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US-Kriegsschiffe im Persischen Golf: Teil eines größeren Einsatzes im Nahen Osten.

© dpa/-

Zeitenwende für den Nahen Osten?: Eine Rückkehr zu der Zeit vor dem Gaza-Krieg ist keine Option

Während die Militäroffensive Israels weitergeht, werden länderübergreifend zukünftige Lösungen für Gaza gesucht. Die USA werden in der Neuordnung eine wichtige Rolle spielen müssen.

Ein Gastbeitrag von Peter Wittig

Seit dem brutalstmöglichen Terrorangriff der Hamas hat Israel – bis ins Mark getroffen – zwei Kriegsziele verfolgt: die Zerschlagung der Hamas und die Geiselbefreiung. Sie gerieten miteinander in Konflikt.

Die Geiselverhandlungen und die internationale Kritik an den hohen Opfern der palästinensischen Zivilbevölkerung haben die Militärkampagne beeinträchtigt. Die israelische Führung wird jedoch den Feldzug gegen die Hamas fortsetzen – vermutlich noch einige Monate. Die strategische Zukunftsplanung – so scheint es – tritt dahinter vorerst zurück.

Mögliche regionale Eskalationsrisiken sind derzeit begrenzt, aber keineswegs gebannt: bürgerkriegsähnliche Zustände in der Westbank, ein palästinensischer Exodus in die Nachbarländer Jordanien und Ägypten, die Eröffnung einer zweiten Front durch die Hisbollah, ein direkter Kriegseintritt Irans. Globale Auswirkungen hätte der Konflikt, wären Ölproduktion oder Transportwege betroffen.

Doch schon jetzt ist klar: Der Gaza Krieg hat die Geopolitik im Nahen Osten verändert. Die USA sind in die Krisenregion zurückkatapultiert worden.

Nur die USA können entscheidenden Einfluss auf die Region ausüben

Sie hatten auf die von ihr vermittelte Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Nachbarn gesetzt. Trump mit den sogenannten Abraham Accords, Biden mit dem anspruchsvollen Vorhaben, Israel und Saudi-Arabien auszusöhnen.

Damit verbunden war die Hoffnung, ein niedriges Profil im undankbaren Konfliktfeld des Nahen Osten bewahren zu können, um sich auf die Rivalen China und Russland zu konzentrieren. Dass der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt allmählich in den Hintergrund treten könne, war ein Trugschluss, der sich jetzt in dramatischer Weise rächt.

Die USA sind – ob gewollt oder nicht – wieder die einzige Ordnungsmacht, die entscheidenden Einfluss auf die regionalen Geschehnisse ausüben kann: durch ihre starke militärische Präsenz und ihre diplomatisch-politische Hebelkraft gegenüber wichtigen Staaten der Region.

EU-Einfluss ist begrenzt

Die EU gibt ein bedrückendes Bild ab. Die Mitgliedstaaten sind gespalten in ein eher pro-israelisches und pro-palästinensisches Lager, in Nahostfragen kein neues Phänomen. Hinzu kommen Uneinigkeiten und Pannen der politischen EU-Organe. Diplomatisch ist der EU-Einfluss begrenzt. Eine Gestaltungsmacht sind die Europäer nicht.

Der „globale Süden“ ist pro-palästinensisch. Die anti-kolonialistische Tradition lebt auf. Der Gaza-Krieg hat die Spaltung zwischen dem Westen und Süden vertieft. Das nützt China und Russland, die sich als Gesinnungsgenossen andienen.

Zurückhaltung bei der Frage nach Gazas zukünftiger Regierung

Immer dringlicher wird die Frage: Was passiert in Gaza am „Tag danach“? Wer füllt das Vakuum nach Ende der Militäraktion? Eine erneute israelische Besatzung ist keine Dauerlösung.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen UNRWA und die EU können wichtige Aufgaben bei Zivilverwaltung und humanitärer Hilfe übernehmen, aber keine Regierung stellen. Die US-Diplomatie wirbt bei der palästinensischen Autonomiebehörde in der Westbank und bei den arabischen Nachbarn darum, die Regierung in Gaza und die Sicherheitsverantwortung zu übernehmen.

Doch deren Zurückhaltung ist groß. Sie werden eine tragende Rolle nur bei einer klaren Perspektive für einen eigenen palästinensischen Staat, also einer Zwei-Staaten-Lösung, übernehmen. Die will die amtierende Regierung Netanjahu jedoch nicht gewähren. Ob sich die traumatisierte israelische Gesellschaft nach der Gaza-Kampagne dazu bereitfinden kann, ist eine offene Frage.

Iran ist der gefährlichste Störer der Region

Besteht die Chance, nach Ende des Krieges einen politischen Prozess der entscheidenden regionalen Akteure aufzusetzen? Vermutlich vermögen das derzeit nur die USA. Die Vereinten Nationen, auch die EU, könnten diplomatisch und mit Aufbauverspechen unterstützen. Auch andere konstruktive Staaten könnten kooptiert werden.

In jedem Fall muss nach dem Ende des Gaza-Krieges rasch der Prozess der Normalisierung zwischen Israel und den arabischen Nachbarn wieder aufleben. Saudi-Arabien ist ein Schlüsselakteur für eine Neuordnung. Ohne Sicherheitsgarantien der USA wird es dabei nicht gehen.

Iran ist der gefährlichste Störer der Region. Ihn gilt es zu neutralisieren. Der jüngste Annäherungsprozess zwischen Teheran und Riad muss deshalb gefördert werden. Auch die Frage eines Arrangements zum iranischen Nuklearprogramm stellt sich neu.

Der grauenvolle Terrorangriff der Hamas hat der Region einen destabilisierenden Krieg mit furchtbaren zivilen Opfern beschert. Er bildet eine echte Zäsur.

In Ihr liegt aber auch eine Chance für die Neuordnung des Nahen Ostens. Die Erfolgsaussichten scheinen derzeit nicht groß, schon gar nicht kurzfristig. Aber eine Rückkehr zum Status quo vor dem Angriff ist keine nachhaltige Option.

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