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Tumorkonferenz am Vivantes

© Vivantes

Deutscher Krebskongress 2014: Gemeinsam gegen den Krebs

In Tumorkonferenzen diskutieren Experten verschiedener Fachgebiete, welche Behandlungsstrategien für ihre Patienten am besten geeignet sind.

Zuerst ist die Frau Anfang 40 dran. Mutter eines Grundschulkindes. Im Sommer wurde bei ihr Brustkrebs festgestellt, sie wurde operiert, begann danach eine Chemotherapie, die nun schon über mehrere Monate läuft, immer wieder von Pausen unterbrochen. Die Nebenwirkungen setzen ihr zu, eine Runde steht noch bevor. „Wir empfehlen, den letzten Behandlungszyklus wegfallen zu lassen und ihr für zehn Jahre eine antihormonelle Therapie zu verordnen“, sagt die junge Klinikärztin. Ihre Kollegen stimmen dem zu.

Die Frau, um die es anschließend geht, ist schon älter, hat bereits einen Tumor in der Lunge überstanden, ist zuckerkrank und bekommt wegen eines Blutpfropfs (Thrombose) auch blutverdünnende Mittel. Kann sie trotzdem eine Strahlentherapie bekommen? Die anwesenden drei Strahlentherapeuten bejahen das.

Interdisziplinäre Tumorkonferenz des Vivantes-Brustzentrums. 25 Fachleute versammeln sich einmal in der Woche hier im Klinikum am Urban rund um einen großen ovalen Tisch. Ärzte aus der Klinik und aus dem ihr angegliederten Medizinischen Versorgungszentrum, niedergelassene Mediziner, Kooperationspartner aus anderen Einrichtungen. Gynäkologische Onkologen, Radiologen, Pathologen, Internisten, Psychologen, Palliativmediziner, Sozialarbeiter. Anlässlich des Deutschen Krebskongresses dürfen ausnahmsweise auch einige Journalisten mit dabei sein.

Netzwerk gegen die Krankheit

Zertifizierte Krebszentren wie dieses sind eine Errungenschaft, auf die die Deutsche Krebsgesellschaft und die Gesundheitspolitik stolz sind. Ein erklärtes Ziel des 2008 gemeinsam verabschiedeten Nationalen Krebsplans ist es, Krebs in geprüften Zentren nach anerkanntem Qualitätsstandard zu behandeln und die Betroffenen umfassend zu betreuen. Ein solches Zentrum bietet nicht unbedingt alles, was ein Erkrankter braucht, unter einem realen Dach, doch alle, die er braucht, müssen sich hier vernetzen. Netzwerke, in denen sich alles um die Behandlung einer Krankheit dreht, bilden die Basis: Etwa zertifizierte Brust-, Darm-, Lungen- oder Prostatakrebs-Zentren. Eine Stufe darüber betreuen onkologische Zentren mehrere Tumorarten, für besondere Forschungs- und Behandlungsaufgaben gibt es Spitzeneinrichtungen, die zwölf Comprehensive Cancer Center.

In der Tumorkonferenz des Brustzentrums geht es heute um lauter Patientinnen, die gerade operiert wurden. Um einen Plan für das weitere Vorgehen, den alle gemeinsam tragen. Denn es gibt, trotz weitgehend festgelegter Behandlungspfade, immer wieder besonders komplizierte Konstellationen und individuelle Besonderheiten, und es gibt nicht zuletzt die Wünsche der Patientinnen. Etwa den der Patientin Mitte 50, die einen besonders großen Tumor hat, eine Entfernung der gesamten Brust und eine Chemotherapie aber strikt ablehnt.

Bei mehreren Patientinnen wird beschlossen, Tumorgewebe für einen Test auf 21 charakteristische genetische Merkmale zu untersuchen. Das Ergebnis hilft bei der Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie. Auch Frauen mit einer familiären Belastung für Brust- und Eierstockkrebs werden vorgestellt. Eine Patientin Mitte 40, deren Mutter und Schwester ebenfalls in jungen Jahren erkrankten, hat erst erfahren, dass sie Trägerin des veränderten BRCA-1-Gens ist, als sie selbst schon einen Knoten in der Brust hatte. Sie wurde humangenetisch beraten, hat viel mit der Psychoonkologin gesprochen. Und sich dafür entschieden, sich beide Brüste entfernen zu lassen, auch die gesunde. Der Name Angelina Jolie fällt. Die Teilnehmer der Tumorkonferenz empfehlen der Patientin, sich möglichst bald auch Eierstöcke und Eileiter entfernen zu lassen.

"Eine zweite Meinung einzuholen, ist durchaus sinnvoll."

Viele Frauen holen sich nach einer Krebsdiagnose an mehreren Stellen Rat. Chefarzt Andree Faridi findet das nicht ehrenrührig: „Eine zweite Meinung einzuholen, ist durchaus sinnvoll.“ In den allermeisten Fällen stimme sie mit der ersten überein. Wie welcher Krebs zu behandeln ist, dafür können Ärzte heute schließlich anhand wissenschaftlich fundierter Leitlinien Empfehlungen geben. Entscheiden müssen letztlich die Patienten selbst, in einem zertifizierten Krebszentrum hat aber jeder von ihnen einen festen ärztlichen Ansprechpartner.

868 solcher Netzwerke, die das Zertifizierungsverfahren Onkozert der Deutschen Krebsgesellschaft durchlaufen haben, gebe es inzwischen, sagt die Gynäkologin Simone Wesselmann, bei der Fachgesellschaft für Zertifizierung zuständig. „Ein Vorteil für die Zentren ist, dass sie ihre Ergebnisse in einem Jahresbericht zu sehen bekommen und dabei erfahren, wo sie im Vergleich mit anderen stehen.“ Bei Brustkrebs geht das gut, denn mehr als 90 Prozent der Erkrankten werden inzwischen in einem zertifizierten Zentrum behandelt. Beim Darmkrebs ist es ein Drittel, beim Lungenkrebs nur ein Viertel. Insgesamt ergibt das aber schon eine stattliche Zahl von Tumorkonferenzen.

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