zum Hauptinhalt
Menschen protestieren nach umstrittenem Urteil vor dem Supreme Court.

© Reuters/Evelyn Hockstein

Update

Konservative Richter setzen sich durch: Oberstes US-Gericht untersagt Studentenauswahl anhand von Hautfarbe

Der Supreme Court entscheidet in einem historischen Urteil, die unter dem Begriff Affirmative Action bekannte Praxis verstoße gegen die Verfassung. US-Präsident Biden kritisiert das scharf.

| Update:

Der Oberste Gerichtshof der USA hat Universitäten grundsätzlich untersagt, bei der Auswahl von Studienplatzbewerbern deren Hautfarbe zu berücksichtigen. Der Supreme Court in Washington entschied am Donnerstag in einem historischen Urteil, die unter dem Begriff Affirmative Action bekannte Praxis verstoße gegen die Verfassung.

Mit dem Vorgehen hatten Hochschulen über Jahrzehnte versucht, einen besseren Zugang von Minderheiten – insbesondere Afroamerikanern – zu Universitäten sicherzustellen. „Der Student oder die Studentin muss auf Grundlage seiner oder ihrer Erfahrung als Individuum behandelt werden – nicht auf Grundlage von Rasse“, schrieb Gerichtspräsident John Roberts zu dem Urteil. In den USA ist der Begriff „race“ (Rasse) zur Unterscheidung von Bevölkerungsgruppen anhand ihrer Hautfarbe üblich.

In dem Urteil ging es um Klagen der Studentenorganisation Students for Fair Admissions (Studenten für faire Zulassungen) gegen die private Elite-Universität Harvard und die staatliche University of North Carolina (UNC). Die Kläger, hinter denen der konservative Aktivist Edward Blum steht, argumentieren unter anderem, durch die insbesondere auf Afroamerikaner abzielenden Auswahlverfahren würden Bewerber mit asiatischen Wurzeln benachteiligt.

Maßnahmen unter dem Schlagwort Affirmative Action waren in den 1960er Jahren im Zuge der Bürgerrechtsbewegung eingeführt worden. Ziel war es, Afroamerikanern nach Jahrhunderten der Unterdrückung, Diskriminierung und Benachteiligung einen besseren Zugang zu guten Bildungseinrichtungen zu ermöglichen – und damit ihre Aufstiegschancen zu verbessern. Entsprechende Programme waren aber von Anfang an umstritten.

Zunächst klagten weiße Studienbewerber

Zunächst zogen weiße Studienbewerber mit dem Argument vor Gericht, sie würden Opfer einer „umgekehrten Diskriminierung“. Kritiker führen auch an, die Hautfarbe zu berücksichtigen, zementiere die Unterteilung von Menschen in unterschiedliche Gruppen und spalte so die Gesellschaft.

Dass die konservative Gruppe jetzt im Namen abgelehnter asiatisch-amerikanischer Studenten gegen Harvard geklagt hatte, zeigt, dass längst neue Fronten zwischen den verschiedenen ethnischen Minderheiten entstanden sind. Auch diese Debatte ist Teil der immer erbitterter ausgefochtenen Kulturkämpfe in den Vereinigten Staaten.

Konkret argumentierten die Kläger, dass Harvard asiatisch-amerikanische Bewerber systematisch diskriminiere, indem die Uni höhere Standards als bei anderen Minderheiten anlege. Tatsächlich kam bereits 2004 eine Princeton-Studie zu dem Schluss, dass asiatisch-amerikanische Interessenten im Vergleich zu anderen Gruppen deutlich bessere Noten erzielen müssen, um an einer Elite-Uni aufgenommen zu werden. 

Im US-Kongress kämpften ausgerechnet zwei Republikanerinnen mit koreanischen Wurzeln gegen die Zulassungsquoten, die Abgeordneten Young Kim und Michelle Park Steel. „Jeder verdient es, nach seinen Verdiensten beurteilt und nicht wegen seiner Herkunft, Rasse oder Herkunft diskriminiert zu werden“, argumentiert Kim. Steel und Kim waren 2020, neben der Demokratin Marilyn Strickland, die ersten gebürtigen Koreanerinnen, die in den Kongress gewählt wurden.

Schafft verordnete Vielfalt neue Benachteiligungen?

Kritiker der Affirmative Action, wie die asiatisch-stämmige Emilie Kao, die eng mit der konservativen Heritage Foundation verbunden und selbst Harvard-Absolventin ist, argumentieren, dass verordnete Vielfalt an den Hochschulen in Wahrheit nur neue Benachteiligungen schaffe.

Dass diese Vorwürfe nicht völlig von der Hand zu weisen sind, belegen Gerichtsakten aus vorangegangenen Prozessen. Darin finden sich Einblicke in die Persönlichkeitstests, die Harvard anwendet. „Sympathie, Mut, Freundlichkeit und andere soziale Eigenschaften“ wurden darin bei asiatischen Amerikanern am niedrigsten eingestuft. 

1978 urteilte der Supreme Court zwar, Universitäten dürften bei der Auswahl von Bewerbern keine festen Quoten anhand der Hautfarbe nutzen. Die Hautfarbe oder die ethnische Herkunft könnten aber als eines von mehreren Kriterien genutzt werden, um Vielfalt in der Studentenschaft sicherzustellen.

Biden kritisiert die Entscheidung scharf

Jetzt kippte der in den vergangenen Jahren nach rechts gerückte Gerichtshof das Prinzip der Affirmative Action an Hochschulen. Am Supreme Court stellen konservative Richter seit der Amtszeit des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump eine Mehrheit von sechs der neun Sitze.

US-Präsident Joe Biden sagte in einer Fernsehansprache im Weißen Haus, er sei mit der Entscheidung des Supreme Court „überhaupt nicht einverstanden“. Der Richterspruch sei eine „schwere Enttäuschung“ . Der konservativ dominierte Gerichtshof habe mit seiner Entscheidung eine Abkehr von „jahrzehntelanger Rechtsprechung“ vollzogen, sagte der Politiker der Demokratischen Partei. „Diese Entscheidung darf nicht das letzte Wort sein.“

Hochschulen sollten sich weiter für eine Studentenschaft mit „vielfältiger Herkunft und vielfältigen Erfahrungen, die ganz Amerika widerspiegeln“ einsetzen, sagte Biden. Das sei auch nach dem Urteil des Gerichtshofs möglich. Außerdem solle das Bildungsministerium prüfen, wie für mehr Vielfalt in der Studentenschaft gesorgt werden könne. „Die Wahrheit ist, und wir alle wissen es: In Amerika gibt es immer noch Diskriminierung“, sagte Biden. „Die heutige Entscheidung ändert das nicht.“

Trump spricht von „tollem Tag für Amerika“

Ex-Präsident Trump hingegen sprach von einem „tollen Tag für Amerika“. Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten würden endlich belohnt. „Das ist die Entscheidung, auf die alle gewartet haben und dies sich alle erhofft haben. Sie wird uns wettbewerbsfähig halten mit dem Rest der Welt“, schrieb Trump auf Twitter. „Unsere besten Köpfe müssen wertgeschätzt werden und das ist, was uns dieser wundervolle Tag gebracht hat.“ Er pries, dass es nun nur noch um Leistung gehe – so, wie es sein solle.

Das Urteil könnte große Folgen für die Vielfalt auf dem Campus haben, jahrzehntelange Mühen um Diversität wären womöglich umsonst, warnen Experten. Studien zufolge könnte die amerikanische Akademiker-Welt ohne Affirmative Action noch weißer, noch elitärer werden.

Das Justizministerium hatte vergeblich an den Supreme Court appelliert, sich der Klage nicht anzunehmen. Umgehende Kritik an dem Urteil kam unter anderem von Ex-Präsident Barack Obama und seiner Frau Michelle. Barack Obama erklärte: „Affirmative Action hat Generationen von Studenten wie Michelle und mir erlaubt, zu beweisen, dass wir dazugehören.“

Michelle Obama erklärte, sie sei zutiefst traurig, wenn sie an die heutigen jungen Leute denke, die sich die Frage stellten, welche Chancen sich ihnen eröffnen würden.

Ähnliche Proteste gewinnen derweil auch im Schulwesen an Fahrt: Überwiegend asiatisch-amerikanische Eltern machen auch gegen Affirmative Action an Eliteschulen mobil. Das Thema wird aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahr eine große Rolle spielen, wenn ein neuer Präsident und große Teile des US-Kongresses neu gewählt werden. (mit AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false