegeben, schrieb er in einer persönlichen Erklärung. Wenig später veröffentlichte der „Stern“ dann konkrete Vorwürfe mehrerer anonymer Mitarbeiterinnen der Grünen-Fraktion.

Sie werfen Gallèe vor, sie sexuell belästigt zu haben. So soll er die Frauen immer wieder an Hintern und Taille berührt, Praktikantinnen eng angetanzt und nach Partys nachts wiederholt angerufen haben. „In meiner Welt ist das nicht passiert“, sagte Gallèe dazu dem „Stern“.

Gallée wurde von den Grünen für sein Verhalten kritisiert

Doch wer sich bei Mitarbeitern und Europa-Grünen umhört, der bekommt ein anderes Bild. Gallée sei, nachdem er 2022 ins Parlament nachgerückt war, nicht mit dem Rollenwechsel zurechtgekommen, habe sich nicht wie ein Abgeordneter verhalten. So soll er mehrfach auch bei sogenannten Flurpartys von Mitarbeitern aufgetaucht sein. Aus der Fraktion heißt es, man habe mehrfach mit Gallée gesprochen, um ihm sein Fehlverhalten klarzumachen.

Umso größer ist die Verwunderung, dass jedoch fast zwei Jahre keine offiziellen Schritte eingeleitet wurden. Erst als im November 2023 ein Ombudsverfahren in Gallées bayrischen Landesverband ins Rollen kommt, gibt es für Gallée Konsequenzen: Er zieht seine Kandidatur für die Europawahl zurück.

Warum innerhalb der Grünen-Fraktion im Europaparlament, der Reintke gemeinsam mit dem Belgier Philippe Lamberts vorsitzt, keine Schritte unternommen wurden, sorgt nun für Ärger in den eigenen Reihen. „Wir lehnen es ab, uns an einer defensiven Reaktion unserer Führung zu beteiligen“, heißt es in einem anonymen Brandbrief von Mitarbeitern der Grünen-Fraktion, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Auch in einer dreistündigen Sitzung der Grünen am Mittwoch soll der Vorfall für emotionale Debatten gesorgt haben. Vor allem aus Frankreich und Irland sei Reintke offen kritisiert worden. Deutsche Grünen-Abgeordnete halten diese Vorwürfe für ungerecht. Reintke mache sich seit Jahren für das Thema stark. Bei anonymen Gerüchten habe man kein Verfahren einleiten können, schließlich müssten auch Beschuldigte vor möglichen Unwahrheiten geschützt werden.

Dass die Kritik vor allem aus den beiden Ländern kommt, habe zudem andere Gründe: Die französischen Grünen seien noch immer enttäuscht, dass sie keinen der beiden europäischen Spitzenkandidaten der Grünen (neben Reintke wurde der Niederländer Bas Eickhout gewählt) stellen würden. Zudem gibt es scharfe Kritik an der deutschen Grünen-Position im Gaza-Krieg, die als zu Isreal-freundlich wahrgenommen wird.

Wie sehr der Vorfall Terry Reinktes Ambitionen beschädigt, ist noch unklar. Laut „Stern“ soll sie bereits im Oktober 2022 von den Vorwürfen gegen Malte Gallée gewusst haben. Von der Schwere der Vorwürfe sei sie aber überrascht worden, hieß es. Öffentlich äußern wollte sich bei den Grünen dazu am Donnerstag niemand.

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