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Ray Yeung mit dem Teddy für seinen Spielfilm „All Shall Be Well“, der von einer lesbischen Rentnerin und ihrer Familie erzählt.

© dpa/Britta Pedersen

Teddy Awards der Berlinale: Zoff und Zusammenhalt beim queeren Filmpreis

Bevor die Jury die Preise verlieh, verlas sie bei der Gala in der Volksbühne ein Gaza-Solidaritätsstatement. Es gab Applaus und Buhs. Gewonnen hat unter anderem der Spielfilm „All Shall Be Well“ aus Hongkong.

In Ray Yeungs Freude mischt sich Genugtuung, als er seine Dankesrede beginnt. Gerade hat der Regisseur aus Hongkong in der Berliner Volksbühne den Teddy Award für sein Familiendrama „All Shall Be Well“ entgegengenommen und berichtet als Erstes davon, wie schwer es war, Geld dafür aufzutreiben. „Mir wurde gesagt, dass niemand zwei Lesben über 60 sehen wolle, die eine Beziehung haben.“ Der Preis für den besten queeren Berlinale-Spielfilm beweise nun das Gegenteil.

Fokus auf ältere Menschen

Und noch etwas ist Ray Yeung wichtig: „Ältere Menschen sind eine Minderheit in der Minderheit. Innerhalb der bunten Community geht es zu selten um sie.“ Er selbst kann sich das nicht vorwerfen lassen, hat er doch zuletzt mit „Suk Suk“, der 2020 so wie „All Shall Be Well“ im Panorama lief, von zwei älteren Schwulen erzählt. Diesmal geht es um eine wohlhabende Rentnerin, die nach dem plötzlichen Tod ihrer Partnerin von deren armer Familie aus ihrer Wohnung in Hongkong gedrängt wird. Ein leiser, eindringlich inszenierter Film, in dem die lesbische Wahlfamilie der Protagonistin ein wichtiges Gegengewicht zu den eigenen Verwandten und denen ihrer Geliebten bilden.

„All Shall Be Well“ ist auch deshalb eine gute Wahl, weil er eine Seltenheit im Teddy-Programm spiegelt: Es gab ausnahmsweise mal ein Übergewicht an lesbischen Stoffen, wobei starke Spielfilme wie „Love Lies Bleeding“ oder „Langue Étrangère“ es nicht in den Nominierten-Kreis schafften. Die Kriterien dafür sind ohnehin intransparent, hierzu schweigt sich die Jury traditionell aus.

Unbedingt äußern will sich das diesmal aus fünf queeren Filmschaffenden bestehende Komitee jedoch zur Situation in Gaza. Bevor es den ersten Preis vergibt, tritt Diego Armando Aparicio vom Cyprus LGBTQIA+ Film Festival ans Mikrofon und verliest ein Solidaritätsstatement mit den Menschen in den palästinensischen Gebieten. Die Jury sei enttäuscht von der fehlenden Positionierung der Berlinale in dieser Frage und sehe es als ihre menschliche Pflicht an, sich zu äußern.

Aparcio benutzt neben dem viel strapazierten Maya-Angelou-Zitat, nach dem niemand frei ist, bis wir alle frei sind, auch anti-israelische Begriffe wie Apartheitsstaat und Genozid, bevor er mit den Worten „Return all hostages, free Palestine, ceasefire now“, schließt.

Im Saal mit zahlreichen queeren Promis – darunter die kommende Berlinale-Chefin Tricia Tuttle – wird sowohl gebuht als auch applaudiert, rund zwei Dutzend Personen im Parkett stehen dabei auf. Moderator Zsombor Bobák plädiert für das Zulassen verschiedener Meinungen, die Situation beruhigt sich. Allerdings bleibt das Thema im Verlauf der zweieinhalbstündigen Zeremonie präsent.

Philipp Fussenegger, Judy Landkammer, und die Musikerin Peaches freuen sich über den Dokumentarfilm-Teddy für „Teaches of Peaches“.
Philipp Fussenegger, Judy Landkammer, und die Musikerin Peaches freuen sich über den Dokumentarfilm-Teddy für „Teaches of Peaches“.

© dpa/Britta Pedersen

Etwa als Musikerin Peaches mit dem Regie-Duo Philipp Fussenegger und Judy Landkammer den Dokumentarfilm-Teddy für „Teaches of Peaches“ entgegennimmt und sich selbst als „progressive jew“ vorstellt. „Lasst uns Queerness intersektional halten. Und lasst uns einander weiterhin zuhören“, sagt die kanadische Wahlberlinerin und bekommt dafür viel Zuspruch aus dem Publikum.

Ukraine ist kein Thema mehr

Schon lange bevor Begriffe wie Intersektionalität oder Diversität populär wurden, hat der Berliner Filmemacher Lothar Lambert sie in seinen über 40 Underground-Produktionen in die Tat umgesetzt – neben Queers jeglicher Couleur wirkten daran auch regelmäßig Mitglieder anderer Minderheiten mit, etwa PoCs. In der Volksbühne bekommt Lambert den Special Teddy für sein Lebenswerk überreicht, den er „ins Regal neben meinen Plastik-Oscar von MacGeiz stellen“ will. Wenn er im Sommer 80 wird, läuft in Berlin eine Retrospektive seiner Filme, während er selbst bereits am Nachschub arbeitet, wie er auf der Bühne sagt.

Stand die Zeremonie im vergangenen Jahr noch stark im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, ist dieses Thema bei der 38. Teddy-Verleihung nahezu unsichtbar. Am Abend, bevor sich das Datum der Ausweitung des russischen Angriffs auf das gesamte Land zum zweiten Mal jährt, erwähnt allein Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Ukraine in einem Nebensatz ihrer gewohnt emphatischen Rede. Das ist schon ziemlich schwach – zumal von einer Jury, die sich politisch so engagiert zeigt wie die diesjährige.

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