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Wenn Atomkerne verschmolzen werden, wird viel Energie frei, die Fusionskraftwerke als Strom nutzbar machen sollen.

© PantherMedia / Nenov Images/Nenov Images

Mehr als eine Milliarde Euro Förderung: Stark-Watzinger setzt auf Fusionsforschung

Kernfusion soll künftig saubere Energie liefern. Das Forschungsministerium fördert nun aber auch ausdrücklich andere Technologien als den Forschungsreaktor „Iter“, der mit erheblichen Problemen kämpft.

Stromerzeugung mittels Kernfusion, also dem Verschmelzen von Atomkernen, ist nach wie vor ein Traum. Doch zuletzt gab es wichtige Fortschritte, die auch die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) motivierten, die Option genauer anzuschauen – über den Versuchsreaktor „Iter“ hinaus, der zurzeit in Südfrankreich gebaut wird und an dem Deutschland über die EU beteiligt ist.

Mittlerweile gibt es mehrere Dutzend Start-ups, vor allem in Nordamerika, die daran arbeiten. Im Dezember schließlich berichtete ein Team am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien, es habe aus einer Fusionsreaktion mehr Energie gewonnen als zuvor durch Laser in die Kapsel „eingeschossen“ worden war.

Bereits Anfang 2022 hatte das Bundesforschungsministerium Expertenrunden gestartet, um die Chancen der Kernfusion auszuloten. Im Mai wurde der Bericht veröffentlicht, der mehr Engagement für die Technologie empfiehlt. Am heutigen Dienstag hat nun die Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ein neues Förderprogramm zur Fusionsforschung vorgestellt.

Deutsche Start-ups dürften sich freuen

Mit einem Volumen von 370 Millionen Euro bis 2028 verstärkt es die bereits laufenden Aktivitäten am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und am Forschungszentrum Jülich (FZJ). Somit wird laut Ministerium in den nächsten fünf Jahren mehr als eine Milliarde Euro in die Fusion investiert werden.

Dies soll ausdrücklich technologieoffen geschehen, also nicht länger bevorzugt für die sogenannte Magnetfusion, die bei Iter verfolgt wird. Dies dürfte vor allem die deutschen Start-ups „Focused Energy“ und „Marvel Fusion“ freuen, die an der sogenannten Laserfusion arbeiten.

Ziel ist es, ein Fusionsökosystem mit der Industrie schaffen, damit ein Fusionskraftwerk in Deutschland schnellstmöglich Wirklichkeit wird, heißt es vom BMBF. „Die Frage ist nicht mehr, ob die Fusion kommt“, sagt die Ministerin. „Die Frage ist vielmehr, ob Deutschland dabei ist. Das ist mein Ziel.“

150 Millionen Grad Celsius

Der Beweis, dass die Kernfusion zuverlässig funktioniert und wirtschaftlich Strom erzeugt, steht freilich weiter aus. Die Anlagen müssen extreme Bedingungen erzeugen, damit die Atomkerne ihre Abstoßung überwinden und verschmelzen – wodurch viel Energie frei wird. Neben den erwähnten Laserpulsen besteht eine weitere Variante darin, das Fusionsplasma in einem Magnetfeld „einzusperren“ und mittels Mikrowellen auf 150 Millionen Grad Celsius zu erhitzen.

Das ist beim Forschungsreaktor Iter vorgesehen, der noch immer als das Projekt gilt, das am weitesten auf dem Weg zu einem Kraftwerk ist. Strom wird er nicht erzeugen, dafür ist später ein Pilotkraftwerk namens „Demo“ vorgesehen, etwa in den 2050ern. Iter soll zuerst zeigen, dass die Fusionstechnologie machbar ist, und zwar im industriellen Maßstab.

Massive Verzögerungen und Kostensteigerungen

Doch das Vorhaben fiel wiederholt durch massive Verzögerungen und Kostensteigerungen auf. Auch jetzt sind die Aussichten trüb. Der offizielle Zeitplan sah lange den Betriebsbeginn für 2025 vor, bereits vor zwei Jahren teilte der damalige Iter-Generaldirektor Bernard Bigot mit, dass dies nicht mehr zu schaffen sei. Die Verzögerungen werden unter anderem auf die Pandemie und technische Probleme zurückgeführt. So sind beispielsweise einige Hitzeschilde im Kern der Anlage fehlerhaft bearbeitet worden und korrodiert, zudem müssen 23 Kilometer Rohrleitungen ausgetauscht werden.

Entgegen früherer Ankündigungen gibt es noch immer keine aktualisierte Zeit- und Kostenschätzung, diese wird nun für 2024 erwartet. Im Juni berichtete das Magazin „Scientific American“, dass der Aufbau um drei Jahre hinter dem Zeitplan liegt. Es beruft sich auf interne Dokumente, die jedoch älter sind – womöglich hat sich der Verzug mittlerweile erhöht. Auch die Gesamtkosten, noch mit 20 Milliarden Euro angegeben, dürften deutlich höher sein.

Konkurrenz in Nordamerika und Großbritannien

Konkrete Zahlen muss nun der neue Generaldirektor Pietro Barabaschi liefern. Fraglich, wie die 33 Länder darauf reagieren, die derzeit an Iter beteiligt sind: die Staaten der EU, China, Indien, Südkorea, Japan, Russland sowie die USA. Denn die Konkurrenz wächst. Vor allem in Nordamerika und Großbritannien gibt es etliche Fusionsprojekte, die viel Risikokapital gesammelt haben und Fortschritte machen. Sie könnten Iter, das mit den typischen Organisationsproblemen eines multinationalen Großvorhabens zu kämpfen hat, eines Tages überholen.

Die Innenwände der Kammer dieses Fusionsreaktors im Vereinigten Königreich ist wie Iter mit speziellen Metallplatten ausgekleidet.
Die Innenwände der Kammer dieses Fusionsreaktors im Vereinigten Königreich ist wie Iter mit speziellen Metallplatten ausgekleidet.

© imago images/ZUMA Wire/CEA-IRFM/EUROfusion via www.imago-images.de

Das Projekt zu stoppen oder neu zu starten, ist nach Ansicht von Sibylle Günter keine Option. „Iter ist unverzichtbar auf unserem Weg zu einem Fusionskraftwerk“, sagt die Wissenschaftliche Direktorin des IPP in Garching, das zur Iter-Entwicklung beiträgt. Die Anlage befinde sich bereits in einer sehr fortgeschrittenen Bauphase. „Dabei sind technische Probleme aufgetreten, die lösbar sind. Sie werden aber vermutlich zu weiteren Verzögerungen führen.“

Dies würde den bisherigen Plan – Iter zum Laufen bringen und dann Demo bauen – noch weiter strecken. Führende Fusionsexperten, darunter Günter, drängen nun darauf, die Arbeiten an Demo vorzuziehen und zu forcieren. „Mit dieser Abkürzung auf dem Weg zu einem kommerziellen Fusionskraftwerk können wir erreichen, dass die Verzögerungen bei Iter nicht unsere gesamte Roadmap gefährden“, sagt sie.

Kooperation mit Russland wird fortgesetzt

Neben den genannten Problemen gibt es noch die Beteiligung Russlands an dem Vorhaben. Bekanntermaßen wurden viele Forschungskooperationen nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine beendet. Auch Iter-intern wurde darüber diskutiert. Die Verträge sind jedoch so gestaltet, dass einzelne Mitglieder nicht herausgeworfen werden können. Zumal Russland wichtige Bauteile zuliefert, etwa einen 200 Tonnen schweren Ringmagneten. Ein Bruch mit Russland würde das gesamte Projekt zeitlich und finanziell extrem belasten. 

Ähnliche Diskussionen werden um den Teilchenbeschleuniger „Fair“ geführt, der in Darmstadt gebaut wird und wo Russland beteiligt ist. Dort könnten sie zu einem anderen Ergebnis führen. „Die Fair-Konvention als völkerrechtliches Abkommen zwischen den Vertragsstaaten ist rechtlich weiterhin gültig“, teilt die Fair GmbH auf Anfrage mit. Mögliche rechtliche Anknüpfungspunkte für einen Ausschluss würden fortlaufend geprüft. Alle benötigten Komponenten könnten ohne russische Mitwirkung hergestellt werden: „Die stornierten Komponenten werden im Rahmen von Ersatzbeschaffungen vorwiegend in Europa beschafft.“ Technische Abhängigkeit von russischem Knowhow besteht nicht.

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