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Im Bundestag soll es bald wieder weniger Sitze geben.

© dpa/Kay Nietfeld

Update

Wahlrechtsreform kurz vor dem Ziel: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Ampel-Alleingang

Die Regierungskoalition will ihr Modell in dieser Woche durch den Bundestag bringen. Wie und warum nimmt sie jetzt noch Änderungen vor?

Der Bundestag ist zu groß. Da sind sich alle Fraktionen im Parlament einig. 736 Abgeordnete sind es seit 2021, davor waren es 709. Die „Normalgröße“ ohne Überhang- und Ausgleichsmandate liegt bei 598 Sitzen.

Nach dem aktuellen Wahlrecht sind Größen von 800 Mandaten und einigen Dutzend mehr nicht auszuschließen. Die Ampel-Koalition hat daher im Januar einen Gesetzentwurf vorgelegt, um dies zu verhindern. Am Freitag nun soll im Bundestag abgestimmt werden. Union und Linke werden nicht dafür stimmen.

Der Bundestag sollte nach dem Ur-Entwurf immer 598 Sitze haben, Überhänge werden daher nicht mehr ausgeglichen. Stattdessen werden im Fall von Überhängen (die immer auf einen „Überschuss“ an Direktmandaten in Wahlkreisen zurückgehen), die schwächsten Wahlkreisbesten nicht berücksichtigt.

Was ist Zweitstimmendeckung?

Ihnen fehlt, das ist die wesentliche Neuerung im Ampel-Wahlrecht, die Zweitstimmendeckung. Damit wird der Vorrang dieser Listenstimme noch stärker betont als jetzt. Sie allein ist ausschlaggebend für die Zusammensetzung des Bundestags. Hat eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate als ihr nach den Zweitstimmen zustehen (also Überhänge), sollen nach dem Ampel-Entwurf eben die schwächsten Direktmandate nicht zugeteilt werden - und zwar nach dem Prozentergebnis beiden Erststimmen in den Wahlkreisen. Weil eben nicht alle diese Direktmandate durch genügend Zweitstimmen gedeckt sind.


Welche kurzfristigen Änderungen gibt es?

Doch kurz vor der Abstimmung im Bundestag am kommenden Freitag hat die Koalition noch einen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf eingereicht. Die Wahlrechts-Spezialisten der Ampel - Sebastian Hartmann (SPD), Till Steffen (Grüne) und Konstantin Kuhle (FDP) - erklärten unisono, dass durch zwei Maßnahmen der Gesetzentwurf verbessert werden solle. Die Neuerungen sind nicht unwesentlich.

630
Sitze soll der Bundestag künftig haben.

Statt bei 598 Sitzen soll die feste Größe nun bei 630 Abgeordneten liegen. Und die Grundmandatsklausel wird abgeschafft. Sie macht es seit Jahrzehnten möglich, dass Parteien, die an der Fünfprozenthürde scheitern, dennoch mit ihrem Zweitstimmenanteil im Bundestag vertreten sein können, wenn sie mindestens drei Direktmandate erringen.


Warum nun plötzlich 630 Sitze?

Mit der Einführung der Zweitstimmendeckung und der entsprechenden Nichtzuteilung von Direktmandaten (in der Wahlrechtsdebatte bislang meist Kappung genannt), entsteht ein Problem: Es gibt Wahlkreise ohne direkt gewählte Abgeordnete.

Allerdings können auch unterlegene Kandidaten in diesen Wahlkreisen über die Parteilisten in den Bundestag kommen, insofern sind diese Wahlkreise nicht völlig „verwaist“. Aber es kann auch (wenige) Wahlkreise ganz ohne Abgeordnete geben.


Wie wäre der Effekt?

Mit der Erhöhung der festen Größe auf 630 soll der Effekt abgemildert werden. Es soll demnach weiterhin 299 Wahlkreise geben, aber 331 Listenmandate. Dadurch können mehr Sieger oder Siegerinnen in Wahlkreisen ihr Direktmandat erhalten, es gibt etwas weniger verwaiste Wahlkreise.

Nach vorläufigen Berechnungen hätte es bei der Wahl 2021 nach dem bisherigen Ampel-Plan 35 Wahlkreise ohne Direktmandat gegeben. Nunmehr wären es bei 630 Sitzen nur 24. Und ganz ohne Vertretung blieben nur noch drei statt fünf. Zwei Drittel der Überhänge entfielen 2021 auf die CDU in Baden-Württemberg und die CSU in Bayern. Sie hätten demnach auch am stärksten von dem Schritt profitiert.


Warum wird die Grundmandatsklausel abgeschafft?

Den Ampel-Verantwortlichen war klar, dass die Grundmandatsklausel nicht in ihr neues Wahlsystem passt. Denn die Erststimmen sollen ja keinerlei Einfluss mehr auf die Zusammensetzung des Bundestags haben. Wenn eine Partei nun zwar an der Zugangshürde von fünf Prozent scheitert, aber dennoch über die Wahlkreisergebnisse (eben die drei Direktmandate) in den Bundestag kommt, ist das ein „Systembruch“. Den will die Ampel nun beseitigen.

Das hat Auswirkungen. 2021 wäre die Linke somit nicht in den Bundestag gekommen. Sie lag damals bei 4,9 Prozent der Zweitstimmen, hatte aber drei Wahlkreise in Berlin und Leipzig gewonnen. Alle Direktmandate einer Partei, die unter fünf Prozent bleibt, verfallen nach dem neuen Ampel-Wahlrecht.

Potenziell kann dieser Schritt auch die CSU treffen. Auch für sie gilt die bundesweite Fünfprozenthürde. Die hat sie bisher immer geschafft mit ihrem bayerischen Zweitstimmenergebnis. Aber 2021 war sie mit 5,2 Prozent recht knapp dran. Mehr als drei Direktmandate schafft die CSU bislang locker, vor zwei Jahren lag sie in 45 der 46 Wahlkreise vorn. Bliebe sie unter der Fünfprozentmarke, würden jedoch alle diese Direktmandate verfallen.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels war noch von Wahlkreis- und Hauptstimmen die Rede. Diese Änderung nimmt die Ampel-Koalition in einem Änderungsantrag zum Gesetzentwurf zurück. Es soll nun bei den Begriffen Erst- und Zweitstimme bleiben.

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