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Ricarda Lang, Co-Bundesvorsitzende der Grünen

© Imago/Metodi Popow

Update

Ricarda Langs Brandmauer zur AfD: Wenn sich auf einmal grüne Kommunalpolitiker auf die Seite von Friedrich Merz schlagen

Wann dürfen demokratische Parteien auf kommunaler Ebene mit der AfD stimmen – und wann nicht? Die Debatte darüber ist entgleist. Fünf Lehren daraus.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

| Update:

Jetzt haben die Grünen den Streit über die Brandmauer zur AfD, der zuvor die CDU fast zerrissen hat. Er tobt im Landesverband der Vorsitzenden Ricarda Lang, in Baden-Württemberg.

„Blanken Schwachsinn“ nennt der grüne Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat von Burladingen, Peter Thriemer, Langs Forderung, keinesfalls mit der AfD zu stimmen – selbst wenn es um einen Antrag mit vernünftigem Inhalt geht.

An Lang wäre nun die gleiche Frage zu richten wie zuvor an Friedrich Merz: Hat sie ein Gespür für die Stimmung in ihrer Partei und in der weiteren Bevölkerung? Kann sie Vorsitzende?

Kommunalpolitik folgt keiner Farbenlehre

Nach Tagen der Empörung über Merz, der die kommunale Ebene von der Brandmauer ausnehmen wollte, ist nun Gelegenheit, Bilanz zu ziehen – und Kriterien zu entwickeln, wie die demokratischen Parteien den Widerspruch auflösen: Die Verfassungstreue der AfD weckt Zweifel, das setzt der Kooperation enge Grenzen. Umgekehrt können die anderen nicht allein deshalb gegen ein Vorhaben votieren, weil die AfD dafür stimmt.

Lehre 1: Auf kommunaler Ebene stellt sich die Frage anders als in der Bundes- und Landespolitik. Das betont auch der parteipolitisch neutrale Städte- und Gemeindebund. Man dürfe es dort nicht zum Prinzip machen, anders als die AfD zu stimmen. Typische kommunale Projekte wie Kindergärten, Schulen, Sportstätten, Kanalisation folgen keiner parteipolitischen Farbenlehre. Sie sind nicht rot, schwarz, grün, gelb oder braun. Entscheidend ist, dass sie funktionieren.

Ältere, die auf dem Land aufgewachsen sind, erinnern sich an eine ganz andere „Brandmauer“ in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik: Parteipolitik hatte in Gemeinderäten nichts zu suchen. Man setzte auf Männer und Frauen aus der Mitte der Gemeinschaft, denen man vertraute. Sie kandidierten nicht für Union, SPD oder FDP, sondern als Person oder allenfalls auf einer Liste freier Wähler. Schade, dass dies vorbei ist.

Zwei Drittel der Bürger gegen harte Brandmauer

Lehre 2: Bürgerinnen und Bürger unterstützen eine Aufweichung der Brandmauer in den Gemeinden im Merz’schen Sinne. Laut einer Yougov-Umfrage stimmen zwei Drittel seinem Vorstoß entweder ganz oder „teils, teils“ zu. Zusammen mit den Stimmen grüner Lokalpolitiker, die für einen pragmatischen Ansatz und gegen Langs kategorische Vorgabe argumentieren, rehabilitiert das Merz zu einem gewissen Grad.

Lehre 3: Alle Parteien haben irgendwo irgendwann in Kommunen mit der AfD gegen die demokratische Konkurrenz gestimmt, auch die Linke, die Grünen, die SPD, die FDP. Dies ist kein reines CDU-Problem.

Lehre 4: Kommunalpolitik ist nicht durchweg so unschuldig, wie es die Beispiele Schule, Kindergarten, Sportstätte, Kanalisation suggerieren. Das Kriterium für ein Ja oder ein Nein sollte deshalb nicht sein, ob die AfD dafür stimmt oder der Antrag von ihr kommt, sondern ob die Absicht konstruktiv oder destruktiv und spaltend ist.

Wenn die AfD Stimmung gegen Migration macht oder Hass gegen Andersdenkende schürt, ist das ein klarer Fall für Abgrenzung. Sprich: eine Kampagne gegen ein Flüchtlingsheim, für eine Kürzung der Leistungen an Asylbewerber oder gegen einen Freizeitclub, der dezidiert auch queeren Menschen offen stehen soll. Oder das Mobben von Mitbürgern, die gegen Rechtsextreme protestieren.

Gegen sinnvolle Kooperation im Gemeinderat sollte es hingegen keine Brandmauer geben. Wer würde es schon verstehen, wenn Gemeinderäte vorgehen, wie Lang das verlangt: Wenn die AfD einen Antrag, zum Beispiel, für eine Schulrenovierung vorlegt, sollen die anderen Parteien dagegen stimmen. Wenn eine andere Partei das Gleiche vorschlägt, sollen sie zustimmen. Dieses Vorgehen würde wohl das Unverständnis und den Politikverdruss nur erhöhen –und der AfD mehr Wähler zutreiben.

Lehre 5: Die Gesellschaft sollte eine ergebnisoffene Debatte über die Erfahrungen mit Ausgrenzung und Einbindung von Parteien am rechten wie linken Rand in Deutschland und Europa führen, an deren Loyalität zu Demokratie und Rechtsstaat begründete Zweifel bestehen. Nach der Wende gab es schon mal eine Protestpartei in den neuen Bundesländern, auf die das zutraf: die PDS.

In diesem Fall fiel das Kooperationsverbot bald, die Entzauberung durch Einbindung hat mit der Zeit funktioniert. Heute liegt die Nachfolgepartei, Die Linke, bundesweit unter fünf Prozent, in den östlichen Bundesländern ist sie auf den vierten Platz abgerutscht – Ausnahme Thüringen, wo sie Platz zwei hinter der AfD belegt.

Aufstieg, Absturz, neuer Aufstieg der FPÖ in Österreich

In Österreich hatte die jahrelange Ausgrenzung der FPÖ das Regieren in einer Großen Koalition zur Regel gemacht und die Haider-Partei in den 1990er Jahren immer stärker werden lassen. Jörg Haider regierte zeitweise das Bundesland Kärnten.

Anfang 2000 schloss Wolfgang Schüssel von der bürgerlichen ÖVP eine Koalition auf Bundesebene mit der FPÖ und löste damit scharfe Proteste im Inland und bei den EU-Partnern aus. In den Folgejahren halbierte sich der Zuspruch zur FPÖ. Später spaltete sich die Partei. Inzwischen ist sie erneut erstarkt.

Auch die Erfahrungen mit der Schill-Partei in Hamburg und mit rechten Regierungen in Skandinavien, Italien und Polen sowie die Spanien-Wahl können als Fallbeispiele dienen, wo die Unterschiede und wo die Parallelen zum Umgang mit der AfD liegen.

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