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Linda Pöppel als Tamara auf einer Raststätte.

© ZDF/Filmuniversität Babelsberg

Max Ophüls Preis in Saarbrücken: Besserwessis aus dem Osten

Beim traditionellen, zum 44. Mal ausgetragenen Max-Ophüls-Filmfestival wurde Max Gleschinskis Beitrag „Alaska“ zum besten Spielfilm gekürt.

Krisen kennt die Kinobranche so gut, da beglückt schon die bloße Rückkehr zur Normalität. Weder gestiegene Energiekosten noch ein Wasserschaden im Saarbrücker Hauptkino konnten die 44. Ausgabe des Max Ophüls Preis verhindern, und so verlief das wichtigste Festival des deutschsprachigen Filmnachwuchses nach zwei Jahren der Corona-Einschränkungen erfreulich konventionell: mit Präsenzprogramm in saarländischen Kinos sowie einem ausgewählten Streaming-Angebot.

Zum Besten Spielfilm kürte die Jury mit Max Gleschinskis „Alaska“ den formal eigenwilligsten Beitrag. Der Regisseur und Autor, 1993 in Rostock geboren, hatte bereits mit seinem Langfilmdebüt „Kahlschlag“ Preise gewonnen, seinen Zweitling steuert er hinaus auf die Mecklenburgische Seenplatte.

„Von Anfang Anders“ nennt sich Gleschinskis Filmproduktion, der Name ist hier Programm. In aufreizender Ereignislosigkeit plätschern die ersten 20 Minuten dahin, was weniger abwertend als wörtlich zu verstehen ist. Mittvierzigerin Kerstin (Christina Grosse) lässt ihr feuerrotes DDR-Kajak zu Wasser und beginnt ihre Fahrt. Gleichmäßige Paddelschläge und Kerstins Atem – tagein, tagaus –, das nächtliche Zirpen der Grillen und Quaken der Frösche lassen sanft hineingleiten in diesen Film.

Viele Familiengeschichten ohne plakative Ostklischees

Ein Blickkontakt bringt die Handlung in Gang und zwei Frauen einander näher. Am Lagerfeuer trifft Kerstin erneut auf Alima (Pegah Ferydoni), taut auf, öffnet sich. Es wird deutlich: Beiden dient die Reise zur Verarbeitung. Alima ist die Ehe zerbrochen, Kerstin der Vater gestorben.

Der Film „Alaska“ (2023) von Max Gleschinski wurde als bester Spielfilm ausgezeichnet.
Der Film „Alaska“ (2023) von Max Gleschinski wurde als bester Spielfilm ausgezeichnet.

© Jacob Waak/Wood Water Films

Das Drama dieses Verlusts schält sich mit glazialer Geschwindigkeit heraus, auch der Sinn ihrer Reise. „Alaska“ nimmt sich Zeit, hält die Neugier des Publikums wach, ist zudem ein Film für die große Leinwand, weil er von seiner Poesie und Atmosphäre lebt.

Zwei weitere Spielfilme im Wettbewerb umkreisten Frauen mit ostdeutschem Hintergrund. In „Tamara“ vom Babelsberger Filmstudenten Jonas Ludwig Walter kommt der innerfamiliäre Konflikt zwischen Vorwende- und Wendegeneration zum Vorschein. Die weltgewandte Tamara (Linda Pöppel) kommt aus Berlin zu Besuch ins Elternhaus im Speckgürtel, wo sie bei ihrer Mutter nicht nur mit der Frage nach Biolebensmitteln aneckt. Die belehrenden „Besserwessis“ stammen hier plötzlich selbst aus der DDR.

Die neue Programmleiterin Carolin Weidner, 1989 im brandenburgischen Bad Saarow geboren, freut sich, diese „kraftvolle Strömung“ ausfindig gemacht zu haben, auf die sie gewartet habe. „Filmemacher:innen, die in der DDR geboren wurden, sie aber kaum noch selbst erlebt haben, erzählen Familiengeschichten nun aus ihrer Perspektive, ohne plakative Ostklischees.“

Fragen nach der eigenen Identität und Herkunft trieben etliche Filme dieses Jahrgangs an, fiktionale wie dokumentarische. Felix Meyer-Christians Beitrag „Independence“ ragte heraus, er gewann den Preis der Filmkritik. Die Doku nimmt die Biografie der deutsch-mosambikanischen Schauspielerin Helen Wendt zum Anlass, politische Unabhängigkeitsbewegungen zu beleuchten – erfolgreiche wie gescheiterte.

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Zwei englische Eheleute erklären, warum sie den Brexit als Befreiung erleben, eine Katalanin berichtet vom Unabhängigkeitsreferendum von 2017. Es geht in den jüngsten Staat der Welt, den Südsudan, wo die Autonomie nicht zu Frieden geführt hat. Und nach Süddeutschland, wo der Vorsitzende der Bayernpartei die Vorzüge des Patriotismus gegenüber dem Nationalismus erläutert.

Dieser Parforceritt hätte leicht misslingen können, doch durch die bedachte Auswahl an Orten und Gesprächspartner:innen sowie Helen Wendts kluge Gedanken und Fragen aus dem Off entsteht ein gleichermaßen vielschichtiges wie erhellendes Mosaik, ein kurzweiliger filmischer Essay.

Mehrfach prämiert wurden zwei queere Liebesfilme

Bemerkenswert auch das Schweizer Drama „Semret“. Dessen gleichnamige Heldin (Lula Mebrahtu) lernen wir als zurückgenommene, kontrollierte Frau kennen. Sie lebt in Zürich, wo sie sich auf ihre Ausbildung zur Hebamme vorbereitet. Dass ihre Teenager-Tochter Joe (Hermela Tekleab) Kontakt zur eritreischen Gemeinde aufnimmt, sich für ihre Wurzeln zu interessieren beginnt, beobachtet Semret mit Skepsis.

Die alleinerziehende Mutter verbindet ein Trauma mit ihrer Flucht aus der Heimat, das wird schnell klar. Integration dient ihr zur Verdrängung. „You are Swiss“ entgegnet sie trotzig ihrer Tochter, die wissen möchte, wo sie herkommt. Semret selbst kleidet sich europäisch, in ihrer Wohnung finden sich kaum Spuren afrikanischer Kultur.

„Good Life Deal“ von Samira Ghahremani gewann den Dokumentarfilmpreis.
„Good Life Deal“ von Samira Ghahremani gewann den Dokumentarfilmpreis.

© Sixpack Film

Die große Stärke des Langfilmdebüts von Caterina Mona liegt in der Unaufgeregtheit, mit der sie den aufgeladenen Themenkomplex um Migration und Heimat auf die Leinwand bringt. Offener Rassismus begegnet Semret nie, doch die rüde Reaktion eines Arztes und die sich nicht öffnenden Türen eines Busses geben Anlass zur Spekulation. Das subtile Drehbuch und die feinfühlige Inszenierung hätten einen Preis verdient gehabt.

Gleich mehrfach prämiert wurden zwei queere Liebesfilme aus Österreich. „Eismayer“ von David Wagner erzählt die wahre Geschichte einer Romanze im Bundesheer und wurde sowohl mit dem Publikumspreis als auch mit dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet. „Breaking the Ice“ erhielt unter anderem den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film sowie den fürs Beste Drehbuch. In Clara Sterns erstem Langfilm wird eine Eishockeyspielerin von der neuen Teamkollegin, aber auch vom Auftauchen ihres Bruders aus der Bahn geworfen. Das lustvolle Spiel mit Geschlechterrollen verleiht ihr neue Sicherheit.

Es habe im vergangenen Jahr weniger Einreichungen von weiblichen Regisseuren gegeben, merkt Programmleiterin Carolin Weidner mit Bedauern an und vermutet die Corona-Krise als Ursache. Das Führungsteam des Ophüls Preis hingegen kommt weiblicher daher als je zuvor: Svenja Böttger leitete ihre siebte Ausgabe, die Programmleitung bildet Weidner gemeinsam mit der Grazerin Theresa Winkler.

Während Winkler bislang in der Filmvermittlung und als Produzentin tätig war, kommt Weidner aus der Filmkritik und -wissenschaft. Man darf gespannt sein, inwiefern sich diese unterschiedlichen Schwerpunkte in den kommenden Jahren im Programm abbilden.

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