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Ein Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos: So könnte es künftig an vielen EU-Außengrenzen aussehen

© imago images/ANE Edition

Streit über Lastenverteilung: Die deutsche Migrationspolitik soll restriktiver werden

Kanzler Scholz spricht nächste Woche mit den Ministerpräsidenten über die Migrationskrise. Der Schlüssel zu deren Bewältigung liegt jedoch auf EU-Ebene.

Der Streit über die finanzielle Lastenteilung, den Bund und Länder nun schon seit Monaten in Bezug auf die Kosten der Flüchtlingsunterbringung austragen, strebt seinem Höhepunkt entgegen. Am kommenden Mittwoch hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ins Kanzleramt geladen, um über die Bewältigung der aktuellen Migrationskrise zu sprechen – aber im Vorfeld signalisieren lassen, dass mehr Geld aus Berlin keine Option ist.

Seit Donnerstag kursiert ein Papier aus dem Kanzleramt, das die bereits vom Bund getragenen Kosten auflistet und sich wie eine klare Absage an die zentrale Forderung der Bundesländer liest. 

Die Länder hatten bereits Mitte März deutlich mehr Geld gefordert. Die Bundesregierung hält dem entgegen, dass Aufnahme, Versorgung und Betreuung Geflüchteter eine „originäre Aufgabe der Länder und Kommunen“ sei und der Zentralstaat sie dabei im vergangenen Jahr mit 15 Milliarden Euro und voraussichtlich etwa 15,6 Milliarden Euro in diesem unterstützt. Das ist eine deutlich größere Unterstützung als im Krisenjahr 2016, als aus dem Bundeshaushalt 11,1 Milliarden Euro überwiesen wurden.

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Die FDP-Innenpolitikerin Ann-Veruschka Jurisch hofft dennoch auf ein Ende der Auseinandersetzung. „Bund und Länder sollten in der Flüchtlingspolitik eng zusammenarbeiten statt sich darüber öffentlich zu streiten – das nutzt nur der AfD“, sagte die liberale Bundestagsabgeordnete dem Tagesspiegel. „Das Problem lässt sich nicht mit Geld aus der Welt schaffen – vor Ort in den Kommunen fehlt es eher an Wohnraum für Flüchtlinge und politisch liegt der Schlüssel zur Begrenzung der irregulären Migration ohnehin auf EU-Ebene.“

Politisch liegt der Schlüssel zur Begrenzung der irregulären Migration ohnehin auf EU-Ebene.

 Ann-Veruschka Jurisch, FDP-Abgeordnete

Tatsächlich dürfte der eigentliche „Flüchtlingsgipfel“ am 8. und 9. Juni in Luxemburg stattfinden, wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beim nächsten EU-Ratstreffen mit ihren Amtskollegen über das künftige europäische Asylsystem verhandelt. Seit vergangener Woche gibt es ein gemeinsames Positionspapier der Bundesregierung.

Es buchstabiert aus, was sich seit dem EU-Gipfel mit Scholz im Februar bereits abgezeichnet hatte: Die europäische Migrationspolitik wird härter, mit dem Ziel, irreguläre Migration zu begrenzen. Unter anderem unterstützt die Bundesregierung die Forderung, Asylverfahren an den Außengrenzen der EU durchzuführen.

Grünen-EU-Politiker fürchtet Aushebelung von Asylverfahren

Das hat weitreichende Folgen, obwohl die Bundesregierung betont, es ginge dabei nur um bestimmte Personengruppen. Die Grenzverfahren sollen laut Innenministerium nur bei Menschen durchgeführt werden, die aus Ländern mit einer „besonders niedrigen Schutzqote“ stammen, Deutschland plädiert für eine 15-prozentige Schutzquote. Länder wie Afghanistan, Iran oder Syrien haben EU-weit höhere Schutzquoten, diese Menschen kämen dann laut Plan der Regierung in reguläre Asylverfahren.

Der Europaabgeordnete Erik Marquardt bezweifelt allerdings, dass das funktionieren kann. „Es ist unehrlich, wenn die Bundesinnenministerin sagt, Menschen aus Syrien oder Afghanistan würden nicht in die Grenzverfahren fallen. In vielen Fällen würde Menschen aus Syrien, die zum Beispiel aus der Türkei fliehen, der Zugang zu Asylverfahren verwehrt.“

Die Bundesregierung will zudem die Liste der sicheren Drittstaaten auf EU-Ebene ausweiten und trägt das Konzept des „ersten Asylstaats“ mit, was bedeutet, dass die EU einen Geflüchteten abweisen kann, wenn er oder sie bereit in einem anderen Land Schutz gefunden hat, und dieser Staat die geflüchtete Person wieder aufnimmt.

Reform könnte zu Transitlagern an EU-Außengrenzen führen

Grenzverfahren bedeuten auch, dass Personen, die an der Grenze ankommen, untergebracht werden müssen. Grünen-Politiker Marquardt befürchtet, dass die Bedingungen in diesen Zentren Ähnlichkeit mit den Internierungslagern zum Beispiel in Ungarn haben könnten, die der dortige Staatschef Viktor Orbán eingeführt hat.

Er drückt es so aus: „Diese Reform kann zur Legalisierung von Orbáns illegalen Haftlagern führen.“ Marquardt glaubt, dass die Ampel-Regierung unterschätze „wie weitreichend die Konsequenzen ihrer angestrebten EU-Asylpolitik sind“.

Die Reaktionen aus der Ampel-Koalition im Bundestag sind deutlich verhaltener, auch, weil die Kommunen seit Monaten unter den Belastungen der Migrationskrise ächzen. Der SPD-Abgeordnete Hakan Demir sagt: „Wenn die Reform gut umgesetzt wird und die Menschenrechte gewahrt werden, könnte es ein Signal an die Menschen sein, nicht über die Fluchtroute nach Europa zu kommen. Wenn die menschenrechtlichen Standards aber nicht eingehalten werden, könnte es negative Folgen für unser Asylsystem haben.“

Die Ministerpräsidenten aber fordern von Scholz genau dieses Signal, irreguläre Migration zu begrenzen. Am kommenden Mittwoch wird er es noch nicht bieten können. In den europäischen Verhandlungen, die idealerweise noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden sollen, unterstützt seine Bundesregierung aber längst einen harten Kurs.

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