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In Israel ist der Wunsch groß, dass die in Gaza verbliebenen Geiseln zurückkehren können.

© REUTERS/CARLOS GARCIA RAWLINS

Verantwortung im Gaza-Drama: Vergesst die Geiseln der Hamas nicht!

Zu Recht wird viel über die humanitäre Lage in Gaza gesprochen. Aber zu dieser Lage gehören auch die israelischen Geiseln. Und es ist an der Hamas, die Gesamtlage zu verbessern.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Die Ungewissheit ist wohl mit das Schlimmste. Mehr als 100 israelische Geiseln sollen noch in der Hand der Hamas sein. Ob sie noch am Leben sind, wie es ihnen geht und unter welchen Umständen sie gefangen gehalten werden, wissen ihre Angehörigen nicht.

Sie, die Angehörigen sind es, die immer wieder darauf aufmerksam machen, was mit ihnen und ihren Liebsten am 7. Oktober 2023 geschah. Wie sie verschleppt wurden, wie vor ihren Augen andere Familienmitglieder getötet oder drangsaliert wurden.

Ein Mann berichtet, wie er sich viele Stunden lang mit seiner kleinen Tochter in einem Loch vor den Terroristen versteckt hat. Seine Frau kam nach über 50 Tagen im Gazastreifen frei, seine Schwester ist noch immer in der Gewalt der Hamas.  

Es sind erschütternde Berichte. Die Angehörigen appellieren damit an die politischen Verantwortlichen, in Israel und weltweit, sich für die Freilassung der Geiseln einzusetzen. Es ist auch ein Kampf um den öffentlichen Diskurs, den sie führen.

In der internationalen Debatte gerät das Leid der Gefangenen zunehmend aus dem Blick. Je prekärer die Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza, desto mehr wird über die Verantwortung der israelischen Regierung diskutiert und desto seltener über die Hamas. Und noch viel seltener über das Schicksal der Geiseln.

Ihre Rolle kommt viel zu kurz, wenn etwa der amerikanische Präsident den israelischen Premierminister öffentlich für das Leid der Menschen in Gaza kritisiert. Auch in vielen anderen Protestnoten weltweit spielen die Menschen in den Tunneln der Hamas allenfalls noch in einem Nebensatz eine Rolle. 

Selbst in Israel gibt es Hardliner, die zweifeln, ob ihre Befreiung oberste Priorität haben sollte. Das Hauptziel der Regierung ist es, die Hamas zu zerschlagen. Und mit jedem Tag schwindet ein Stück Zuversicht, dass die Geiseln gerettet werden können. 

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz an diesem Sonntag erst in Jordanien und dann in Israel Gespräche führt, wird es viel um die humanitäre Lage im Gazastreifen gehen, zu Recht.

Die Zivilbevölkerung dort leidet und weiß weder, wohin sie fliehen soll, noch, wo sie Essen, Medizin oder sonstige Hilfe herbekommen soll. Bei all diesen Gesprächen aber dürfen die Geiseln nicht zu kurz kommen. 

Die Hamas könnte am meisten zur Verbesserung der Lage tun

Natürlich ist es notwendig darüber zu reden, wie die humanitäre Lage in Gaza verbessert werden kann. Es ist auch richtig, auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Druck auszuüben, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.

Eine längere Waffenruhe, mehr Hilfen für die Zivilbevölkerung und Gespräche über eine Befriedung des Konflikts sind wichtig. Nur gehört in diese Aufzählung unbedingt die Freilassung der Geiseln dazu. Dieses Faustpfand darf man der Hamas nicht überlassen.

Wenn es nur noch um die Frage geht, was Israel zur Verbesserung der Lage alles tun müsse, wird unterschlagen, was die Hamas tun muss. Der andere, wesentliche Adressat sämtlicher Friedensforderungen wird kaum noch erwähnt.

Dabei hat sie es in der Hand: Mit einer Befreiung der Geiseln könnte sie den Krieg und damit das Leid der palästinensischen Bevölkerung schneller beenden. Nur müsste man sich dafür überhaupt für das Leid der Leute interessieren. Im Wesen einer Terrororganisation liegt das aber nicht.

Die Hamas führt einen Krieg gegen Zivilisten, auch gegen die eigenen.

Viele Angehörige und Geiseln haben sich für Koexistenz eingesetzt

Nicht wenige der Menschen, die von der Hamas so brutal aus ihrem Leben gerissen wurden, haben sich vor dem 7. Oktober für eine friedliche Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt, haben versucht, das Miteinander zu verbessern.

Was die Geiseln und ihre Angehörigen erleben müssen, verändert nicht nur ihr Leben. Es hat sich tief im israelischen Bewusstsein festgesetzt.

Doch selbst im größten Moment der Trauer, Wut und Verzweiflung sagen Angehörige, dass sie an eine friedliche Lösung des Konflikts glauben. Zwingende Voraussetzung ist aber die Freilassung der restlichen Geiseln.

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