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Die Waldsiedlung in Zehlendorf wurde von der einst gemeinnützigen GEHAG gebaut. Heute gehört sie zur Deutschen Wohnen.

© Anis Ben-Rhouma

„Wohnraum gehört mit Verfassungsrang geschützt!“: So sollte Berlin seine Tradition des Werkswohnens wiederbeleben

Ein großangelegtes Wohnungsprogramm nach historischem Vorbild könnte Berlins Wohnraumkrise beheben. Das würde auch der lokalen Wirtschaft helfen, meinen unsere Gastautoren.

Ein Gastbeitrag von
  • Anis Ben-Rhouma
  • Robert Drewnicki

„Babylon Wohnungssuche: Eine Million Berliner suchen Wohnung“. Das war die reale Schlagzeile der Berliner Zeitung „Tempo“ im Oktober 1929. Die Zeitung „Tempo“ wurde einem größeren Publikum durch die Serie „Babylon Berlin“ in Erinnerung gerufen. Die Schlagzeile könnte kaum aktueller sein. Denn auch heute, fast 100 Jahre später ist die „Wohnungsfrage“ – mit einer Artikel-Reihe unter diesem Titel hat bereits Friedrich Engels im Jahr 1873 auf die Umstände und das Elend von arbeitenden Menschen in Bezug auf ihre Unterkünfte aufmerksam gemacht – wieder zentrale Frage der Gesellschaft.

Ihre Lösung ist ein ganz entscheidender Baustein gegen die gesellschaftliche Polarisierung. Die öffentliche Diskussion hierzu verengt sich aus unserer Perspektive zu sehr auf die Fragen der Enteignung, der Randbebauung des Tempelhofer Feldes und anderer in Diskussion stehender Flächen. Die eigentlich drängende Frage ist doch: Wie können wir den Bedarf an Wohnungen mit bezahlbaren Mieten für arbeitende Menschen in Berlin realistisch abdecken?

Genossenschaften, Landeseigene – es braucht noch eine dritte Säule

Die Geschichte des arbeitnehmerorientierten Wohnens kann uns hierfür auch heute noch die notwendigen Leitplanken geben. In den immer noch aktuellen Plänen des Senats ist gemeinwohlorientierter Wohnraum ein zentraler Schlüssel. 50 Prozent der entstehenden Wohnungen sollen demnach gemeinwohlorientiert sein.

Dieses Ziel soll anscheinend im neuen Entwurf zum Stadtentwicklungsplan Wohnen (StEP Wohnen) fortgeschrieben werden. Zentrale Säulen sind hierbei Genossenschaften und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften. Das ist mehr als richtig, wird aber aufgrund der aktuellen Lage bei Weitem nicht ausreichen. Um die Ziele zu erreichen, ist eine dritte Säule des Wohnungsbaus mit bezahlbaren Mieten notwendig, für die es in Berlin historische Vorbilder gibt, deren Errungenschaften heute noch mehr als sichtbar sind.

Bruno Taut arbeitete als Architekt für die GEHAG.
Bruno Taut arbeitete als Architekt für die GEHAG.

© Anis Ben-Rhouma

Am 14. April ist es hundert Jahre her, dass die GEHAG – die Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft – in Berlin gegründet wurde, um dem wohnungspolitischen Elend der arbeitenden Bevölkerung etwas entgegenzusetzen. Wer sich heute noch die Waldsiedlung Zehlendorf, die Hufeisensiedlung oder die Wohnstadt Carl Legien anschaut, kann die Dimensionen erahnen, in denen damals gedacht und dann auch gehandelt wurde.

Fünf Punkte einer neuen Säule bezahlbaren Wohnens

Das gesamte Konzept gewerkschaftseigener Wohnungen ist jedoch durch die Geschichte der Neuen Heimat und dem dazugehörigen Skandal heutzutage historisch belastet und eine Neuauflage ist nicht in Sicht. Dennoch ist der Bedarf sehr wohl da und verknüpft sich mit einem anderen Problem: Der Fach- bzw. Arbeitskräftefrage. Berliner Unternehmen suchen händeringend Arbeitskräfte und die erste Frage, die sich Menschen wohl stellen, wenn sie überlegen, nach Berlin zu ziehen, lautet: „Finde ich denn für meine Familie und mich überhaupt eine bezahlbare Wohnung?“

1. Der Senat muss die Koordinierung übernehmen

Zweifelsohne ist die Wohnungsfrage von gesamtstädtischem Interesse – auch, weil es hier um die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Berlin geht. Aufgabe der zuständigen Senatsverwaltungen (Stadtentwicklung, Wirtschaft, Arbeit und Finanzen) wären belastbare Vereinbarungen mit der Wirtschaft und Unternehmen, die Schaffung eines organisatorischen Rahmens und die Bereitstellung von Knowhow. All dies muss dem öffentlichen Auftrag gerecht werden. Und eigentlich müsste das Thema zur „Chefsache“ vom Regierenden erklärt werden.

2. Die Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen

Als erster Schritt muss hierbei ähnlich wie vor gut zehn Jahren bei der Entwicklung der Kooperativen Baulandentwicklung ein Vertrag mit den Unternehmensverbänden als Vertreter der unmittelbar von den Wohnungen profitierenden Unternehmen verhandelt werden. Nächster Schritt wäre das Auflegen eines Werkswohnungsfonds der Unternehmen. Über diesen Fonds „kaufen“ sich Unternehmen Belegungsrechte für Wohnungen. Die Wohnungen bleiben landeseigen und können auch nicht verkauft werden, wenn Unternehmen zum Beispiel in finanzielle Schieflage geraten. Mehrwert der Unternehmen ist der „Standortvorteil“ bei der Fachkräftegewinnung und -bindung.

Die Wohnungen bleiben landeseigen und können nicht verkauft werden. Mehrwert der Unternehmen ist der „Standortvorteil“ bei der Fachkräftegewinnung und -bindung. 

Anis Ben-Rhouma und Robert Drewnicki

3. Die Aufgabenübernahme durch die landeseigene Berlinovo

Die klassischen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind mit der Schaffung bezahlbaren Wohnraums für breite Bevölkerungssichten ausgelastet. Mit der Berlinovo verfügt das Land Berlin aber über einen weiteren Wohnungsakteur, der für den Werkswohnungsbau ertüchtigt und als starker Partner des Landes eingesetzt werden könnte. Selbstverständlich ist, dass mindestens die zu nutzenden Grundstücke im Landesbesitz bleiben. In Ausnahmefällen kann auch geprüft werden, inwieweit unternehmenseigene Grundstücke eingebunden werden und unter bestimmten Bedingungen Wohnungsbaurecht erteilt wird. Dies aber nur da, wo das Grundstück absehbar nicht weiter gewerblich genutzt werden soll, denn auch Gewerbeland zur Ansiedlung und Erweiterung ist in Berlin knapp.

4. Werkswohnungsprojekte kooperativ begleiten 

Neben der Legislative und Exekutive müssen weitere für eine sozial gerechte Wohnraumversorgung relevante Partner wie zum Beispiel der Mieterschutzbund, Genossenschaften, Sozialpartner, Gewerkschaften und weitere relevante wirtschaftliche und soziale Akteure in einen Beirat eingebunden werden, der die grundlegenden Verhandlungen mit begleitet und im laufenden Prozess in die Umsetzungsentscheidungen zustimmungspflichtig eingebunden wird.

5. Kommunales Eigentum verfassungsrechtlich schützen

Die Quasi-Schaffung einer neuen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft und die damit verbundenen Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen müssen endlich dazu führen, kommunales Eigentum auch dauerhaft zu sichern und vor einfachen parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen zu schützen. Daseinsvorsorge – und dazu gehört auf jeden Fall Wohnraum – gehört mit Verfassungsrang gesichert, darf also im äußersten Fall nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit aus seiner gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung entlassen werden.

Bezahlbaren Wohnraum schaffen gegen die gesellschaftliche Polarisierung

Zu welcher Entwicklung gesellschaftliche Polarisierung führen kann, ist historisch verbrieft und spielt – um den Bogen zur Schlagzeile in der Zeitung „Tempo“ zu schließen – in der Serie Babylon Berlin eine zentrale Rolle. Wir sehen keinen Anlass, „Weimarer Verhältnisse“ herbeizureden, aber die Wohnungssuche für arbeitende Menschen nimmt mittlerweile wirklich babylonische Züge an. Helfen wir ihnen als Stadt Berlin zusammen mit hier ansässigen verantwortungsvollen Unternehmen endlich, dass sie mit ihren Familien bessere Chancen haben, wieder bezahlbare Wohnungen zu finden!

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