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Den Weg aus dem Leben schaffen viele Menschen nicht allein - oder wollen dies auch nicht.

© Rick - stock.adobe.com

Sterbehilfe in Europa und weltweit: Das Recht auf Leben – und auf den Tod

Vor wenigen Wochen hat Portugal Hilfe zum Suizid erlaubt, als fünftes Land der EU. Warum dies nur so wenige Länder bisher tun und welche Regeln gelten: Ein Blick nach draußen.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat vor drei Jahren entschieden, dass Menschen sich nicht nur das Leben, sondern dafür auch die Hilfe anderer in Anspruch nehmen dürfen. Dennoch bleiben Sterbehilfe und assistierter Suizid in Deutschland, das sich seiner NS-Vergangenheit wegen besonders schwer tut, ein heikles und seit Jahrzehnten kontroverses Thema.

Aber nicht nur hierzulande: Gesellschaften überall in der Welt haben wohlbegründete Probleme damit, den freiwiligen Abschied vom Leben zu unterstützen. Gegen den berechtigten Wunsch von Menschen, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden, steht die Möglichkeit des Missbrauchs.

Das dürfte der Grund sein, warum lediglich eine Handvoll Länder, übrigens unterschiedlichster religiöser oder säkularer Tradition, Sterbehilfe bisher ausdrücklich erlauben: die Benelux-Staaten, Kolumbien, Kanada, Neuseeland, seit 2021 Spanien und neuerdings Portugal.  Auch deren Ja fällt gelegentlich vorsichtig aus und ist an viele Bedingungen geknüpft.

So gilt etwa das portugiesische Gesetz, das erst in diesem Monat verabschiedet wurde, nur für Menschen, die anhaltend unerträgliche Schmerzen haben und geistig in der Lage sind, diese Entscheidung zu treffen. Ein Blick auf drei europäische Länder, die mit dem Thema höchst unterschiedlich umgehen. 

Niederlande: Selbstbestimmung – auch für Kinder

Die Tötung auf Verlangen ist in den Niederlanden längst kein Tabu mehr. Als in den frühen 70er Jahren ein Arzt wegen freiwilliger Sterbehilfe zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, begann erstmals eine breite Diskussion im Land. Doch erst drei Jahrzehnte später liberalisierte die damalige Regierung die Gesetzeslage.

Wer lebensmüde ist, kann seit 2002 mit dem „Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung“ sein Leiden auch mit ärztlicher Hilfe beenden. Straffrei bleiben Mediziner:innen aber nur dann, wenn sie bestimmte Richtlinien erfüllen: unter anderem müssen die Patient:innen unerträglich leiden und den Todeswunsch mehrmals geäußert haben.

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Staaten weltweit erlauben Hilfe zum Sterben.

Dem Jahresbericht der niederländischen Kontrollkommission für Sterbehilfe zufolge wurden 2021 7666 solcher Fälle gemeldet, über zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die Betroffenen sind meist unheilbar an Krebs erkrankt, über 80 Prozent beenden ihr Leben zu Hause.

Die Regierung in Amsterdam will das Gesetz nun ausweiten. Im April brachte sie ein Gesetz auf den Weg, das Sterbehilfe auch für jüngere Kinder ermöglichen soll. Bereits jetzt können Menschen ab zwölf Jahren ihr Leben mit Zustimmung der Eltern freiwillig beenden. Noch in diesem Jahr soll die Änderung in Kraft treten.


Schweiz: Seit 70 Jahren straffrei

Die Schweiz hat, wie viele andere Länder, bereits Anfang des 20. Jahrhunderts den Selbstmord entkriminalisiert. Anders als anderswo ist aber seit 1942 auch niemand mehr mit Strafe bedroht, der dabei hilft. Im Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs ist seither Hilfe zur Selbsttötung nur noch “aus selbstsüchtigen Motiven” verboten – also wenn man ans Erbe Lebensmüder kommen oder sie loswerden will.

Ebenfalls eine schweizerische Besonderheit: Dies gilt auch für Ausländer:innen. Was dazu führte, dass die Schweiz wichtigstes Ziel von Menschen aus aller Welt wurde, die sterben wollen, aber Hilfe brauchen, die in ihren Ländern verboten ist. Mehrere Organisationen wie „Exit“, die erste, die heute bekanntere „Dignitas“ oder „Life Circle“ bieten „Sterbebegleitung“ an.

Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor Jahren mehr gesetzliche Regelung forderte, verzichtete Bern darauf. Zuvor waren im Kanton Zürich zwei Referenden deutlich gescheitert, die die Einschränkung von Suizidbeihilfe und dem so genannten Sterbetourismus wollten.

Man fürchtete offenbar durch mehr Regulierung eine Einschränkung der jahrzehntealten Praxis. Eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet sie. Die Schweizer Regierung wollte zudem vermeiden, dass organisierter Suizidhilfe mit kleinteiligen Vorschriften sozusagen ein staatliches Gütesiegel aufgeklebt würde

Polen: Zwang zum Leben

Im katholischen Polen ist Sterbehilfe – aktiv wie passiv – grundsätzlich verboten, europaweit hat das Land eines der restriktivsten Gesetze. Beihilfe zum Suizid oder „Mord auf eigenen Wunsch“ werden mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Eine breite öffentliche Debatte gibt es kaum, oftmals wird Sterbehilfe zusammen mit Abtreibungen – ebenfalls streng verboten – diskutiert. Beides gilt in Warschau als vorsätzlicher Mord.

Einer aktuellen Studie der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin zufolge sind dennoch knapp ein Fünftel der Medizinstudent:innen zur Tötung auf Verlangen grundsätzlich positiv eingestellt, jede:r vierte Berufsanfänger:in spricht sich sogar für eine allgemeine Legalisierung von Sterbehilfe im Land aus.

Die Einstellung hängt dabei maßgeblich von der Religiosität der Befragten ab: Gläubige Studierende lehnen Sterbehilfe grundsätzlich ab, bei Atheist:innen befürworten dagegen fast die Hälfte der Befragten das Recht auf einen selbstbestimmten Tod.

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