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Ob man es Hähnchen oder Broiler nennt, Geflügel ist bei den Bundesbürgern sehr beliebt.

© Karl-Josef Hildenbrand/picture alliance / dpa

Forderung nach verpflichtender Kennzeichnung: „Restaurantbesucher sollen wissen, woher ihr Geflügel kommt“

Verbandschef Ripke weist Kritik an der Tierhaltung zurück. Seit Jahresanfang ist das Kükentöten verboten. Die Kosten sind gestiegen, die Eierpreise nicht.

Während die Lust der Bundesbürger auf Fleisch generell abnimmt, ist es in einem Bereich anders: Der Appetit auf Hähnchenfleisch wächst. Die Geflügelbranche hat jedoch unter Tierschützern nicht den besten Ruf. Sowohl die Haltung der Legehennen als auch die Mast der Hähnchen in übervollen Ställen hat nichts mit Tierwohl zu tun, lautet die Kritik. Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft, weist das zurück. Er sagt: Nirgendwo sind die Standards höher als in Deutschland. Deshalb fordert der Verband eine Herkunftskennzeichnung für Geflügelfleisch nicht nur im Handel, sondern auch in der Gastronomie.

Herr Ripke, Sie setzen sich dafür ein, dass Restaurant- und Kantinenbesucher erfahren sollen, woher die Hühnerbrust oder die Putenkeule kommt. Warum?
Wir haben Verbraucher gefragt, und 78 Prozent haben gesagt, dass sie sich eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie wünschen. Der Trend zur Regionalität ist ungebrochen. Aber ohne Herkunftskennzeichnung geht das nicht.

Ist die Herkunft aus Deutschland wirklich ein gutes Verkaufsargument? Ihre Branche hat sich in der Vergangenheit ja nicht gerade durch Tierwohl ausgezeichnet. Die meisten Masthähnchen leben noch heute in Bodenhaltung und haben am Ende der Mast überhaupt keinen Platz mehr, sich zu bewegen.

Einspruch. Im weltweiten Vergleich sind die deutschen Haltungskriterien zusammen mit Österreich und der Schweiz die strengsten.

Friedrich-Otto Ripke war früher Staatssekretär im Niedersächsischen Agrarministerium und ist jetzt Präsident des Geflügelverbands. Er hält auf seinem Hof 60 Legehennen.

© promo

Weil es woanders noch schlimmer ist?
Nein, in den vergangenen Jahren hat sich eine Menge getan. Wir sind beim Tierwohl weiter als unsere EU-Nachbarn. Wir mästen Hähnchen mit 35 kg/m² Besatzdichte zum Zeitpunkt der Ausstallung. In der EU sind noch 42 kg/m² erlaubt. Seit vielen Jahren gibt es bei uns keine Käfighaltung mehr für Legehennen, in der EU wird der Käfig erst 2027 verboten. In Polen stehen 80 Prozent der Legehennen im Käfig. Die Schnäbel werden bei uns nicht mehr gekürzt, und wir sind die ersten auf der Welt, die aus dem Kükentöten ausgestiegen sind. Die Lebensmittelsicherheit ist bei uns höher als im Ausland. Es ist für den CO²- Fußabdruck und damit für Nachhaltigkeit und Klimaschutz gut, Ware aus Deutschland zu kaufen. Und außerdem wollen die Verbraucher deutsches Geflügel. Der Konsum steigt. Jeder Bundesbürger verbraucht im Schnitt 22,3 Kilogramm Geflügelfleisch im Jahr, vor fünf Jahren waren es noch neunzehn.  Wir produzieren gesundes, preiswertes Eiweiß. Ich möchte daher eine kombinierte Haltungs- und Herkunftskennzeichnung.

Wo bleibt das Tierwohl, wenn man ein Kilo Hähnchenschenkel für 2,50 Euro bekommt? Oder ist das dann kein deutsches Hähnchen?
Das müssen Sie den Lebensmittelhandel fragen.

Soll die Herkunftskennzeichnung verhindern, dass billigere Importware Ihre Produkte verdrängt?
Ja, weil unsere Ware höherwertig ist, sowohl was Tierwohl als auch Lebensmittelsicherheit angeht. Das hat seinen Preis. Es kann doch nicht sein, dass billige Importware unsere Produkte verdrängt. Aber das ist kein reines Einzelhandelsthema. Im Geflügelbereich gehen mehr als 50 Prozent des Fleisches über Kantinen, Mensen, Imbisse oder Restaurants an die Kunden. Es ist doch nicht mehr zeitgemäß, wenn ich im Restaurant nicht weiß, woher das Geflügel kommt.

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Aber das ist ja bei Schweinen und Rindern nicht anders. Warum bilden ausgerechnet Sie die Speerspitze der Bewegung?
Wir möchten, dass sich etwas bewegt. Die Borchert-Nutztierkommission hat Vorschläge für eine bessere Tierhaltung und für die Finanzierung gemacht, vom Schwein über das Geflügel bis zur Milch. Seitdem ist aber nichts passiert. Unsere Tierhalter sind völlig verunsichert. Agrarminister Cem Özdemir spricht nur von einer Haltungs-, aber nicht von einer Herkunftskennzeichnung. Aber wir brauchen beides. Die Politik muss die deutsche Nutztierhaltung sichern. Dazu gehören ein sicherer Absatz und eine langfristig sichere Finanzierung!

Viele Legehennen unter einem Dach: Verglichen mit dem Rest der Welt sind die deutschen Vorschriften aber streng, sagt Ripke.

© dpa/Karl-Joseph Hildenbrand

Im Handel gibt es eine vierstufige Skala für die Tierhaltung: Stufe eins ist gerade mal der gesetzliche Mindeststandard, vier ist Bio. In welche Kategorie fällt der Großteil des deutschen Puten- oder Hähnchenfleisches?
Wir haben praktisch nichts mehr in Stufe eins, 85 bis 90 Prozent des Geflügelfleisches sind Stufe zwei oder besser.

Und die Stufen drei und vier?
Machen vier Prozent aus. Bei den Eiern haben wir seit 25 Jahren das Kat-System, das heißt, Sie können ablesen, aus welchem Land, von welchem Betrieb und welcher Haltungsform das Ei kommt. Das kann doch auch ein Vorbild für das Fleisch sein.

Was ist mit Nudeln oder Keksen? Da erfahre ich ja auch nicht, woher die Eier darin kommen.
Ja, und auch das muss sich ändern. Umso mehr, als das Kükentöten seit diesem Jahr in Deutschland verboten ist. Die meisten Eier in verarbeiteten Produkten werden importiert, weil sie im Ausland billiger sind.

Als das Gesetz zum Verbot des Kükentötens kam, haben Sie davor gewarnt, dass deutsche Brütereien nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Haben sich Ihre Sorgen bewahrheitet?
Leider ja. Kleine Brütereien haben aufgegeben, kleine Legehennenhalter auch, viele werden das noch tun. Wenn Sie 3000 Legehennen halten, können Sie nicht für Junghennen, die Sie alle zwei Jahre auswechseln müssen, den doppelten Preis zahlen. Das gibt der Eierpreis nicht her. Wir hätten eine europäische Lösung gebraucht. Stattdessen ist Deutschland vorgeprescht. Jetzt werden die Junghennen teilweise bei EU-Nachbarn, etwa in Holland bestellt. Und die Bruderhähne, die bei uns nun aufgezogen werden müssen, werden in diesen Ländern getötet. Wir haben bei der Bruderhahnmast allerdings auch erhebliche Probleme.

Auch Männchen dürfen leben: Seit das Kükentöten verboten ist, werden Eier mit männlichen Küken entweder gar nicht ausgebrütet oder die Bruderhähne werden aufgezogen.

© dpa/Jens Büttner

Wie sehen die aus?
Wir haben nicht genug Ställe. Wir haben zwar rund sechs Millionen Mastplätze für die Bruderhähne geschaffen, aber genauso viele Tiere stehen in Osteuropa. Und wir von Kat müssen jetzt kontrollieren, wie die Mastbedingungen dort sind. Außerdem wollen aktuell nur wenige Verbraucher das Bruderhahnfleisch. Es ist dunkel und faserig. Das Gesetz war ein Schnellschuss, dem es bis heute an Praktikabilität fehlt. Derzeit können gerade einmal rund sechs Millionen Eier im Jahr selektiert werden, um die Männchen im Ei auszusortieren. Wir brauchen aber mehr als das Doppelte.

Wie viele Betriebe sind gefährdet?
Von 54000 befragten Betrieben haben bei der letzten offiziellen Landwirtschaftszählung 41 Prozent der Betriebsleiter gesagt, dass sie keinen Nachfolger haben. Die meisten kommen aus kleinen Nutztier-Betrieben.

Warum ist das so?
Der Ausstieg aus dem Kükentöten erhöht die Kosten pro Ei um zwei Cent, höhere Energie- und Futterkosten machen weitere zwei Cent aus. Die Kosten pro Ei haben sich um vier Cent erhöht, aber der Lebensmitteleinzelhandel zahlt nach wie vor den Mehrpreis nicht. Vor allem kleine Erzeuger können damit kein Geld mehr verdienen. Übrigens gibt es auch noch an anderer Stelle Kollateralschäden: Viele Zoos müssen ihre Futterküken jetzt in Spanien kaufen.

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In der Geflügelhaltung gibt es Tierfabriken mit Hunderttausenden Tieren. Müssen die dicht machen, wenn Cem Özdemir Ernst macht und die Tierhaltung daran knüpft, dass die Betreiber ausreichend Land haben, um die Tiere zu ernähren und den Kot zu entsorgen?

In Russland, China und Südamerika gibt es solche Fabriken, bei uns nicht.

Die  Deutsche Frühstücksei GmbH hat geschätzt allein 16 Millionen Legehennen.
Die Zahl ist völlig übertrieben und liegt korrekt bei unter fünf Millionen. Die Leghennen stehen auch nicht alle im selben Betrieb, sondern auf vielen Farmen in vielen Ställen. Das wäre sonst nicht mit deutschem Raumordnungsrecht vereinbar. Wir haben keine Riesentierfabriken in Deutschland. Wir können uns bei Eiern doch schon gar nicht mehr selbst versorgen. 30 Prozent der Schaleneier müssen wir im Ausland zukaufen, meistens aus Holland oder aus Polen. Ernährungssicherung und Tierwohl müssen hier dringend unter einen Hut gebracht werden.

Wie soll das gehen?
Je höher die Haltungsstufe, desto weniger Tiere sind auf der Stallfläche. Für die Verbraucher heißt das natürlich höhere Preise. Aber einen Betrieb, der seit Jahrzehnten besteht, wird man nicht auflösen. Das geht rechtlich gar nicht. Was für die Zukunft und für mehr Tierwohl wichtig ist: Wir müssen den Zielkonflikt mit dem Baurecht auflösen. Wer seinen Stall umbauen will, braucht eine Genehmigung. Das dauert Jahre und verhindert schnelle Lösungen für tierwohlfreundlichere Ställe. Das muss sich ändern. Wir müssen Landwirten den Umbau erlauben, wenn sie das nach fest definierten, staatlichen Haltungskriterien tun wollen. Dazu brauchen wir Öffnungsklauseln, die den Baubehörden die Arbeit erleichtern. Das muss aber schnell passieren.

Eier aus Freilandhaltung könnten wegen der Vogelgrippe knapp werden.

© imago stock&people/Strussfoto

Was ist mit der Vogelgrippe? Jetzt kommen Gänse und Kraniche zurück. Wie groß ist die Gefahr?
Die Seuche hat nur noch wenig mit den Zugvögeln zu tun. Unsere heimischen Wildvögel haben das Vogelpestvirus in sich - ganzjährig. Die Geflügelpest wird wohl leider endemisch.

Was heißt das praktisch?
Wir brauchen einen Impfstoff gegen die Geflügelpest und zwar einen neuen Markerimpfstoff, der erlaubt, geimpfte von erkrankten Tieren zu unterscheiden. Das wird aber wohl Jahre dauern. Es gibt 140 Subtypen bei der Vogelgrippe.

Rechnen Sie damit, dass Freilandeier zu Ostern knapp werden könnten?
So lange wir keinen Impfstoff haben, bleibt nur die Quarantäne. Das betrifft die Freilandhennen, die in den Stall müssen, wenn in der Region die Vogelgrippe ausbricht. Es ist gut, dass immer mehr Legehennen in Freilandhaltung leben, aber wenn Freilandhennen länger als 16 Wochen in den Stall müssen, dürfen ihre Eier nur noch als Eier aus Bodenhaltung vermarktet werden. Das bremst natürlich die Entwicklung hin zur Freilandhaltung. Und ja, es kann sein, dass das eine oder andere Regal zwar voll mit Boden- oder Bioeiern ist, aber Freilandhaltungseier fehlen. Im Biobereich ist es so, dass die Biohennen  ein Drittel ihrer Lebenszeit draußen sein müssen. Das ist flexibler. Wir hätten das gern auch für die Freiland-Haltung und wollen, dass die EU-Vermarktungsnorm entsprechend geändert wird.

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