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Ein Wachmann vor dem Supreme Court in Washington.

© imago images/JOKER

Supreme Court weist Trump zurück : Das US-Verfassungsgericht ist neutraler als sein Ruf

Bundesstaatliche Parlamente sind bei Wahl-Modalitäten an das Recht gebunden: Dieses Urteil stärkt Amerikas Demokratie. Das hat sie bitter nötig.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Ein Wunder ist geschehen. Tiefe Seufzer der Erleichterung sind zu hören. Das mehrheitlich mit konservativen Richtern besetzte Oberste Verfassungsgericht der USA hat am Dienstag ein Urteil gefällt, das vielen konservativen Amerikanern ganz und gar nicht gefallen dürfte. Nur vordergründig ging es dabei um einen Streit im Bundesstaat North Carolina. Im Grundsatz wurde die Frage behandelt, ob bundesstaatliche Parlamente ohne gerichtliche Kontrolle Wahlgesetze erlassen können. Darauf hatten Republikaner gehofft.

In der Verfassung steht: „Zeit, Ort und Art der Abhaltung von Wahlen für Senatoren und Repräsentanten werden in jedem Bundesstaat von der jeweiligen Legislative festgelegt.“ Daraus hatten Republikaner und insbesondere Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump die These von einer „Independent State Legislature“ (ISL) abgeleitet, die „Theorie eines unabhängigen bundesstaatlichen Gesetzgebers“.

Demnach dürften sämtliche Modalitäten einer Wahl allein von der Legislative festgelegt werden. Sind Parlamente an das Recht gebunden? Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn diese Frage mit Nein beantwortet worden wäre. Einige Demokraten hatten bereits einen „Justizputsch“ prognostiziert.

Gegen die radikale Form des Gerrymandering waren Demokraten erfolgreich vor Gericht gezogen

Im konkreten Fall standen sich der republikanische Abgeordnete Timothy K. Moore und die Bürgerrechtsaktivistin Rebecca Harper gegenüber („Moore vs Harper“). Das mehrheitlich republikanisch besetzte Parlament von North Carolina hatte nach der letzten Volkszählung die Wahlkreisgrenzen auf eine Weise neu gezogen, dass Abgeordnete der Republikaner gravierend im Vorteil gewesen wären, obwohl die Parteienpräferenz in dem Bundesstaat zwischen Demokraten und Republikanern in etwa ausgeglichen ist.

Gegen diese radikale Form des Gerrymandering waren die Demokraten erfolgreich vor Gericht gezogen. Daraufhin schalteten die Republikaner das Oberste Gericht in Washington D.C. ein und beriefen sich auf die ISL-Doktrin. Im August vergangenen Jahres wurde die Klage zugelassen. Das werteten Wahlrechtsaktivisten als böses Omen und befürchteten das Schlimmste. Schon beim Antiabtreibungsrechtsurteil vor einem Jahr hatte das Votum der konservativen Verfassungsrichter den Ausschlag gegeben.

Sollen künftig bundesstaatliche Parlamente in eigener Machtbefugnis entscheiden, unter welchen Bedingungen eine Wahl stattfinden soll? Das hieße womöglich rigorose Ausweispflichten, weniger Wahllokale in demokratischen Hochburgen und in Wohnvierteln von Schwarzen extreme Neuzuschnitte von Wahlkreisen mit dem Ziel, Wahlergebnisse zu beeinflussen.

Wenn es um antidemokratische Wahlgesetze geht, sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Selbst das System der Wahlmänner könnte ausgehöhlt werden, indem diese von der Pflicht entbunden werden, gemäß dem offiziellen Wahlergebnis abzustimmen. Ein solches Szenario hatte Trump nach seiner verlorenen Präsidentschaftswahl gegen Joe Biden zur Diskussion gestellt.

Da Verfassungsrichter auf Lebenszeit ernannt werden, müssen sie keine Repressionen fürchten

Doch es kam anders. Der Supreme Court lehnte die Klage des Republikaners Moore und damit die ISL-Doktrin mit sechs zu drei Stimmen ab. Auch zwei Oberste Richter, die von Trump ernannt worden waren – Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett – schlossen sich dem Mehrheitsvotum an. John Roberts, der Vorsitzende Richter am Supreme Court, schrieb in der Urteilsbegründung: „Die Wahlklausel schützt die Gesetzgeber der Bundesstaaten nicht vor der üblichen gerichtlichen Kontrolle.“

Ist der Supreme Court besser als sein Ruf? Neutral, unparteiisch, ausgewogen? Das jüngste Urteil erlaubt zumindest die Hoffnung, dass das Oberste Gericht künftig der Polarisierung im Land etwas entgegenwirkt. Da die Verfassungsrichter auf Lebenszeit ernannt wurden, müssen sie keine Repressionen fürchten, wenn ihr Urteil einem bestimmten politischen Lager missfällt. Wer als Hardliner startet, kann sich im Amt durchaus mäßigen.

Beim Thema Wahlrecht deutet sich eine moderate Linie an. Der Bundesstaat Alabama wurde vor einigen Wochen verpflichtet, seine Wahlkreise neu einzuteilen, weil das vorgenommene Gerrymandering schwarze Wähler diskriminiert hatte. Der Bundesstaat Louisiana muss einen mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Wahlkreis hinzufügen.

Und schon einmal, im Dezember 2000, wurde eine bundesstaatliche Regelung vom Supreme Court gekippt. Mit knapper Mehrheit wurde die von Floridas Verfassungsgericht angeordnete Nachzählung der Präsidentschaftswahl gestoppt. George W. Bush zog daraufhin ins Weiße Haus ein.

Jacob Heilbrunn ist Chefredakteur des Debattenmagazins „The National Interest“. Er kommentierte für den Tagesspiegel das Urteil mit diesen Worten: „Das Oberste Gericht ist die konservativste Institution Amerikas. Mit der Zurückweisung des gefährlichen Versuchs der extremen Rechten, das amerikanische Wahlrecht zu kippen, hat er sich dem wahren Konservatismus verschrieben, der die Tradition hochhält und radikale Veränderungen ablehnt. Einmal mehr hat sich das Gericht als Freund und nicht als Unterwanderer der Demokratie erwiesen.“

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