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Talibankämpfer in Kabul.

© dpa/-

Auswertung des 20-jährigen Einsatzes: Kommission sieht Deutschland in Afghanistan „strategisch gescheitert“

Eine Enquete-Kommission hat zahlreiche Probleme des deutschen Einsatzes in Afghanistan identifiziert. Der gesamten Intervention habe demnach eine realistische Gesamtstrategie gefehlt.

Die Enquete-Kommission des Bundestags zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan hat Deutschland und seinen Partnern ein desaströses Zeugnis ausgestellt. Mit dem überstürzten Abzug und der Machtübernahme der Taliban 2021 sei die internationale Koalition „strategisch gescheitert, Ergebnisse und gesteckte Ziele dauerhaft abzusichern“, heißt es im Zwischenbericht der Kommission, welcher der Nachrichtenagentur AFP am Montag vorlag.

Es habe in dem fast 20-jährigen Einsatz an einer realistischen Strategie gefehlt, einen stabilen Staat aufzubauen, der seine Sicherheit selbst gewährleisten könne.

Die Bundeswehr war im Juni 2021 nach knapp 20 Jahren aus Afghanistan abgezogen. Im August 2021 beteiligten sich nach der Machtübernahme der Taliban deutsche Soldaten dann noch einmal an der chaotischen Evakuierungsaktion vom Flughafen der Hauptstadt Kabul. Zwischen 2001 und 2021 waren insgesamt sechs Bundesregierungen für den Afghanistan-Einsatz verantwortlich. In dieser Zeit waren sechs Verteidigungsminister im Amt.

„Eine fortlaufende, selbstkritische Bestandsaufnahme hinsichtlich der sehr hoch gesetzten Ziele“ habe es während des Einsatzes nicht gegeben, heißt es in dem Zwischenbericht, der am Montagnachmittag von der Kommission verabschiedet werden soll. „Wissen und detaillierte ungeschminkte Lagebilder wurden zwar durch verschiedene Informationsquellen bereitgestellt, aber nicht systematisch zu einem realistischen Gesamtbild zusammengeführt.“

Die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsressorts in Deutschland sei zwar im Laufe des Einsatzes verbessert worden, schreibt die Kommission. „Insgesamt war die strategische Abstimmung zwischen den Ministerien in Deutschland und vor Ort aber nicht hinreichend“ und von „Ressortegoismen“ geprägt. Die Auseinandersetzung mit der Kultur, Geschichte und den Traditionen Afghanistans habe „auch von deutscher Seite nicht im notwendigen Maße stattgefunden“.

Bereitgestelltes Personal, insbesondere bei zivilen Einsatzkräften und bei der Polizei, seien zudem „nicht ausreichend“ gewesen für das Ziel des Staatsaufbaus, heißt es weiter. Ausrüstung und Fähigkeiten der Bundeswehr seien zudem „in Teilen nicht dynamisch genug an die Bedrohungslage in Afghanistan angepasst“ worden.

Die vom SPD-Abgeordneten Michael Müller geleitete zwölfköpfige Enquete-Kommission hatte im September 2022 ihre Arbeit aufgenommen. Die Kommission sollte „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ ziehen.

Der Bundestag debattiert am Donnerstagvormittag über den Zwischenbericht. Ursprünglich sollte die Kommission ihren Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen spätestens nach der parlamentarischen Sommerpause in diesem Jahr vorgelegen. SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sehen jedoch weiteren Beratungsbedarf. Sie wollen am Donnerstag über einen Antrag abstimmen, der die Verlängerung der Arbeit der Enquete-Kommission vorsieht. (AFP)

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