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Flauschig und süß: Dennoch wurden früher jedes Jahr 45 Millionen männliche Hühnerküken getötet, weil sie keinen Profit abwerfen. Das ist jetzt verboten.

© Kh Tan/Kh Tan

Tierschutzgesetz soll gelockert werden: Wann fühlt das Küken im Ei den Schmerz?

In Deutschland ist das Töten von Küken verboten. Brütereien sortieren männliche Tiere daher bereits im Ei aus. Agrarminister Cem Özdemir will ihnen dafür mehr Zeit geben.

Wenn sich Familien oder Freunde zum Osterfrühstück treffen, können sie ihre Eier mit gutem Gewissen verzehren. Sie können sicher sein, dass für ihr Ei kein männliches Küken sterben musste. Seit dem vergangenen Jahr ist das Töten bereits geschlüpfter Küken in Deutschland per Gesetz verboten. Stattdessen bestimmen die Brütereien mit verschiedenen technischen Methoden das Geschlecht der Embryos bereits im Ei. Männliche Embryos werden aussortiert, die Eier werden als Tierfutter verwertet. Denn die männlichen Nachkommen der Legehennen legen naturgemäß keine Eier, sind aber auch als Fleischlieferanten nicht rentabel, weil sie deutlich langsamer wachsen und weniger Fleisch ansetzen als Masthähnchen.

Doch bis man das Geschlecht sicher bestimmen kann, vergehen meist acht oder neun Tage. Das Tierschutzgesetz schreibt aber vor, dass ab 2024 die Geschlechtsbestimmung bis zum siebten Tag erfolgen muss. Da die Embryos bereits dann Schmerz empfänden, sei eine spätere Tötung mit dem Tierschutz nicht zu vereinbaren, hatte die schwarz-rote Koalition bei der Verabschiedung des Gesetzes 2021 beschlossen. Doch Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) will den Brütereien nun mehr Zeit geben. „Die Geschlechtsbestimmung soll nicht ab Bebrütungstag sieben, sondern ab Bebrütungstag 13 verboten sein“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums dem Tagesspiegel. Das Ministerium will eine entsprechende Änderung des Tierschutzgesetzes auf den Weg bringen.

Bis zum 12. Tag keine Schmerzen

Hintergrund der geplanten Lockerung sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine aktuelle Studie verschiedener Fachrichtungen der Technischen Universität München hat ergeben, dass Hühnerembryos bis einschließlich des zwölften Tags „keine Schmerzen empfinden können“. Ab Tag dreizehn könne ein Schmerzempfinden „nicht mehr ausgeschlossen werden“, haben die Forscher herausgefunden. „Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse grenzen den Zeitraum für das Schmerzempfinden deutlich ein“, sagt die agrarpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Susanne Mittag. „Es ist gut, dass wir damit eine wissenschaftliche Grundlage für eine rechtliche Anpassung haben und noch ausreichend Zeit, diese umzusetzen“. Ohne die Lockerung des Tierschutzgesetzes hätten die Brütereien ab 2024 praktisch alle Eier ausbrüten lassen müssen.

45
Millionen Küken wurden vor dem Verbot jedes Jahr getötet

Dass sich die Regierung Zeit lassen kann, sieht die Branche anders. Die Bundesregierung müsse unverzüglich den Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes vorlegen, fordert Henner Schönecke, Vorsitzender des Bundesverbands Ei. Spätestens im Juni müsse der Bundestag das Gesetz beschließen, weil die Legehennenhalter bereits ab Mai oder Juni neue Junghennen bestellen müssen. Und es müsse sichergestellt sein, dass die dann bestellten Tiere nach einem zulässigen Verfahren auf die Welt gekommen sind.

Deutschland ist Vorreiter

Mit dem Verbot des Kükentötens hatte die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) Neuland betreten. Deutschland war europaweit Vorreiter, in den meisten europäischen Ländern ist das Töten der Eintagsküken nach wie vor erlaubt. Vor dem Verbot hatten hierzulande im Jahr 45 Millionen männliche Küken ihr Leben verloren, weil ihre Aufzucht nicht profitabel ist. Die Eintagsküken landeten im Schredder, wurden vergast oder an Zootiere verfüttert.

Die deutsche Geflügelwirtschaft hält das nationale Verbot des Kükentötens für einen Irrweg. Statt in Deutschland würden die Küken nun überwiegend im Ausland ausgebrütet, Legehennen würden importiert, vor allem aus den Niederlanden, wo das Kükentüten weiterhin zulässig ist. „Wenn die ausgebrüteten Küken nun einen kilometerweiten Transportweg aus dem Ausland über sich ergehen lassen müssen, während die Bruderhähne andernorts geschlachtet werden, kann von Tierwohl keine Rede sein“, kritisiert Schönecke. In Deutschland ist die Zahl der Brütereien seit März 2021 von 19 auf zwölf gesunken. Foodwatch vermutet zudem, dass in Deutschland geschlüpfte Küken ins Ausland gebracht und dort getötet werden.

Auswahl: Männliche Küken wurden früher aussortiert.

© imago/Forum/imago stock&people

Das sind die Alternativen

Seitdem das Verbot in Kraft ist, gibt es nur drei legale Alternativen: die Geschlechtsbestimmung im Ei und die Aufzucht der Bruderküken, die meist mit einem Aufschlag auf den Eierpreis finanziert wird. Allerdings enden auch die Bruderhähne meist früher als später im Schlachthof. Die dritte Variante ist der Umstieg auf die vor allem in der Öko-Landwirtschaft beliebten Zweinutzungshühner. Das sind Allrounder, die sowohl für die Eier- als auch die Fleischproduktion eingesetzt werden können. Verglichen mit den Turbo-Legehennen, die 302 Eier im Jahr legen, oder den Masthähnchen, liefern sie aber weniger Eier und auch weniger Fleisch.

Tierschützer kritisieren Qualzucht

Tierschützer halten das Zweinutzungshuhn für den besten Weg. „Alle anderen Alternativen stellen den wirtschaftlichen Nutzen über den Tierschutz und verstoßen somit gegen das im Grundgesetz verankerte Staatsziel Tierschutz“, kritisiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Die Tierschutzorganisation Pro Vieh prangert das Leid der Legehennen an, die während ihres kurzen Lebens von rund 18 Monaten wegen Kalkmangels oft unter Knochenbrüchen, Brustbeinveränderungen und schmerzhaften Entzündungen der Legeorgane litten. Wenn nun die Geschlechtsbestimmung noch später möglich sein soll als ursprünglich geplant, werde die Qualzucht der Legehennen zementiert, sagen die Tierschützer.

Cem Özdemir geht einen anderen Weg. Er setzt sich gemeinsam mit Frankreich auf EU-Ebene für ein europaweites Verbot des Kükentötens ein. Brüssel habe zugesagt, einen Legislativvorschlag zur EU-weiten Beendigung der Praxis vorzulegen, teilte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage mit.

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