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Rettungsteams gehen am 18. September 2023 durch ein zerstörtes Gebiet in Libyens östlicher Stadt Darna. Die enorme Flut, die am 10. September durch sintflutartige Regenfälle ausgelöst wurde, hatte zwei flussaufwärts gelegene Dämme durchbrochen.

© AFP/Mahmud Turkia

Flutkatastrophe in Libyen: Hilfsorganisationen rechnen mit Tausenden Leichen unter Trümmern

Noch immer werden tausende Menschen vermisst, viele Leichen werden auch ohne Identifizierung begraben. Die Überlebenschancen schwinden, gleichzeitig fehlt es vor Ort am nötigsten.

Die Lage in den Überschwemmungsgebieten in Libyen ist weiterhin dramatisch. Man müsse damit rechnen, Tausende von Leichen unter den Trümmern im Schlamm zu finden, sagte eine Sprecherin des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Es sei noch immer sehr schwierig, genaue Angaben zu den Opferzahlen zu machen. Schätzungen gingen demnach davon aus, dass mindestens 10.000 Menschen vermisst werden. „Die Chance noch Überlebende zu finden ist sehr gering“, so die Sprecherin.

Gleichzeitig fehle es den Überlebenden am nötigsten. Sie hätten noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, Essen, Unterkünften, Elektrizität oder Kommunikationsmöglichkeiten nach außen.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) will Hilfsgüter in das Überschwemmungsgebiet in Libyen schicken. Es bestehe unter anderem dringender Bedarf nach Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygieneförderung, teilte das DRK mit. Vom Flughafen Leipzig/Halle soll am Freitag ein Flugzeug mit Trinkwasseraufbereitungsanlagen, Trinkwassertanks und -pumpen starten.

Das ICRC habe den lokalen Behörden und dem Libyschen Roten Halbmond bisher 6000 Leichensäcke zur Verfügung gestellt. 5000 weitere sollen nach Angaben der Sprecherin folgen. Gleichzeitig habe das ICRC Forensikexperten zur Verfügung gestellt, die bei der Identifizierung der Leichen helfen.

Internet- und Telefonverbindungen unterbrochen

Rettungsarbeiten gestalteten sich weiterhin enorm schwierig, da viele Gebiete noch immer sehr schwer zu erreichen seien. Viele Straßen und Brücken hätten durch die Überschwemmungen enormen Schaden genommen. Auch die Informationslage ist nach ICRC-Einschätzungen kompliziert: „Es gibt keine Internetverbindung, Telefongespräche sind schwierig“, so die Sprecherin.

In Darna sind seit Dienstag alle Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen. Das Telekommunikationsunternehmen LPTIC berichtete auf Facebook von einem „Glasfaserbruch“ und sprach von einem möglichen „Sabotageakt“. Experten vermuten jedoch, dass die Regierung von Ostlibyen die Verbindungen nach heftigen Protesten der Menschen in Darna gegen die Versäumnisse der Behörden bewusst gekappt hat.

Sammelstellen für Leichen – viele würden ohne Identifizierung begraben werden

Helfende vergraben eine Leiche in einem Massengrab.

© REUTERS/Esam Omran Al-Fetori

Libysche Aktivisten, die sich für die Flutopfer einsetzen, teilten der Deutschen Presse-Agentur mit, dass viele Leichen ohne Identifizierung begraben worden seien. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden rund 4000 Todesopfer identifiziert. Die Regierung im Osten bezifferte die Zahl der offiziell registrierten Toten am Dienstagabend mit 3351. Insgesamt sind in Darna nach UN-Angaben mindestens 11.300 Menschen gestorben.

Die Datenanalystin Nour Momen, die bei der Auflistung und Identifizierung der Leichen hilft, sagte, in der stark betroffenen Hafenstadt Darna gebe es Sammelstellen für Leichen. Überlebende versammelten sich an den Stellen, um möglicherweise mehr über vermisste Angehörige zu erfahren, um Leichen zu identifizieren und begraben zu können.

Während die Rettungs- und Bergungsarbeiten laufen, wächst das Risiko von Krankheitsausbrüchen weiter. Die Wasserquellen sind in der Katastrophenregion stark verunreinigt. Tausende Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser mehr. Dutzende Kinder seien bereits wegen verschmutzten Wassers erkrankt, hieß es.

Gesundheitsministerium: Teile von Darna sind „unbewohnbar“

Das Gesundheitsministerium der Regierung im Osten teilte am Dienstag der Nachrichtenseite „Al-Marsad“ zufolge mit, dass die stark betroffene Hafenstadt Darna in drei Zonen eingeteilt wurde. Die am stärksten betroffene Gegend in Darna wurde am Dienstag für unbewohnbar erklärt. Sie dürfe nur noch von Rettungsteams betreten werden, hieß es.

Auch die „fragile Zone“ - eine weitere Gegend, die stark von Wasser durchflutet wurde - stelle eine Gefahr für die Bewohner dar. Die dritte und letzte Zone wurde von dem Ministerium als sicher und bewohnbar erklärt.

Ein Luftbild zeigt das Ausmaß der Zerstörung in Darna. Nach der Flut sind Teile der Stadt unbewohnbar, teilte das Gesundheitsministerium mit.

© REUTERS/Zohra Bensemra

Gleichzeitig berichteten Journalisten und Aktivisten am Dienstag, sie seien aufgefordert worden, die Katastrophengebiete zu verlassen. Eine Journalistin des saudischen Fernsehsenders Al-Hadath sagte, bis Dienstagmittag müssten alle Journalisten Darna verlassen. Als Grund hätten die Behörden im Osten eine mögliche Behinderung der Rettungsarbeiten und die Gefahr einstürzender Gebäude genannt.

Teils wird vermutet, dass Berichte über eine Demonstration vom Vorabend der Auslöser gewesen sein könnten. Der Innenminister der Regierung im Osten, Issam Abu Sariba, sagte gegenüber Al-Hadath aber, dass Journalisten wie gewohnt in der Stadt arbeiteten.

Der Gesundheitsminister der libyschen Behörden im Ostteil des Landes, Othman Abdel Dschalil, sagte am Dienstagabend, man habe Sicherheitskräfte gebeten, diesen Bereich zu isolieren, um Journalisten und Zivilisten zu schützen und um Rettungsteams die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit zu erledigen.

Teams der Vereinten Nationen arbeiteten daran, eine „zweite verheerende Krise in der Region“ und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Allerdings ist Helfern der Vereinten Nationen nach eigenen Angaben der Zugang zu der schwer zerstörten ostlibyschen Hafenstadt Darna verwehrt worden. Teams, die bereits in Darna seien, könnten jedoch weiterarbeiten.

Auch mehr als eine Woche nach der verheerenden Flutkatastrophe in Libyen ist die Lage im Osten des Landes sehr unübersichtlich. Das Land ist politisch zwischen Ost und West gespalten. Die international anerkannte Regierung sitzt im Westen und hat keine Kontrolle über die östlichen Gebiete.

Das Sturmtief „Daniel“ hatte Libyen am 10. September erfasst. Bei schweren Regenfällen war oberhalb von Darna ein Damm gebrochen. Darauf raste eine Flutwelle durch den 125.000 Einwohner zählenden Ort und spülte ganze Straßenzüge ins Meer. Zehntausende Menschen wurden durch die Katastrophe obdachlos. Die EU sagte Libyen weitere 5,2 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zu. Auch die USA stellen weitere 11 Millionen Dollar bereit. (dpa/AFP/Reuters)

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