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Gelangweiltes Alpaka in Bellinchen.

© Robert Klages

Zwischenstopp bei den Alpakas: Eine Radtour von Brandenburg nach Polen

Unser Autor dreht eine Tagesrunde durch Polen und wird von Tieren begleitet. Den Kudamm Hohenwutzen lässt er links liegen – um dann doch dort zu enden.

Mit dem Fahrrad von Berlin aus kurz rüber nach Polen? Zeit für lange Überlegungen gibt es nicht, es ist einer der wenigen sonnigen Tage im Februar, Regen wird nicht angekündigt. Ich packe mein Trekkingrad in Berlin in die Bahn und lasse mich über Eberswalde nach Bad Freienwalde bringen. Dort radle ich achtlos vorbei am noch geschlossenen Fontanehaus Richtung Oder. Für die Kultur bin ich heute nicht hier.

In Hohenwutzen fahre ich über die Brücke, unter mir wird die Oder zur Odra. Hohenwutzen heißt auch auf der polnischen Seite Hohenwutzen. Und es gibt den Kudamm. Aber anstatt Rolex-Uhren ist hier auf dem „Polenmarkt“ alles billig, billig, billig – trotz Inflation. Zigaretten, Holz, Getränke, Kamine. „Futtern wie bei Muttern“ steht auf einem Imbiss, es gibt Fleisch.

Zigaretten, billige auf dem „Polenmarkt“ in Hohenwutzen.
Zigaretten, billige auf dem „Polenmarkt“ in Hohenwutzen.

© Robert Klages

Viele Autos tuckern hinter mir, sie tanken in Polen kurz voll und drehen wieder um, zurück nach Deutschland. Ich fahre weiter, habe andere Ziele. Erstmal Straße bis Cedynia. Es folgen Ortschaften mit Viehhaltung, Hunde bellen mich an hinter Hecken und Zäunen. Wie in Brandenburg, denke ich. Ein verlassenes Storchennest als Wahrzeichen auf einem Schornstein im Dorfkern.

Ob Brandenburg oder Polen: der Storch ist zu Hause im Dorfkern.
Ob Brandenburg oder Polen: der Storch ist zu Hause im Dorfkern.

© Robert Klages

Die Kraniche sind unterdessen auf den Feldern, genau wie ich: Die Feldwege Richtung Lukowice sind matschig, beschwerlich. Ich hätte auch die Landstraße nehmen können, aber hier kann ich Kraniche beobachten und hören, wie sie sich zurufen, dass da ein Mensch kommt. Als würden sie sich verständigen, solange im Feld stehen zu bleiben, bis ich angehalten, die Kamera herausgeholt habe und angepirscht gekommen bin – dann fliegen sie lachend davon. Das ist ihr Pläsier. Hier gibt es sonst auch nichts, im Naturschutzgebiet Wzgórze Zwierzyniec.

Und doch einmal mit der Kamera erwischt: Kraniche in Polen.
Und doch einmal mit der Kamera erwischt: Kraniche in Polen.

© Robert Klages

Ruhe, da ist sie. Das, was wir Berliner:innen immer suchen, sobald wir die Stadt verlassen. Keine Autos, nur Kraniche, Wiesen, kalter Sonnenschein und ich. Dann ein Traktor. Der Mann grüßt mürrisch. Ich muss mich durch seine Traktorspuren ackern, einen für diese Gegend ungewöhnlich steilen Anstieg hoch. Ich muss schieben. Egal, erfährt ja niemand, sieht ja keiner. Hätte ich doch besser die Landstraße Richtung Chojna nehmen sollen, wie ich es in der Routenplanung vorhergesehen hatte? Egal.

Ich lasse mich auf einem Baumstamm nieder, verzehre letzten Proviant. Hätte ich auf dem Polenmarkt mal zugeschlagen und die Taschen vollgepackt. Es folgt sandiger Waldboden, wie ihn jede:r Radfahrende hasst. Aber es ist schön hier. Noch ruhiger geht nicht.

Pause in Polen.
Pause in Polen.

© Robert Klages

Ich kämpfe mich durch das Naturschutzgebiet und komme an der Oder raus, in dem polnischen Dorf Piasek. Die Oder hat hier einen Seitenarm. Der Fluss wird ausgebaut, riesige Betonplatten werden von großen Maschinen ins Flussbett gerammt. Viele Umweltorganisationen sagen, das sei nicht gut, Deutschland und Polen streiten sich deswegen.

Die Oder ist schön, fließt ruhig dahin. Die massive Verseuchung sieht man ihr kaum an, aber sie trübt den Blick, macht traurig. Passend dazu findet in Piasek gerade eine Beerdigung statt. Ansonsten hat alles geschlossen. Es gibt zwar nicht viel, was geöffnet haben könnte, aber zumindest in dem kleinen Supermarkt hätte ich gerne Wasser und Proviant erstanden. Es geht ohne weiter, muss ja.

Sind da Rehe, Hirsche, Dinosaurier?

Am Dorfausgang haben sich Jungs in einem Waldstück eine kleine Mountainbikestrecke errichtet, mit Sprungschanze aus Brettern. Ich überlege zu fragen, ob ich auch mal springen darf, aber ich lasse es. Ist besser. Dann bereue ich es. Sowas haben wir früher als Kinder auch gemacht. Ich fahre weiter.

Sind da Rehe? Hirsche sogar? Dinosaurier? Stehen einfach so da auf der Spitze einer Serpentine, die Luft flackert. Langsam und leise steige ich ab, hole vorsichtig die Kamera aus der Tasche, knie mich hin, zoome, erwischt. Die Rehe oder was immer sie sind, springen davon, durch den Wald Richtung Oder. Ich folge ihnen ein Stück und finde einen Aussichtspunkt mit Blick auf den Fluss, der hier einen stillen See bildet. Eine kleine Bank. Wie gerne hätte ich jetzt Proviant dabei. Aber die Idylle wird ohnehin gestört durch Industrie zur Rechten.

Die Alpakas sehen gelangweilt aus

Jetzt mal eine kleine Abfahrt bis kurz vor das Städtchen Bielinek, deutsch: Bellinchen. 210 Einheimische, von denen keine:r zu sehen ist. Ich halte an einem Gehege mit Alpakas. Sie sehen gelangweilt aus, schauen, ob ich Futter für sie habe. Aber ich habe ja nicht einmal Proviant für mich selbst. In Bellinchen kann man campen und Kanu fahren und vieles mehr, im Sommer ist hier sicherlich mehr los.

Aber es ist kein Sommer, sondern Februar und dementsprechend früh dunkel wird es – wie ich mir wieder ins Gedächtnis rufe. Es geht weiter, immer an der Oder entlang, über holprige Straßen, aneinander geflickte Betonstücke. Nicht schön, und die Oder verschwindet hinter einer Düne.

Verschnaufen an der Oder.
Verschnaufen an der Oder.

© Robert Klages

Immerhin ist das Wild wieder da. Die Tiere hoppeln neben mir her. „Wollt ihr mitkommen nach Berlin? Ich zeige euch die Stadt.“ Aber sie verneinen, springen kurz vor mir über den Weg und über die Düne, verschwinden im Oder-Schilf.

Wenig später treffe ich auf eine für diese Jahreszeit in dieser Gegend äußerst selten anzutreffende Spezies: Menschen. Wanderer. Zwei an der Zahl. Aus Berlin, wie sich herausstellt. Sie haben Wasserflaschen und Proviant, aber ich frage nicht danach, soweit bin ich noch nicht. Die beiden haben einst dort gelebt, wo ich heute gestartet bin: Friedrichshain. Aber es war ihnen zu laut, dreckig, städtisch. Sie leben in Bad Freienwalde. Sie erzählen viel, ich muss weiter, es wird bald dunkel. Die Strecke bis Hohenwutzen zieht sich. Dort angekommen auf dem Kudamm trinke ich eine Fanta und eine Flasche Wasser auf Ex, stecke drei weitere ein. Puh, gut. Jetzt was essen? Nein, noch nicht.

In Berlin würde man hier einen Club eröffnen: Leerstehende Gebäude in Hohenwutzen.
In Berlin würde man hier einen Club eröffnen: Leerstehende Gebäude in Hohenwutzen.

© Robert Klages

Als Endpunkt meiner Reise habe ich mir das „Historische Panoramarestaurant Carlsburg“ in Falkenberg ausgesucht, „wo Genuss zum Erlebnis wird“. Die restlichen Kilometer bis dorthin strampele ich profihaft, ohne Blick für die Natur, die Oder, andere Menschen oder das nun geöffnete Fontanehaus.

Die Carlsburg schließt um 18 Uhr, ich trete schneller. Rufe fix an, bitte um Tischreservierung. Eine Stimme lacht mich aus: es sei alles frei. Das Restaurant liegt auf einem Berg, ein letzter Anstieg, der mich die letzten Reserven kostet.

Unterwegs in der polnisch-brandenburgischen Wildnis.
Unterwegs in der polnisch-brandenburgischen Wildnis.

© Robert Klages

Nassgeschwitzt, schnaufend und hungrig trete ich um 17.37 Uhr in das Restaurant, eine Familie an einem Tisch schreckt auf, die einzigen Gäste. Ich bestelle eine Cola, ein Bier und die Empfehlung des Hauses, Entenbrust mit Rotkohl. Man habe übrigens im Sommer länger geöffnet, erklärt mir die Bedienung, aber im Februar lohne es sich nicht. Ich esse so schnell, wie ich die letzten Kilometer gefahren bin. Es schmeckt fantastisch. Die Sonne senkt sich, ihr Schein verschwindet in der Oder und verglüht, Abendrot wirft sich über Falkenberg, Wild, Alpakas, Wanderer.

Der Zug von Falkenberg über Eberswalde nach Berlin fährt stündlich. Wieder Beeilung. Im Hofladen packe ich lokale Spezialitäten (Senf, Marmelade) und Bier ein, „Fontane IPA“ – etwas Kultur muss doch noch sein.

Der Bahnhof von Falkenberg ist so klein und unbeleuchtet, dass ich ihn zunächst nicht finde. Er sieht aus wie ein Wohnhaus, man geht durch den Vorgarten zum Gleis. Ich werfe mein matschiges Fahrrad in die Bahn, öffne das Fontane IPA und ja, schaut ruhig her: ich bin dreckig, angetrunken, verschwitzt und hatte einen echt verdammt guten Tag.

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