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Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2 hinter einem Warnschild.

© dpa/Armin Weigel

Jetzt ist es zu spät: Die Aufregung um den Atomausstieg ist der nächste Fehler

Die Deutschen pendeln bei der Kernkraft zwischen Ablehnung und Befürwortung. Es sollte endlich Ruhe sein – weil es keine Aussicht auf Korrektur gibt.

Ein Kommentar von Jakob Schlandt

Der endgültige Atomausstieg ist ein Fehler. Aber nur noch ein kleiner – und ohne Aussicht auf Korrektur. So simpel und so unspektakulär ist die Lage im Jahr 2023.

Natürlich ist es eine Zäsur, wenn am Sonnabend die drei letzten verbleibenden deutschen Kernkraftwerke vom Netz getrennt werden. Kurz vor Mitternacht soll es so weit sein. 15 Minuten dauert das Herunterfahren ungefähr. Routine, bestens eingeübt bei Revisionen.

Ein ziemlich dickes Buch wird geschlossen. 1960 ging der erste kommerzielle Meiler in Betrieb und seitdem spaltet die Kernkraft Deutschland. Mal war ein großer Teil der Gesellschaft dagegen (zum Beispiel nach Tschernobyl und Fukushima). Und mal nur ein kleinerer Teil – zum Beispiel derzeit. Die öffentliche Meinung pendelt zuverlässig zwischen zwei Polen.

Steht die Bezahlbarkeit im Vordergrund, wie derzeit, überwiegt die Zustimmung. Sind die Risiken sehr deutlich, ist die Ablehnung umso größer. Wer sich über die deutsche Atom-Wankelmütigkeit beklagt, sollte nicht auf die Politik, sondern auf die Bevölkerung zeigen.

Neubauten – extrem teuer, technisch teils unerprobt, terminlich unsicher – werden in Deutschland allerdings keine Zustimmung finden. Vielleicht ändert sich das mit neuen Kraftwerkstypen und den damit gemachten Erfahrungen im Ausland irgendwann. Aber im Augenblick stehen neue Akw nicht ernsthaft zur Debatte.

Bleibt also der Abschied vom und der Streit um die Überbleibsel der einst großen Atomflotte. Fünf bis sechs Prozent des deutschen Stroms liefern sie nur noch. Der Anteil am Gesamtenergieverbrauch ist noch viel geringer. Nein, Strom wird durch das Abschalten nicht viel teurer. Die Gaskrise, die drohte, auch eine Stromkrise zu werden, ist beendet.

Die Zeiten, in denen das Abschalten jeglicher Erzeugungskapazität ein Hochrisikomanöver war, sind zum Glück überstanden. Auch, weil die Grünen über ihren Schatten gesprungen sind und Robert Habeck gewähren ließen, der sich zum Chef-Gasbeschaffer aufschwang.

15
Minuten dauert das Herunterfahren eines Atomkraftwerks.

Allerdings: Die Klimakrise ist zu Recht zum Leitmotiv der deutschen und europäischen Energiepolitik aufgestiegen. Jede Kilowattstunde, die (beinahe) CO₂-frei erzeugt werden kann, ist ein Gewinn. Der Kohle- und dann auch der Erdgas-Ausstieg gehen schneller, wenn Atomstrom ins Netz fließt.

Und letztlich sinkt damit auch der Bedarf an knappen Flächen für erneuerbare Energien. Man darf sich dabei dem Prinzip von Greta Thunberg anschließen: Wenn sie schon laufen und stattdessen die Kohlekraft ranmuss, ist es ein Fehler, sie abzuschalten.

Von vielen (vor allem den vielen neuen) Atomkraftbefürwortern wünschte man sich derartige Klarheit im Motiv und Konsistenz. Dass die Union die Abschaltung der Meiler und damit ihre eigene Entscheidung nach Fukushima 2011 scharf angreift ist etwas albern, aber verzeihlich. Man kann seine Einschätzung ändern, gerade als Oppositionspartei.

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Bei der FDP, die sich verbissen hat in die Laufzeitverlängerung, wird es dagegen skurril. Im Koalitionsvertrag von 2021 steht unmissverständlich: „Am deutschen Atomausstieg halten wir fest.“

Bei den Liberalen weiß man genau, dass die Grünen an dieser Stelle keinen Spielraum haben. Zu tief ist ihre Geschichte in der Anti-Atom-Bewegung verankert. Zu viele Parteimitglieder betrachten eine grüne Laufzeitverlängerung als vollständiges Tabu. Es geht der FDP also um platte Profilierung auf Kosten des Partners.

Was nicht heißt, dass der Abschied von den letzten Kernkraftwerken dadurch richtiger wird. Er ist und bleibt ein Fehler, wenn auch nur noch ein kleiner. Korrigieren könnten ihn derzeit nur die Grünen. Was so wahrscheinlich ist wie die Zuwendung der FDP zum Sozialismus. Das ist bedauernswert und gibt manchem Anlass, über Gründungsmythen und Verbohrtheit der Grünen zu klagen.

Besser ist es, die Sache abzuhaken und den deutschen AKWs einen guten und erfolgreichen Rückbau zu wünschen. Ihr letzter Strom produzierender Rest ist die Aufregung und Kontroverse nicht mehr wert. Und erst recht nicht eine Regierungskoalition.

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