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Robin Gosens ist frustriert vom Verhalten einiger Fans in den Sozialen Medien.

© Imago/Picture Point LE

Unions Robin Gosens über Hass im Netz: „Der Neid frisst die Menschen förmlich auf“

Bei LinkedIn berichtet der Fußball-Nationalspieler von Hasskommentaren gegen sich. Er sieht darin ein gesellschaftliches Problem. Tatsächlich sind die Studien hierzu gerade im Profisport alarmierend.

Am vergangenen Wochenende verließ Robin Gosens nach eigenen Angaben „freudestrahlend“ das Stadion an der Alten Försterei. Der Außenverteidiger des 1. FC Union hatte mit seiner Mannschaft gerade einen 1:0-Sieg gegen Wolfsburg erkämpft, und damit drei wichtige Punkte im Abstiegskampf eingefahren. Ein gelungener Samstag also, der anschließend für ihn aber noch eine weniger schöne Fortsetzung haben sollte.

Wie Gosens am Freitag in einem ausführlichen Post auf der Plattform LinkedIn berichtete, habe er beim Verlassen des Stadions noch einige Fotos mit den dort versammelten Fans gemacht. Einer der Anhänger sei ihm bekannt vorgekommen, doch erst später realisierte er, warum. Derselbe Mensch, schrieb der deutsche Nationalspieler, hätte ihm und seiner Familie nur ein paar Tage zuvor in den sozialen Medien noch den Tod gewünscht.

„Ich weiß das so genau, weil ich oft auf die Profile der Menschen gehe, die mir sowas schreiben. Und da das Mainz-Spiel sehr frisch war, ist mir sein Profil in Erinnerung geblieben“, schrieb der 29-Jährige. „Wie ist es möglich, dass Personen der Öffentlichkeit mittlerweile als Ventil für den Frust von unzufriedenen Menschen herhalten müssen?“

Gosens selbst sieht darin einen Neidreflex: „Unsere Gesellschaft bewegt sich gerade in die Richtung, dass der Neid der Menschen sie förmlich auffrisst ... Die Folge ist Hass. Viel zu viel Hass“, schrieb er. Es gehe ihm auch um das „tägliche Miteinander. Es geht darum, dass ich den Typen in der Bahn antippe und ihm sage, dass ich sein Outfit toll finde, statt mich abzuwenden und neidisch darauf zu sein, dass ich es mir nicht leisten kann.“

Es geht darum, dass ich den Typen in der Bahn antippe und ihm sage, dass ich sein Outfit toll finde, statt mich abzuwenden und neidisch darauf zu sein, dass ich es mir nicht leisten kann.

Robin Gosens über Neid in der Gesellschaft

Dabei unterstreicht Gosens mit seinem offenen Statement ein Problem, das viel tiefer greift und bei dem es um deutlich mehr geht als nur Neid und tolle Outfits. Ein Problem, das im globalen Profi-Sport fast schon zur Gewohnheit geworden ist, und oft auch Hand in Hand mit Rassismus, Misogynie und Homophobie geht.

Das sehen sie auch bei Gosens Klub so. „Hass im Netz gegen Fußballer reiht sich ein in das grundsätzliche Problem von Hass im Netz. Die Anonymität verleitet offenbar immer wieder Menschen dazu, sich auf eine Weise zu äußern, die sie sich im realen Leben nicht trauen würden“, sagte Unions Kommunikationschef Christian Arbeit dem Tagesspiegel und fügte hinzu: „Wir arbeiten für unsere Vereinsaccounts mit einer technischen Lösung, die unter anderem Hasskommentare erkennt und löscht. Aber komplett verhindern kann man sie wohl nur, indem man gar keine Social Media-Accounts betreibt. Es gibt tatsächlich auch Spieler, die das so machen.“

Heutzutage sind fast alle Athleten Hass im Netz ausgesetzt, oft auch von den eigenen Fans. Da sind die englischen Nationalspieler Bukayo Saka, Marcus Rashford und Jadon Sancho, die nach dem EM-Finale 2021 massiv rassistisch beleidigt wurden, weil sie im Elfmeterschießen nicht trafen. Oder die Stabhochspringerinnen Nina Kennedy und Katie Moon, die 2023 im Netz beschimpft wurden, weil sie ihre Goldmedaillen bei der Leichtathletik-WM geteilt hatten. Oder der Bayern-Verteidiger Dayot Upamecano, der nach seiner Roten Karte am vergangenen Mittwoch von rassistischen Kommentaren im Netz berichtete.

Oft richtet sich der Hass gegen Frauen und Minderheiten

Auch die großen Berliner Sportvereine kennen das Problem. Vor drei Jahren schaltete der damalige Hertha-Profi Maximilian Mittelstädt seinen Instagram-Account wegen „Beleidigungen unter Gürtellinie“ ab. Erst vor einigen Monaten musste Union seinen Mittelfeldspieler Brenden Aaronson in Schutz nehmen, weil er auf Twitter von Fans seines ehemaligen Vereins Leeds United angegriffen wurde.

Oft richtet sich der Hass auch gegen Frauen und Minderheiten. Eine Studie des Weltverbands Fifa zeigt, dass bei der letzten WM-Endrunde der Frauen in Australien und Neuseeland ein Fünftel aller Spielerinnen von Hassposts und Beleidigungen im Netz betroffen waren. Etwa die Hälfte der Angriffe sei homophober, sexueller oder sexistischer Natur gewesen, die Frauen hätten auch prozentual mehr einstecken müssen als ihre männlichen Kollegen bei der WM 2022. Eine ähnliche Studie des Leichtathletikweltverbands World Athletics ergab, dass rassistische Hetze ein Drittel aller Online-Attacken gegen Sportler während der WM in Budapest ausmachte, deutlich mehr als im Jahr zuvor.

Bukayo Saka verschoss im EM-Finale 2021 gegen Italien einen Elfmeter und wurde anschließend rassistisch beleidigt.
Bukayo Saka verschoss im EM-Finale 2021 gegen Italien einen Elfmeter und wurde anschließend rassistisch beleidigt.

© AFP/Paul Ellies/Pool

Mit solchen Studien hoffen die Verbände, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und ihre Athleten damit besser in Schutz nehmen zu können. Zunehmend versuchen sie, den Hass nicht nur zu dokumentieren, sondern auch aktiv zu bekämpfen. Die Fifa-Studien basierten etwa auf einer Initiative, die zur Männer-WM 2022 ins Leben gerufen wurde, bei der sich Fußballer einer vom Verband beauftragten Moderation ihrer Social-Kanäle unterstellen können, um solche Inhalte herauszufiltern.

Sowohl nach der Männer- als auch nach der Frauen-WM war die Fifa bemüht, den Erfolg dieser Initiative zu betonen. Doch in Wirklichkeit sind die Möglichkeiten der Verbände begrenzt. Nicht alle Plattformen sind mit allen Moderations-Tools kompatibel, sodass die Verbände oft – und ähnlich wie der Gesetzgeber – auf die Kooperationsbereitschaft des jeweiligen Social-Media-Unternehmens angewiesen ist.

Letztlich ist das Problem kein rein sportliches mehr, sondern auch ein gesellschaftliches. Am Freitag, fast zeitgleich zu Gosens Post auf LinkedIn, stellte Bundesfamilienministerin Lisa Paus eine unabhängige Studie über Hass im Netz vor. Auch hier gab es erschreckende Erkenntnisse: Fast jede zweite Person in Deutschland sei schon einmal online beleidigt worden. Besonders häufig betroffen seien Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund, junge Frauen und Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung. „Hass im Netz ist allgegenwärtig“, sagte die Ministerin.

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