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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

© dpa/Michael Kappeler

Scholz bei Europa-Konferenz: Die fünf zentralen Botschaften des Kanzlers

Ungewöhnlich klar und teils aufgebracht redet Olaf Scholz bei der „Europe 2024“-Konferenz. Dabei zeigt er sich von der Debatte, ob der Ukraine-Krieg eingefroren werden sollte, genervt.

Berlin, Dienstagvormittag: Überpünktlich erscheint Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Eröffnung der zweitägigen „Europe 2024“-Konferenz, zu der Tagesspiegel, „Handelsblatt“, „Wirtschaftswoche“ und „Zeit“ eingeladen haben.

In der ersten Reihe nimmt Scholz Platz, kurz darauf hält er frei eine kurze Rede, stellt sich dann in einem Interview den Fragen der Chefredakteure Christian Tretbar (Tagesspiegel) und Horst von Buttlar („Wirtschaftswoche“). Die fünf zentralen Botschaften des Kanzlers:

1 Klares Signal an Putin

„So eine Art Wiederwahl“ habe sich Putin organisiert, spottet Scholz. Der russische Präsident aber dürfe „nicht damit rechnen, dass in den USA ein Präsident gewählt wird und sofort die Ukraine beerdigt wird“. Scholz also macht klar, dass selbst bei einem Wahlerfolg Donald Trumps die Ukraine weiter militärisch unterstützt wird – in diesem Falle dann eben ohne die USA.

In seiner Sicht auf Putin ist Scholz vollkommen eindeutig. „Er findet, dass Belarus und die Ukraine im Grunde zu Russland gehören“, sagt Scholz: „Es geht ihm um die Erweiterung des russischen Territoriums.“ Gefragt nach der von ihm verweigerten Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern antwortet Scholz, es gehe darum, der Ukraine mehr Munition zur Verfügung zu stellen.

Die Taurus-Debatte, befeuert von zwei der drei Koalitionsparteien, geht Scholz erkennbar auf die Nerven. Es handele sich um eine „peinliche Debatte in Deutschland, die außerhalb Deutschlands niemand versteht“. Sodann listet er auf, was Deutschland alles der Ukraine geliefert hat. „Besonnenheit“, sagt Scholz, „darf nicht als Zögerlichkeit diskreditiert werden.“      

Allein in diesem Bundeshaushalt stelle Deutschland 7 Milliarden Euro für Militärhilfe für die Ukraine bereit, sagt Scholz und nennt daneben die entsprechenden Summen aus Frankreich (3 Milliarden Euro) und Großbritannien (2,9 Milliarden Euro). Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, zumal im Publikum der französische Finanzminister Bruno Le Maire sitzt; er wird später ebenfalls interviewt.

Einen „gerechten und dauerhaften Frieden“ will der Kanzler, „kein russisches Diktat“. Scholz sagt: „Wir unterstützen die Ukraine so lange wie nötig.“ Insgesamt habe allein Deutschland für militärische Hilfen an die Ukraine 28 Milliarden Euro fest eingeplant oder bereitgestellt. „Wie bewahren wir die europäische Friedensordnung vor einem neo-imperialistischen Russland?“, fragt Scholz und beschwört das Friedensprojekt Europa, auch nach innen: „Wir verteidigen unsere europäische Souveränität.“

2 Die „Einfrieren“-Debatte nervt den Kanzler

Die von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich losgetretene Debatte, ob und wie „man“ den Krieg gegen die Ukraine „einfrieren“ kann, nervt Scholz erkennbar. „Die Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten“, sagt der Kanzler.

Zwar verzichtet er, anders als Mützenich, darauf, über eine „Einfrieren“-Option öffentlich zu sinnieren. Aber er weist Mützenichs Erwägungen auch nicht zurück, anders als Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk. „Die Debatte ist peinlich für unser Land“, sagt Scholz.

Der Kanzler wirkt für seine Verhältnisse aufgebracht. Er verweist abermals darauf, Deutschland sei der größte Unterstützer der Ukraine in Europa.

Der SPD-Fraktionschef sei einer der „hervorragenden Unterstützer der Politik, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es nötig ist“. In der Sache aber sieht Scholz derzeit keine Chance, mit Putin zu verhandeln oder über den Status eines eingefrorenen Konflikts für die Ukraine zu reden. Ein „Diktatfrieden“ komme nicht infrage, sagt Scholz.

3 Mehr Europa wagen

Gleich zu Beginn seiner Rede erinnert Scholz an seine Rede in Prag 2022, ruft damit nach mehr Integration in Europa. „Wir brauchen mehr Mehrheitsentscheidungen in Europa“, sagt Scholz, verweist dabei auf die Außen- und Steuerpolitik. Mit einem einmaligen, einstimmigen Beschluss könne die EU qualifizierte Mehrheitsentscheidungen herbeiführen, sagt Scholz – wohl wissend, dass mindestens Ungarn dagegensteht.  

Der Kanzler verweist auf die von ihm vorangetriebene „European Sky Shield“-Initiative, also die gemeinsame Luftverteidigung in Europa, der sich „über 20 Staaten“ angeschlossen hätten. Immer mehr Rüstungsgüter würden gemeinsam beschafft, sagt Scholz.

Mehr Europa will der Kanzler auch in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Es brauche eine Banken- und Kapitalmarktunion. Scholz beklagt, dass etwa deutsche Start-up-Unternehmen in den USA Kapital einsammeln müssten, um hierzulande erfolgreich zu sein. „Tesla hat ewig keine Gewinne gemacht“, ruft der Kanzler in den Saal, will also einfachere „Kapitalsammelprojekte in Europa“, wie er es nennt. Seine Diagnose nämlich: „Der europäische Finanzkapitalismus funktioniert nicht.“  

Microsoft investiere drei Milliarden Euro in Deutschland, sagt Scholz und fordert einen Abbau von Bürokratie in Deutschland und Europa, „da geht nach den Europawahlen sicher noch mehr“. Mit Blick auf die Europawahlen am 9. Juni und die AfD sagt er: „Wir werden Europa nicht denen überlassen, die von Dexit, D-Mark und Deportation reden.“

4 Keine deutschen Atomwaffen

Auch diese Botschaft des Kanzlers, der sonst zu Schachtelsätzen neigt, ist an diesem Dienstag klar: „Deutschland braucht keine eigenen Atomwaffen.“ So antwortet er auf die Frage Christian Tretbars, der Scholz nach den Einlassungen von SPD-Europaspitzenkandidatin Katarina Barley gefragt hatte.

Barley hatte im Tagesspiegel-Interview mit Blick auf eine mögliche Wahl Trumps in den USA die Verlässlichkeit des US-Atomwaffenschirms in Zweifel gezogen und gesagt, eigene EU-Atomwaffen könnten „ein Thema werden“. Scholz nimmt seine Parteifreundin in Schutz. Dass Deutschland keine Atomwaffen brauche, „sieht auch Katarina Barley so, das hat sie auch klar ausgedrückt“.

Anders als Barley zweifelt Scholz öffentlich nicht am US-Atomschirm. Er verweist auf die engen Bande zu den USA. Es gebe „keinen Anlass, jetzt aus Angst vor dem Scheitern das, was so wertvoll ist, infrage zu stellen“, nämlich Nato und die transatlantische Zusammenarbeit. Es gebe die nukleare Teilhabe Deutschlands, sagt Scholz, und verweist zudem auf die nuklearen Fähigkeiten Frankreichs und Großbritanniens. Auf gut Deutsch: bloß keine Atom-Debatte!  

5 Deutschland steht viel besser da, als es denkt

„Kranker Mann Europas“ oder 0,2 Prozent Wachstum – diese Schlagworte, nach denen Horst von Buttlar fragt, schmecken dem Kanzler gar nicht. Er wettert gegen „Lobbyismus in dem, was sich Wirtschaftswissenschaften nennt“. Er spottet über falsche Vorhersagen zum Arbeitskräftepotenzial Deutschlands: „Die Ökonomen haben sich in den 1990er Jahren verrechnet“. Seine eigene Prognose von 2023, wonach Deutschland vor einem „Wirtschaftswunder“ stehe, lässt Scholz unerwähnt.

Deutschland, sei, sagt der Kanzler, je nach Statistik, die dritt- oder viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit 84 Millionen von 8 Milliarden Weltbürgern. Nun mangele es an Arbeitskräften. Die Klage von Unternehmen über einen mangelnden Zuzug aus dem Ausland kommentiert er, unter Verweis auf seinen einstigen Job als Hamburger Bürgermeister, mit dem Satz: „Das Geschäft des Kaufmanns ist die Klage.“

Deutschland habe das modernste Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Welt. Nun werde Deutschland Zentrum der Halbleiterindustrie. Abermals beklagt der Kanzler („nur in Deutschland heulen wir“) die in seinen Augen vorherrschende Schwarzmalerei. Die Ansiedlung der Chipfabriken „finden außerhalb von Deutschland alle toll“, sagt Scholz: „Wir werden es vielleicht bei der Eröffnung der Fabriken sagen.“  

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde Olaf Scholz an einer Stelle falsch zitiert. Im Text stand, er habe in der Debatte um die deutsche Ukrainehilfe von einer „komischen Frage“ gesprochen, „die jemand hoch- oder herunterzieht“. Tatsächlich sagt Scholz „Fahne“ und bezog es im übertragenen Sinne auf politische Positionen. Der entsprechende Satz im Artikel wurde inklusive Interpretation entfernt.

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