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Rassie Erasmus nahm als Spieler 1999 an der WM teil, 2019 führte er die Springboks als Cheftrainer zum Titel.

© REUTERS/LORRAINE O'SULLIVAN

Finale der Rugby-WM: Rassie Erasmus ist Südafrikas Strippenzieher

Mit seinen Taktik-Innovationen hat Rassie Erasmus Südafrika zum besten Team der Welt gemacht. Am Sonnabend will er den WM-Titel in Paris verteidigen.

Als John „Rassie“ Erasmus das letzte Mal in einem WM-Finale stand, war er gerade dabei, die Rugby-Welt zu spalten. Mit einer mutigen Idee stellte der damalige Nationaltrainer Südafrikas vor vier Jahren lange geltende Weisheiten der Sportart auf den Kopf und führte seine Mannschaft damit zum Titel. Der martialische Name dieses Geniestreichs? „Bomb Squad”. Das Bombenkommando.

Das Prinzip war einfach. Mit dem „Bomb Squad” gestaltete Erasmus seine Ersatzbank ungewohnt offensiv, mit sechs kräftigen „Forwards” und nur zwei dynamischen „Backs”. Damit konnte Südafrika zu einem bestimmten Zeitpunkt fast die komplette vordere Linie austauschen, um den Gegner in der Schlussphase des Spiels physisch zu überwältigen. Eine riskante Taktik, die in den vergangenen Jahren aber immer mehr Nachahmer gefunden hat. Eine Taktik, die gleichermaßen genial und umstritten ist.

So ist eben Rassie Erasmus. Einerseits gilt der Südafrikaner als Exzentriker, der vielleicht mehr als jeder andere im Rugby-Union-Kosmos spaltet und gerade außerhalb Südafrikas nicht besonders beliebt ist. Andererseits ist er ein taktisches Genie, ein Innovator, der sich im Finale gegen Neuseeland am Sonnabend (21 Uhr/ProSiebenMaxx) unsterblich machen könnte.

Nationaltrainer ist Erasmus mittlerweile nicht mehr, doch als Director of Rugby ist nach wie vor der Strippenzieher bei der südafrikanischen Nationalmannschaft. Schon seit Jahren gilt der 50-Jährige als Pionier, der die Entwicklungsarbeit im Verband mit revolutioniert und mit Siya Kolisi den ersten schwarzen Spieler zum Kapitän der Springboks ernannt hat.

Nicht umsonst wird er in diesen Wochen von den südafrikanischen Fans auf den Rängen besungen. Denn auch, wenn er nicht mehr Trainer ist, ist sein Einfluss immer noch spürbar. Bei der aktuellen WM hat Südafrika seine Auswechsel-Taktik noch weiter verfeinert, und teilweise sogar mit sieben Forwards auf der Bank gespielt.

Erasmus war wegen Schiedsrichter-Kritik zwei Monate gesperrt

Dafür gibt es auch Kritik. Die zerstörerische Spielweise laufe gegen den „Geist des Rugby-Spiels”, heißt es bei manchen Experten. Doch das dürfte Erasmus und seiner Truppe egal sein. Die „Bomb Squad“ funktioniert, und zwar auch nachweislich gegen Neuseeland. Im Testspiel vor der WM schlugen die Springboks ihren alten Rivalen historisch hoch mit 35:7.

Mit einer ähnlichen Leistung will man nun in Paris Geschichte schreiben. Denn am Sonnabend geht es nicht nur um den William Webb Ellis Cup, sondern auch um neue Rekorde. Sowohl Südafrika als auch Neuseeland wurden bislang dreimal Weltmeister, öfter als jede andere Nation. Mit einem Sieg am Sonnabend wäre Südafrika nicht nur alleiniger Rekordsieger, sondern nach Neuseeland erst die zweite Mannschaft, die einen WM-Titel verteidigen würde.

Das wäre auch der ultimative Triumph für Erasmus, der – bei allem Erfolg – auch eine turbulente Phase hinter sich hat. Der Südafrikaner ist ebenfalls dafür bekannt, dass er sowohl in Interviews als auch in den sozialen Medien gerne gegen Schiedsrichter wettert. In einer Sportart wie Rugby, wo Respekt vor den Offiziellen als hohes Gut angesehen wird, kommt das nicht immer gut an. 2021, als er die Unparteiischen während der Südafrika-Tour der britisch-irischen „Lions”-Auswahl schon wieder heftig attackierte, wurde Erasmus für zwei Monate suspendiert.

„Das war schmerzhaft”, sagte er dem Guardian vor der jetzigen WM. Auch während des Turniers betonte er, dass er Fehler gemacht habe und Respekt vor den Schiedsrichtern nun wieder oberste Priorität besitzt. Und statt zu meckern, hat seine Mannschaft tatsächlich auf dem Platz geliefert. Nun stehen sie und Erasmus schon wieder davor, Historisches zu erreichen.

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