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General Tiani in Niamey: Eine Intervention im Niger ist kein leichtes Unterfangen.

© picture alliance / AA/Balima Boureima

Nach abgelaufenem Ecowas-Ultimatum: Wie der Niger in einen Krieg rutscht

Der Regionalblock Ecowas könnte nun gegen die neue Junta des Sahelstaats militärisch vorgehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur aktuellen Lage.

Seit dem Putsch im Niger am 26. Juli stürzt das Land ins Chaos. Der demokratisch gewählte Präsident Mohamed Bazoum wird festgehalten und General Abdourahamane Tiani, Chef der Präsidentengarde, hat die Macht übernommen. Die Verfassung ist außer Kraft gesetzt, die Grenzen sind geschlossen.

Ein Ultimatum der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas ist am Sonntagabend erfolglos ausgelaufen. Die nigrischen Putschisten kehren trotz der Androhung einer Militärintervention durch die Nachbarländer nicht zur alten Staatsordnung zurück. Stattdessen haben sie den Luftraum gesperrt und offenbar die russische Wagner-Miliz um Unterstützung gebeten. An diesem Donnerstag wollen die Ecowas-Staaten über das weitere Vorgehen beraten.

Wie könnte das aussehen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie viel Macht haben Ecowas und ihre Armee?

Ecowas ist eine Wirtschaftsgemeinschaft von 15 westafrikanischen Staaten, die 1975 gegründet wurde. Hauptziel der Gemeinschaft ist das Schaffen eines gemeinsamen Binnenmarktes. Zwischen den Ländern bestehen des Weiteren ein Nichtangriffspakt sowie ein Abkommen über gemeinsame Verteidigung.

Nachdem sich in Mali, Guinea und Burkino Faso das Militär 2020, 2021 bzw. 2022 an die Macht putschte, ist die Mitgliedschaft dieser Länder suspendiert.

Sollte die Ecowas im Niger intervenieren, wäre es nicht das erste Mal, dass sie ihre Eingreiftruppe losschickt. In den 1990ern griffen die Soldaten der Ecowas bei Bürgerkriegen in Liberia, Sierra Leone und Guinea-Bissau ein, außerdem bei einem Militärputsch in Côte d’Ivoire 2002. Das letzte Mal kam die Ecowas-Eingreiftruppe 2017 zum Zuge, als sich der abgewählte Langzeit-Präsident Gambias weigerte, seinen Platz zu räumen.

Wie wahrscheinlich ist eine Militärintervention in Niger?

Am vergangenen Freitag sagte der für Sicherheitspolitik zuständige Ecowas-Kommissiar Abdel-Fatau Musah, dass es einen konkreten Plan für eine mögliche militärische Intervention gebe. „Alles ist geplant, die nötigen Ressourcen und wie und wann wir die Truppen einsetzen“, lauteten seine Worte. Dennoch hoffe man nach wie vor auf eine diplomatische Lösung.

Alles ist geplant, die nötigen Ressourcen und wie und wann wir die Truppen einsetzen.

Abdel-Fatau Musah, Ecowas-Kommissar für Politische Angelegenheiten, Frieden und Sicherheit

Mehrere Ecowas-Länder, darunter Nigeria und Senegal, haben bereits angekündigt, Soldaten zu entsenden. Zudem gilt es als wahrscheinlich, dass die USA eine solche Intervention unterstützen würden.

Eine Intervention in Niger ist jedoch kein leichtes Unterfangen: Das Land ist groß – etwa dreimal so groß wie Deutschland – und besteht zu zwei Dritteln aus Wüste. Zudem wurden die nigrischen Streitkräfte gut von den USA und Frankreich ausgebildet und sind erfahren im Kampf gegen Dschihadisten.

Warum spricht sich Nigeria für einen Einmarsch aus?

Nigeria ist das bevölkerungs-, wirtschafts- und militärisch stärkste Land der Ecowas und damit das einflussreichste innerhalb der Gemeinschaft. Es versteht sich selbst als regionale Ordnungsmacht und hat außenpolitisch große Ambitionen: Für das Land wäre es also eine Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen.

Der neue nigerianische Präsident Bola Tinubu ist innerhalb der Ecowas die treibende Kraft für ein militärisches Eingreifen gegen die nigrischen Putschisten. Einerseits möchte er enger mit dem Westen zusammenarbeiten, andererseits spielen sicherheitspolitischen Erwägungen eine Rolle. Die Islamisten im instabilen Norden Nigerias könnten weiteren Zulauf aus Niger bekommen, wenn das Land unter Kontrolle der Junta bleibt.

223.000
Soldaten umfasst das nigeranische Militär – das nigrische dagegen 10.000.

Es gibt bereits Berichte über nigerianische Truppenbewegungen in Richtung nigrischer Grenze, die 1.600 Kilometer umfasst. Nigerias Armee ist zudem nach Ägypten die zweitgrößte Afrikas – mit 223.000 Soldaten ist sie mehr als zwanzigmal größer als die nigrische.

Allerdings hat die nigerianische Armee schon genug damit zu tun, innerhalb ihrer eigenen Grenze die Terrormiliz Boko Haram und andere Dschihadisten zu bekämpfen.

Hinzu kommt, dass sich der nigerianische Senat gegen einen Militäreinsatz ausgesprochen hat. Seine Zustimmung ist jedoch rechtliche Voraussetzungen für einen Einmarsch.

Dementsprechend sagt Anna Schmauder, Sahel-Forscherin bei der Berliner Denkfabrik Global Public Policy Institute: „Es wird länger dauern, eine Intervention zu planen – und vor allem sowohl innenpolitisch als auch innerhalb der Ecowas Mehrheiten dafür zu mobilisieren.“

Es wird länger dauern, eine Intervention zu planen – und vor allem Mehrheiten dafür zu mobilisieren.

Anna Schmauder, Sahel-Forscherin bei der Berliner Denkfabrik Global Public Policy Institute

Algerien ist gegen einen Eingriff – warum?

Algerien warnt, dass ein militärisches Eingreifen im Niger die gesamte Sahel-Zone destabilisieren könnte. Der algerische Präsident Abdelmad Tebboune schloss dementsprechend strikt aus, dass sein Land sich an einer Intervention beteiligen würde. Als direktes Nachbarland Nigers, mit dem es eine lange Grenze teilt, befürchtet er, dass ein militärischer Konflikt im Niger direkte Auswirkungen auf sein Land hätte. Algerien ist eines der militärisch stärksten Länder der Region – gehört allerdings nicht zu Ecowas.

Genauso wenig zu Ecowas gehört Tschad: Nigers östlicher Nachbar, ebenfalls ein großer militärischer Player, der sich aus dem Konflikt heraushalten will.

Welche Verbündeten haben die Putschisten?

Mali und Burkina Faso, die ebenfalls nach einem Putsch unter Militärherrschaft stehen, sind solidarisch mit den Militärs im Niger. Sie erklärten, einen Angriff auf Niger auch als Angriff auf sich selbst zu interpretieren.

Was wird die Ecowas nun tun?

Darüber sind sich Experten uneinig. Einen Krieg in der Region möchte niemand riskieren. „Sollte es tatsächlich zu einer militärischen Intervention kommen, wäre das eine katastrophale Entwicklung – für Niger und für die weitere Region“, sagt Expertin Schmauder.

Denn: „Wenn im Sahel Nachbarländer gegeneinander militärisch intervenieren, nutzt das am Ende vor allem den dschihadistischen Akteuren wie dem Islamischen Staat im Sahel“, erläutert sie.

Nigerianischer Präsident Tinubu: Die Ecowas kann ihre Drohungen nicht einfach verhallen lassen.
Nigerianischer Präsident Tinubu: Die Ecowas kann ihre Drohungen nicht einfach verhallen lassen.

© AFP/KOLA SULAIMON

Andererseits: Die Ecowas kann ihre Drohungen nicht einfach verhallen lassen, da sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verliert. Zudem könnte sich in weiteren Ländern der Region das Militär an die Macht putschen, wenn ein solcher Staatsstreich ungeahndet bleiben würde.

Was denkt Nigers Bevölkerung über den Putsch?

Tatsächlich scheinen immer mehr Menschen die Putschisten zu unterstützen: Aufgrund der Ecowas-Sanktionen herrscht in dem verarmten Land nun noch mehr Mangel. Es gibt zum Beispiel keinen Strom mehr, da der bisherige Hauptlieferant Nigeria seine Lieferungen eingestellt hat – was in Ärger auf das Nachbarland umschlägt.

Anhänger von Nigers regierender Junta mit russischen Flaggen: Geld aus Moskau.
Anhänger von Nigers regierender Junta mit russischen Flaggen: Geld aus Moskau.

© dpa/Sam Mednick

Machthaber Tiani hat die Bevölkerung aufgerufen, sich auf die Verteidigung des Landes vorzubereiten. Es entstehen Bürgerwehren von Jugendlichen und es gibt Pro-Kundgebungen für die Putschisten.

Wo ist Nigers Präsident und was geschieht mit ihm? 

Bazoum wird offenbar zusammen mit seiner Familie von dem Putschisten im Präsidentenpalast festgehalten. Genaueres weiß man jedoch nicht. Eine Vermittlergruppe der Ecowas, die am vergangenen Donnerstag im Niger eintraf, bekam keinen Zugang zu ihm. Experten befürchten, dass er bei einem militärischen Eingreifen in Niger getötet werden könnte.

Festgesetzter nigrischer Präsident Mohamed Bazoum: Er könnte bei einem militärischen Eingreifen getötet werden.
Festgesetzter nigrischer Präsident Mohamed Bazoum: Er könnte bei einem militärischen Eingreifen getötet werden.

© dpa/Kay Nietfeld

In wessen Interesse war der Militärputsch? 

„Die Ursache für den Putsch ist zuallererst innenpolitisch zu suchen“, sagt Schmauder. „Alle bisherigen Erkenntnisse deuten derzeit darauf hin, dass der Putsch durch den von Präsident Bazoum geplanten Austausch des Anführers der Präsidentengarde, General Tiani, ausgelöst wurde.“

Der Militärregierung wird allerdings nachgesagt, Kontakte zur russischen Wagner-Gruppe zu haben.

Auch gibt es Vermutungen, wonach Demonstranten, die französische Flaggen auf der Straße verbrennen und russische hochalten, dafür von Russland bezahlt werden – mit 30 bis 50 Euro. Das erzählte der Militärhistoriker Pierre Servent in einem „Spiegel“-Interview. Für Nigrer ist das extrem viel Geld: Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei 48 Euro pro Kopf.

Nach den Militärputschen in Mali und Burkina Faso war der Niger einer der letzten Verbündeten des Westens in der Sahelzone: Die Region ist für die Europäer bedeutend im Kampf gegen illegale Migration und Terrorismus. Ein destabilisierter Niger hat also auch eine destabilisierende Wirkung auf Europa – was wiederum im Interesse Russlands ist. Dafür, dass Moskau den Militärputsch in Niger aktiv initiiert hat, gibt es allerdings keine Beweise.

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