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Trauernde haben sich zu einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien am Brandenburger Tor versammelt und ziegen eine kurdische und eine türkische Flagge.

© Imago/Jochen Eckel

Update

„Zeit für das Ende von Feindschaften“: Berlin gedenkt in Solidarität der Erdbeben-Opfer

Am Brandenburger Tor erinnern 300 Menschen an die Opfer des Erdbebens in der türkisch-syrischen Grenzregion. Franziska Giffey kündigt eine Luftbrücke an.

| Update:

Plötzlich war es ganz still am Brandenburger Tor. Der Verkehrslärm in der Ferne wehte nur als leises Rauschen zum Pariser Platz, Menschen verharrten regungslos. Tiefer Schmerz und grenzenloses Leid, symbolisiert in einer besonderen Geste. Die Gedenkminute für die Opfer des furchtbaren Erdbebens im türkischen-syrischen Grenzgebiet.

Cemile Dincer hatte diesem Leid Minuten zuvor ein Gesicht gegeben. Als sie ein wunderschönes kurdisches Lied sang, eine nachdenkliche Ballade, da hatte sich die Trauer in jeden ihrer Gesichtszüge gelegt.

Gedenkveranstaltung für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien am Brandenburger Tor.

© Imago/Stefan Zeitz

Rund 300 Menschen hatten sich am Samstagmittag auf dem Pariser Platz versammelt, viele hatten Angehörige unter den Trümmern verloren. Sie kamen, um sich gegenseitig Halt zu geben, sie kamen aber auch, um Solidarität zu zeigen, mit den Opfern, mit den Helfern, mit allen, die jetzt seelische Unterstützung benötigen.

Politik darf nachhaltige Hilfe für die Opfer nicht vergessen

Sie kamen auch, um Politik aus ihrem Alltagsgeschäft zu reißen, und um deutlich zu verkünden: Hilfe darf kein Tagesgeschäft sein, diese Menschen in Not brauchen noch sehr lange Hilfe, das darf die Politik nie vergessen.

Die Menschenrechtsorganisation „Hawar help“ hatte die Gedenkfeier organisiert, und weil die Menschenrechtler die Politik insgesamt in die Verantwortung nehmen wollen, hatten sie alle demokratischen Parteien eingeladen. „Hawar help“ versteht sich als überparteiliche Organisation, sie wollte keine Plattform für Wahlkampf einer Seite bieten.

Es ist der richtige Zeitpunkt, das Kleinklein der Auseinandersetzung beiseitezulassen.

Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin

Schon aus Pietätsgründen war allerdings von vornherein klar, dass kein Politiker es wagen würde, die Opfer für seine politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Doch bemerkenswert war die Souveränität und Überzeugungskraft, mit denen die Politiker und Politikerinnen den Blick auf das menschliche Leid konzentrierten.

Der Begriff „Solidarität“ war die Klammer für alle Reden

Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin, fasste die Situation zusammen: „Es ist der richtige Zeitpunkt, das Kleinklein der Auseinandersetzung beiseitezulassen und sich darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist: der Kampf um Frieden, Demokratie und Menschenrechte.

Sie stand in der Kälte auf einem Podium, flankiert von „Hawar help“-Plakaten, auf denen gedruckt war: „Hoffnung geben, Menschlichkeit leben. Auf der Asche eines Völkermords.“ Und sie benutzte den Begriff, der wie eine Klammer den Kern aller Reden zusammenhielt: Solidarität. „Berlin ist ein Kiez, und im Kiez stehen wir zusammen, wenn Hilfe nötig ist“, sagte die Regierende Bürgermeisterin. „Es ist wichtig, dass heute von hier ein Zeichen der Solidarität ausgeht.“

Zur Solidarität gehört auch die Luftbrücke von Berlin in die Türkei, mit der Hilfsgüter in die Katastrophengebiete geliefert werden. Eine 6000 Quadratmeter große Halle am Flughafen BER ist randvoll gefüllt mit wichtigen Gütern.

Özdemir lobt Griechenland für die Hilfe an die Türkei

Die Ignoranz kleingeistiger Rivalitäten hatte vor Franziska Giffey schon Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gefordert, auf einer geopolitischen Ebene allerdings. „Griechenland hat der Türkei sofort Hilfe angeboten“, sagte der Grünen-Politiker, „vielleicht ist es an der Zeit, Feindschaften zu beenden.“

Neben Özdemir stand die „Hawar help“-Vorsitzende Düzen Tekkal, eine Türkin mit kurdischen Wurzeln, und sie war stellvertretend für alle, die auf nachhaltige Hilfe hoffen, die Adressatin von Özdemirs Botschaft: „Der Winter bleibt auch, wenn die Welt sich wieder anderen Problemen zuwendet.“

Es war das verklausulierte Versprechen, dass die Empathie für Opfer nicht vom politischen Tagesgeschäft verdrängt wird. Düzen Tekkal machte allerdings auch sehr deutlich klar, dass sie Özdemir und die anderen Politiker, die am Brandenburger Tor sprachen, sehr intensiv an deren eigene Worte erinnern wird.

Grünen-Politikerin Jarasch lobt die Vielzahl der Helfer

Bettina Jarasch (Grüne), Giffeys Stellvertreterin und Verkehrssenatorin, bezeichnete Berlin als „Stadt der Freiheit“. Und gerade jetzt „müssen wir Hilfe leisten.“ Diese Hilfe sei umfassend, „da haben nicht Türken Türken und Araber Arabern geholfen, sondern da haben Berliner insgesamt geholfen“.

20 Meter hinter dem Podium steht das Brandenburger Tor. Für den CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner ist das historische Bauwerk „ein Symbol dafür, dass wir zusammenstehen, wenn Menschen in der Not sind“. Ihm gehe das Bild jenes Mannes nicht mehr aus dem Kopf, der die Hand seiner toten Tochter hält, die unter Trümmern liegt.

Die Linken-Vorsitzende Wissler hat das Beben live erlebt

Janine Wissler, Bundesvorsitzende der Linken, hatte in der Türkei live das Erdbeben miterlebt. Sie schreckte in der Nacht hoch, als die Wände wackelten, sie sah auf der Straße Menschen, die in Panik im Schlafanzug auf die Straße gerannt waren oder Menschen, die gerade noch in Sandalen hatten schlüpfen können, bevor sie sich ins Freie retteten.

Wissler forderte energisch, dass die Grenzen zwischen der Türkei und Syrien geöffnet werden, damit Hilfsgüter ins Katastrophengebiet gefahren werden können. Syriens Diktator Assad blockiert hier massiv aus politischen Gründen.

Der FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja forderte eine zusätzliche Millionen-Euro-Hilfe, um das Leid der Betroffenen zu lindern.

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Sie alle gestalteten diese Versammlung zu einer Gedenkfeier, bei der Worte und Lieder in die Herzen der Zuhörer flossen, ein gemeinsames Leiden, bei dem Empathie fast körperlich spürbar wurde und seelischen Halt gab.

Ganz am Ende griff nochmal Cemile Dincer zum Mikrofon, begleitet von sanften Gitarrenklängen. Ihre Stimme wehte über den Pariser Platz, sie sang sanft und doch eindrücklich ein melancholisches Lied, das direkt in die Herzen der Zuhörer floss. Das Lied hieß: „Sehnsucht“.

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