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Die kanadische Musikerin Peaches auf der Bühne während ihrer „Teaches of Peaches“-Tour.

© Avanti Media Fiction

„Teaches of Peaches“ auf der Berlinale: Haare sind politisch und Sex sowieso

Zum 20-jährigen Jubiläum ihres legendären Debütalbums ging Peaches auf Tour. Die Panorama-Dokumentation „Teaches of Peaches“ schaut hinter die Kulissen und erzählt die Vorgeschichte der Platte.

Mäuse und Kakerlaken waren in Toronto die Mitbewohnerinnen der Musikerinnen Peaches und Leslie Feist. Wenn Feist abends heimkam, huschten die vom Licht aufgescheuchten Tierchen in die Ecken. Einige von ihnen fing die junge Frau mittels Gläsern ein – und stellte morgens fest, dass sie das Ungeziefer-Problem nur halb gelöst hatte. „Peaches hat sie dann erledigt“, erinnert sich Feist lächelnd an diese Zeit vor mehr als 20 Jahren.

Die beiden Kanadierinnen lebten gern in der billigen, lauten Wohnung und arbeiteten dort auch an ihrer Musik. Im Fall von Merrill Nisker alias Peaches war es ihr Debüt „The Teaches of Peaches“, das im Jahr 2000 beim Berliner Indie-Label Kitty-Yo herauskam und den Grundstein für die Popkarriere, der 1966 geborenen Musikerin legte. Die Vorgeschichte erzählt nun der nach dem Album benannte Dokumentarfilm von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer, der zudem die Jubiläumstournee und deren Probenzeit einfängt.

So ist Peaches etwa dabei zu sehen, wie sie ihrer Gitarristin die effektive Verführung des Publikums beibringt. Ganz wichtig: „Nimm dir Zeit!“ Später legt die junge Kollegin eine tolle Show auf die Bretter, wie überhaupt die Band und Tänzer*innen veritable Energiefeuerwerke abbrennen.

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Die langen Konzertmitschnitte geben einen guten Eindruck davon. Gern springt das Regie-Duo dabei zwischen aktuellen Aufnahmen und verwackelten Bildern aus der Entstehungszeit der Songs hin und her. Das verdeutlicht, wie lang das einerseits alles schon zurückliegt, andererseits zeigte es aber auch, wie fantastisch die Lieder immer noch funktionieren – selbst wenn Peaches inzwischen selbstironisch mit einem quietschenden Rollator auf die Bühne kommt.

Konventionell angelegt, lebt der Film vor allem von seinem Materialreichtum aus Peaches’ Anfangszeit und dem Blick hinter die Kulissen der Tour. Da ist etwa Hairstylist Charlie Le Mindu bei der Arbeit zu sehen, der die Frisuren aller Mitwirkenden gestaltet und schon zahlreiche von Peaches’ beeindruckenden Perücken und Kostümen entworfen hat. Einige führt sie in ihrem Lager vor – ein großer Spaß.

Ein frühes TV-Interview mit Peaches, das in der Dokumentation zu sehen ist.
Ein frühes TV-Interview mit Peaches, das in der Dokumentation zu sehen ist.

© Avanti Media Fiction

Das Thema Haare ist dabei durchaus auch ein politisches, etwa wenn Peaches’ absichtlich ihre Intimbehaarung aus den knappen Outfits blitzen lässt oder sie in einem Video zu einem wilden Teppich wuchern lässt. Die Kanadierin ist nicht zuletzt mit ihren alle Weiblichkeitsstereotype ignorierenden Performances zu einer queeren Ikone geworden, die von jeher für ein hohes Maß an eigenwilliger Sexyness und Sexpositivity steht. Schließlich heißt einer ihrer bekanntesten Songs „Fuck The Pain Away“.

Auf dessen Entstehungsgeschichte geht der Film ausführlicher ein, Peaches erklärt, dass sich der teils von einem Pat-Benatar-Song inspirierte Text quasi von selbst geschrieben habe und spielt die Kassette der ersten Aufnahme ab, die sie der Tontechnikerin eines ihrer Konzerte für fünf Dollar abgekauft hat.

Chilly Gonzales und Shirley Manson

Ansonsten geht es leider nur selten um den kreativen Prozess. Als Peaches einmal ihre Arbeitsweise an der legendären Roland MC-505-Groovebox demonstriert, wünscht man sich sofort mehr solcher Momente. Eine Einordnung von Peaches’ damals als Electroclash bezeichnetem Sound in den Pop der frühen nuller Jahre fehlt ebenfalls. Dafür warten Fussenegger und Landkammer mit vielen spannenden Gesprächspartner*innen auf.

Neben Feist gehört auch Chilly Gonzales dazu, der bereits bei Peaches’ erstem Berlin-Aufenthalt wegweisende Auftritte mit ihr hatte und im Film eine sehr charmante Theorie über das Verhältnis von Show-Erotik zu Backstage-Orgien zum Besten gibt. Peaches’ Partner Ellison Glenn, bekannt als Musiker Black Cracker, ist immer wieder im liebevollen Austausch mit ihr zu sehen und verrät, dass sie zu Hause gern glutenfreie Mac’n’Cheese isst. Derweil betont Garbage-Sängerin Shirley Manson die empowernde und emanzipatorische Bedeutung ihrer Kollegin.

Diesen Effekt veranschaulichen auch die frühen Privataufnahmen von schwitzigen Kellerauftritten sowie die ersten TV-Interviews: Mit wie viel Freiheit, Lust an der Provokation, Witz und Selbstbewusstsein Peaches damals in die Popwelt rauschte, war neu und aufregend – vor allem für ein weiblich sozialisiertes Publikum. Dass diese Mischung über Gender,- und Generationsgrenzen hinweg bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat, sieht man bei jedem Peaches-Konzert. Bis sie wirklich einen Rollator braucht, wird es hoffentlich so weitergehen.

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